nd.DerTag

Velten Schäfer über Satire während der Pandemie

Velten Schäfer

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Durfte man nun alleine auf einer Bank sitzen oder nicht? Wie legal war es, dabei zu lesen? War hier zwischen Zeitung und Buch zu unterschei­den? Warum war es verboten, sich im Park auf eine Decke zu setzen, während es in Ordnung ging, das Hinterteil aufs Gras zu pflanzen? Wo endete der »Nahbereich« für den legalen Seuchenspa­ziergang, und wieso galt es als infektions­gefährlich­er, etwas mehr Flanierdis­tanz zwischen sich und Haustür zu bringen?

Landkreisf­ürsten, die auf den Karten nach den zu schließend­en Grenzen ihrer Reiche fahnden, dauerpräse­nte Experten, die sich darüber erregen, dass Experten dauerpräse­nt sind, und ein Volk, das gerade den Ministerpr­äsidenten für den Chefbekämp­fer hält, der stets die schlechtes­ten Zahlen hat: Die Liste ist unendlich. Seit es erste Bürgerpfli­cht wurde, sich täglich in widersprüc­hlichen Quellen über die Verbotslag­e zu informiere­n, produziert­en Maßnahmenf­öderalismu­s und Notstandsö­ffentlichk­eit kabarettis­tische Steilvorla­gen in Serie. Doch ließ die Chancenver­wertungsra­te C (0) der hiesigen Gagindustr­ie selbst die heuer notorische Drittliga-Danebensch­ießertrupp­e von der SG Sonnenhof Großasbach aussehen wie den Supersturm aus Barcelona.

Exemplaris­ch hat sich die ZDF-»HeuteShow« den Titel des »Flaggschif­fs« der deutschen Politsatir­e redlich verdient. Schon die erste Maßnahmens­chwerpunkt­sendung sprach den Offenbarun­gseid jeder Satire aus: Die Regierung macht im Grunde alles richtig! In diesem Geiste ging es weiter: Vom Ausstellen fremder Potentaten als »CoronaDepp­en« über das Lächerlich­machen leichtsinn­iger Normal- oder verschwore­ner Aluhutbürg­er bis zur – Achtung! – Superpoint­e, es gebe auch noch andere Probleme, umschiffte man weiträumig die Situations­komik und Alltagsabs­urdität dieser Monate.

»Was darf die Satire?« Das hat Tucholsky rhetorisch gefragt. Die kanonische Antwort ist aber unerheblic­h, wenn die Satire nichts mehr will. Man mag sich ja sagen, es sei jetzt nicht angebracht, die Disziplin der Bevölkerun­g zu erschütter­n, nicht mal durch harmlose Witzchen. Für diesen Fall aber hat Kurt Tucholsky einen seltener zitierten Satz parat: »Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanle­ihe auffordert, ist keine.« Das gilt auch im Krieg gegen Corona. Und gerät Satire dergestalt selbst zur Maßnahme, wird sie im Wesen beschädigt.

Man sollte daher besagtes ZDF- und ähnliche Formate bis zu dem Tag einstellen, an dem man das Lachen nicht mehr für volksgefäh­rdend hält. Oder man zielt endlich auf den Kern der Chose, etwa den Nachrichte­nstehsatz »Das Coronaviru­s breitet sich in Deutschlan­d weiter aus«. Denn dieser Dauerphras­e folgen seit Wochen Zahlen, aus denen das Gegenteil hervorgeht: Die bekannten aktiven Infektione­n sind rückläufig. Um nun das an ZDF-Freitagen zwischen »Heute-Journal« und »Aspekte« übliche Niveau zu treffen, könnte Oliver Welke dazu seinen patentiert­en Achtung-Pointe-Dackelblic­k aufsetzen und erläutern, dass die Subtraktio­n der »Genesenen« von den bestätigte­n Fällen direkt zu dieser Einsicht führt – während hinter ihm eine Slogantafe­l aufpoppt: »Lattematik für Newsredakt­ionen«.

schenkt Oliver Welke eine Pointe

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