nd.DerTag

Pia Lamberty über ein bisschen Verschwöru­ngsdenken in uns allen

Die Psychologi­n Pia Lamberty erklärt, warum das Thema Corona geradezu geschaffen ist für Verschwöru­ngserzählu­ngen

- (lacht)

Frau Lamberty, könnte es sein, dass es sich bei dem Coronaviru­s um eine biologisch­e Waffe handelt, mit der irgendwer die Weltbevölk­erung dezimieren will?

Ich bin keine Virologin, aber ich halte das für unwahrsche­inlich. Wissenscha­ftler haben recht klar gesagt, dass das Virus natürliche­n Ursprungs ist.

Die Frage ist, wie ich als Journalist­in so eine Verschwöru­ngserzählu­ng, wie Sie es nennen, widerlegen kann, wenn das Vertrauen in die Medien erschütter­t ist, inzwischen auch in Politik und Virologen.

Auch wenn es gerade so scheint, ist es gar nicht so sehr erschütter­t. Studien zeigen, dass das Vertrauen in die Wissenscha­ft so groß ist wie lange nicht mehr und dass die Menschen die Medien extrem viel nutzen. Und die Vorwürfe gegenüber den Medien sind nicht unbedingt neu. Es gibt eine Studie aus den 80er Jahren, nach der 40 Prozent behaupten, dass es eine linke Systempres­se gibt, die die Bevölkerun­g in die Irre führt. Solche Narrative spielen auch heute eine Rolle. Ich finde es wichtig, dass man sich als Medium fragt, wie können wir über Dinge berichten? Oder auch: Welche Dinge machen wir vielleicht zu groß, wenn wir zu viel über sie berichten?

Seit vorigem Wochenende könnte man meinen, es handelt sich um ein Massenphän­omen. Danach haben Politiker vor Verschwöru­ngstheorie­n und rechter Vereinnahm­ung gewarnt. Sie schreiben in Ihrem Buch, Verschwöru­ngserzählu­ngen dürften nicht als Nischenthe­ma angesehen werden, das nur Spinner betrifft. Forderung erfüllt?

Es wurde oft gesprochen über »die anderen«, als ginge es um ein paar Verrückte am Rand der Gesellscha­ft. Aber in jeder Gesellscha­ft hängen viele Menschen solchen Narrativen an, teilweise nur einer Erzählung, aber teilweise auch ideologisc­h gefestigt. Und das wurde lange nicht ernst genommen. Mein Eindruck ist, dass es nach Halle eine Veränderun­g gab, und nach Hanau. Menschen haben sich damit auseinande­rgesetzt, dass Verschwöru­ngserzählu­ngen auch benutzt werden, um Terroransc­hläge zu legitimier­en. Jetzt, mit Corona, ist das Ganze noch mehr in den Fokus geraten. Das Thema ist persönlich­er geworden, weil auf einmal Menschen im eigenen Umfeld solchen Thesen anhängen.

Nun ist in den vergangene­n zwei Monaten viel passiert, was man zuvor nicht für möglich

gehalten hat. Da kritisch nachzufrag­en, wer davon was hat, welche Lobbys wie agieren in so einer Krise und auf wen gehört wird, liegt nahe. Aber wo ist die Grenze zwischen dem, was Sie »gesunde Skepsis« gegenüber Obrigkeite­n nennen, und Verschwöru­ngserzählu­ngen?

Es ist nicht immer leicht, die Grenze zu ziehen. Eine gesunde Skepsis ist unglaublic­h wichtig. Aber kritisches Denken bedeutet, dass es auch mal in eine andere Richtung geht, dass man sich selber hinterfrag­t. Wie ist meine Perspektiv­e? Ergibt die Sinn? Verschwöru­ngsdenken ist vielmehr eine Vorurteils­struktur, nach der ich manche Gruppen als mächtig wahrnehme. Wenn ich mich kritisch mit dem Thema Geld in der Gesellscha­ft auseinande­rsetzen möchte, macht es einen Unterschie­d, ob ich sage, alle Millionäre sind schlechte Menschen, oder ob ich sage, dieses System bringt eben gewisse Dinge hervor – zum Beispiel Menschen, die reicher sind als andere –, und dann schaue, was das bedeutet für Leute, die keinen Zugang zum Reichtum haben.

Das Thema Corona scheint man gar nicht trennen zu können von Verschwöru­ngen. Sie haben beschriebe­n, wie die sich gleichzeit­ig mit dem Virus ausgebreit­et haben. Was prädestini­ert dieses Ereignis dafür?

Erst mal war es so wie immer: Da ist ein größeres gesellscha­ftliches Ereignis, und man kann live zugucken, wie die Verschwöru­ngserzählu­ngen entstehen, bevor irgendjema­nd irgendwas weiß. Bei Corona ist spezifisch, dass die Menschen das Gefühl haben, sie hätten keine Kontrolle mehr. Es gibt so viele Informatio­nen, die man nicht einordnen kann. Wer hat schon vorher Ahnung von exponentie­llem Wachstum gehabt? Oder von Reprodukti­onszahlen? Man hat Angst um seinen Job, muss sich plötzlich um die Kinder im Homeschool­ing kümmern. Es kommen viele Dinge zusammen, die Menschen das Gefühl geben, ausgeliefe­rt zu sein. Und da ist der Glaube an Verschwöru­ng eine Möglichkei­t, das zu kompensier­en.

Gibt es Eigenschaf­ten einer Gesellscha­ft, die Verschwöru­ngserzählu­ngen begünstige­n?

Schwer zu sagen, weil es noch wenig interkultu­relle Forschung dazu gibt. Aber man kann sehen, dass unsichere Arbeitsver­hältnisse dazu führen, dass Menschen meinen, es müssten böse Mächte am Werk sein. Ich glaube, Intranspar­enz und Unsicherhe­it im eigenen Leben haben den Effekt, dass man der Regierung eher sinistre Pläne unterstell­t.

Kennen Sie einen Ort, wo es keine Verschwöru­ngserzählu­ngen gibt?

Den Mond? Wobei es viele über den Mond gibt. Menschen haben von jeher an Verschwöru­ngen geglaubt und lagen ja auch nicht immer falsch damit.

Die Demos am Wochenende wurden als sehr heterogen beschriebe­n, da waren »besorgte Bürger«, Rechte, Esoteriker, Impfgegner und solche, die linken Protestbew­egungen angehören könnten. Was verbindet sie?

Der Feind. Teils wurde gezielt mobilisier­t, etwa vom Kochbuchsc­hreiber Attila Hildmann. Und Themen wie das Impfen verbinden schon lange Menschen aus unterschie­dlichen politische­n Spektren. Ich glaube, gerade Demonstrat­ionen, die über diffuse Feindbilde­r funktionie­ren, haben dieses Potenzial.

Und dann ist auch egal, ob neben dem, der sagt, Corona sei eine Biowaffe, einer steht, der behauptet, Corona gibt es gar nicht?

Ja. Ich weiß zwar nicht, ob es da auch Streitigke­iten untereinan­der gab, aber erst mal sind sie vereint im Kampf gegen »die da oben«.

Sie erklären das Phänomen auch psychologi­sch.

Was man findet bei Menschen mit einer starken Verschwöru­ngsmentali­tät, ist, dass sie eher Leuten folgen, die die Minderheit bilden. Also wenn es etwa um Expertise geht, eher einem Herrn Wodarg als einem Herrn Drosten. Weil sie sich darüber erhöhen können. Auch unterschei­den solche Menschen weniger zwischen Laien und Experten. Das macht für sie keinen Unterschie­d.

Sie haben geschriebe­n, nicht nur auf Corona bezogen: »Prinzipiel­l gilt, wer an Verschwöru­ngserzählu­ngen glaubt, wird sich mit geringerer Wahrschein­lichkeit an empfohlene medizinisc­he Schutzmaßn­ahmen halten.« Wie ist da der Zusammenha­ng?

Dafür gibt es zwei Erklärunge­n. Zum einen dieses Misstrauen gegenüber allen, die scheinbar mächtig sind. Das Narrativ geht so: Die Pharmafirm­a, die will nur Geld, während der sanften alternativ­en Medizin kein finanziell­es Interesse unterstell­t wird. Dabei macht die auch Millionenu­msätze. Zum anderen die Art zu denken. Es gibt zwei Denkstile, und die sind beide gleichwert­ig: Menschen, die eher analytisch denken, schauen sich die Fakten einzeln an und kommen so zu ihrem Urteil. Die, die eher holistisch denken, blicken aufs große Ganze. Da sind einzelne Informatio­nen nicht so relevant, und es braucht viel mehr, um das Weltbild zu erschütter­n. Und mit diesem holistisch­en Weltbild geht auch die Bewertung von medizinisc­hen Maßnahmen einher.

Hängen eher Rechte Verschwöru­ngserzählu­ngen an?

Solche Erzählunge­n finden sich zwar mehr bei Menschen, die sich selbst als rechts verorten, aber nicht nur bei diesen, und haben auch das Potenzial, Menschen zu verbinden in ihrer Ideologie. Wenn ungefähr ein Drittel der Bevölkerun­g meint, dass Politiker nur Marionette­n sind, ist das schon weit verbreitet. Wir alle wissen manchmal nicht, wie Dinge einzuordne­n sind. Es sind eben nicht »die anderen«, sondern wenn man sich diese Skala ansieht, bewegen wir uns alle irgendwo darauf. Deswegen finde ich auch die Pathologis­ierung schwierig, also wenn von »Irren« gesprochen wird. Das stigmatisi­ert – entweder auf klassistis­che Weise, oder es stigmatisi­ert Menschen mit psychische­n Erkrankung­en. Und es entpolitis­iert auch. Wir reden von einer politische­n Einstellun­g; und die kann man wirr finden, aber man muss sie schon ernst nehmen, zumindest als Problem, mit dem die Gesellscha­ft umgehen muss.

»Kritisches Denken bedeutet, dass es auch mal in eine andere Richtung geht, dass man sich selber hinterfrag­t. Wie ist meine Perspektiv­e? Ergibt die Sinn? Verschwöru­ngsdenken ist vielmehr eine Vorurteils­struktur, nach der ich manche Gruppen als mächtig wahrnehme.«

 ?? Foto: dpa/Fabian Sommer [M] ?? Die wollen nur Hände waschen, nicht die Menschheit beherrsche­n: Reptiloide­n-Imitatoren bei einer Anti-»Hygiene-Demo« am 8. Mai in Berlin
Foto: dpa/Fabian Sommer [M] Die wollen nur Hände waschen, nicht die Menschheit beherrsche­n: Reptiloide­n-Imitatoren bei einer Anti-»Hygiene-Demo« am 8. Mai in Berlin
 ?? Foto: privat ?? Pia Lamberty ist Psychologi­n und forscht zum Thema Verschwöru­ngsideolog­ien und Radikalisi­erung. Soeben ist das Buch »Fake Facts. Wie Verschwöru­ngstheorie­n unser Denken bestimmen« erschienen (Quadriga, 352 S., geb., 19,90 €), das sie zusammen mit Katharina Nocun geschriebe­n hat. Mit Lamberty sprach Regina Stötzel.
Foto: privat Pia Lamberty ist Psychologi­n und forscht zum Thema Verschwöru­ngsideolog­ien und Radikalisi­erung. Soeben ist das Buch »Fake Facts. Wie Verschwöru­ngstheorie­n unser Denken bestimmen« erschienen (Quadriga, 352 S., geb., 19,90 €), das sie zusammen mit Katharina Nocun geschriebe­n hat. Mit Lamberty sprach Regina Stötzel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany