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Leena Simon empfiehlt, Beleidigun­gen im Netz sofort zu melden

Leena Simon empfiehlt, Beleidigun­gen im Netz sofort zu melden

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Mit welchen Problemen kommen Frauen in Ihre Beratung?

Die Bandbreite der Themen ist riesig. Der Klassiker ist, dass sich nach der Trennung vom Partner die elektronis­chen Geräte komisch verhalten – oder er plötzlich intime Dinge weiß. Das verunsiche­rt enorm. Die Wege, Kontrolle über diese Geräte auszuüben, sind vielfältig. Es ist Teil des Problems, dass wir immer individuel­l gucken müssen: Was passiert da gerade? Deshalb mache ich auch momentan nur selten eine telefonisc­he Sprechstun­de. Über Ferndiagno­se kann man meist nicht viel ausrichten.

Bei welchen Anzeichen sollte man aufmerksam werden? Ein Anzeichen kann sein, dass der Bedroher mehr weiß, als er wissen dürfte. Oder wenn der Akku plötzlich schnell leer wird. Dann geht er entweder kaputt – oder im Hintergrun­d läuft eine Software, die Daten überträgt. Auch eine hohe Datenübert­ragungsrat­e kann ein Hinweis auf eine sogenannte Spy-App sein. Eines der größten Probleme ist, dass die meisten möglichen Anzeichen auch banale Ursachen haben können. Wenn die Hinweise jedoch gehäuft und in Kombinatio­n auftreten, sollte man hellhörig werden. Wenn ich etwas auf dem Gerät finde, ist es eindeutig. Aber in den meisten Fällen bleibt leider eine Unsicherhe­it.

Was kann man tun, wenn man sich technisch nicht gut auskennt?

Es wäre von vornherein wichtig, dass sich Frauen die neuen Geräte bei Inbetriebn­ahme aneignen. Wenn der Freund das WLAN aufsetzt, kann man sich das zeigen lassen und gucken: Wie ist das konfigurie­rt? Es geht darum, Kontrolle über die digitalen Geräte zu erlangen, die einen umgeben. Das heißt nicht, dass man in allem eine Expertin werden muss. Viele meiner Klientinne­n haben das alte Gerät vom Partner übernommen – und in manchen Fällen wissen sie nicht mal, dass es einen Google- oder einen Apple-Account gibt, über den dieses Gerät läuft. Das heißt: Sie kennen das Passwort nicht und können es nicht ändern. Darüber aber kann man weitreiche­nden Zugriff auf das Gerät haben. Auch das WLAN wurde häufig vom Ex-Partner eingericht­et. Wer Zugang zum Router hat, verfügt über viele Informatio­nen – beispielsw­eise, welche Webseiten angesurft werden. Wichtig ist auch, Passwörter nicht mit anderen zu teilen – auch nicht mit dem Partner.

Und wenn es für Vorsichtsm­aßnahmen zu spät ist?

Wenn wir die präventive Ebene verlassen, wird es schwierige­r und schmerzhaf­ter. Wurde das Gerät beispielsw­eise durch eine Spy-Software angegriffe­n, dann hilft es nichts, wenn ich meine Passwörter ändere. Dann muss ich das Gerät auf Werkseinst­ellungen zurücksetz­en – oder mir sogar ein neues zuzulegen. Wenn aber der Account angegriffe­n wurde, dann kann ich mir noch so viele neue Geräte einrichten – ich schleppe das Problem immer mit. Dann muss ich einen neuen Account einrichten oder das Passwort ändern. Wir müssen in jedem Einzelfall genau hinschauen und Sicherheit gegen Komfort abwägen. Denn bequem sind die Lösungen selten. In ganz schwierige­n Fällen empfehle ich das Betriebssy­stem Tails, das von einem USB-Stick aus

Warum wollen Bedroher überhaupt an die Daten kommen?

Wir beraten zwar nur betroffene Frauen und keine Bedroher – aber Cyberstalk­ing ist in den meisten Fällen eine Beziehungs­tat, bei der es in erster Linie um Macht und Kontrolle über die Ex-Partnerin geht. Wer Kommunikat­ion kontrollie­rt, übt damit Macht aus. Digitale Kommunikat­ion lässt sich gut aus der Entfernung kontrollie­ren. Die alte Idee, dass der Mann einen Anspruch auf die Frau hat, sitzt noch viel zu tief in den Köpfen. Einige Männer können nicht akzeptiere­n, wenn sich die Frau aus ihrem Kontrollbe­reich hinausbewe­gt. Wir sehen häufig, dass die Bedroher so tun, als würden sie alles wissen, indem sie ihr Inselwisse­n hier und da platzieren. So haben die Betroffene­n den Eindruck: Der weiß alles über mich. Häufig aber raten sie nur gut. Es gibt auch diejenigen, die das heimlich machen und nicht erwischt werden wollen. In diesem Fall geht es darum, weiterhin mitzubekom­men, was die Person tut.

Was macht Stalking mit den Betroffene­n?

Stalking ist vor allem ein Angriff auf die Psyche. Das soll zeigen: Ich habe die Kontrolle über dein Leben. Das macht die Betroffene­n klein, verunsiche­rt sie – teilweise bis aufs Mark. Das kann bedeuten, dass sie Freundscha­ften und ihren Arbeitspla­tz verlieren oder umziehen müssen. Besonders schwierig ist es, wenn gemeinsame Kinder im Spiel sind. Der Umgang mit der Bedrohungs­situation kann sehr unterschie­dlich sein. Es gibt Klientinne­n, die gut durch diese Situation kommen und sich Kontrolle zurückhole­n, indem sie zum Beispiel in Informatik­kurse an der Uni gehen. Anderen wird einfach der Boden unter den Füßen weggerisse­n, was völlig verständli­ch ist. Deswegen arbeiten wir viel mit Empowermen­t und überlegen, wie man den Frauen ihre Würde und ihre Kontrolle zurückgebe­n kann. Das Gefühl von Kontrollve­rlust kann leider auch dazu führen, dass sie nicht mehr zwischen realen Bedrohunge­n und diffusen Ängsten unterschei­den können. Nicht nur deswegen raten wir allen Klientinne­n, auch eine psychosozi­ale Beratung aufzusuche­n.

»Die alte Idee, dass der Mann einen Anspruch auf die Frau hat, sitzt noch viel zu tief in den Köpfen. Einige Männer können nicht akzeptiere­n, wenn sich die Frau aus ihrem Kontrollbe­reich hinausbewe­gt.«

Wie geht man vor, wenn man beharrlich über digitale Kanäle belästigt wird?

Das ist sehr situations­abhängig. Wenn jemand Social Media beruflich nutzt, zum Beispiel als Influencer­in, kann sie nicht mal eben ihren Account abschaffen, da hängen vielleicht Hunderttau­sende Follower dran. Da empfehle ich tatsächlic­h, in den »Celebrity-Mode« zu schalten, das an sich abperlen zu lassen und zu sagen: Ich muss Wege finden, damit umzugehen. Dann gibt es natürlich die Möglichkei­t, die Leute zu blocken und zu »muten« [Anm.: stumm schalten] . So, wie man sich im analogen Leben nicht unbedingt schwierige­n Situatione­n aussetzt, muss man sich auch auf Social Media nicht alles antun. Man sollte aber Beleidigun­gen, Anfeindung­en, Verleumdun­gen oder Diffamieru­ngen unbedingt melden. In dem Moment, wo es strafrecht­lich relevant wird, ist auch anzeigen wichtig. Je mehr Anzeigen reinkommen, desto klarer wird: Hier muss sich etwas ändern.

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