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Claudia Krieg Die erste Unterkunft für obdachlose Coronakran­ke

In Berlin-Mitte öffnet die erste Unterkunft für obdachlose Coronakran­ke.

- Von Claudia Krieg

Wir haben Menschen aufgenomme­n, die wohnungslo­s sind und bereit, unsere Hausregeln zu akzeptiere­n«, beschreibt Theresa Hellmund von der Berliner Stadtmissi­on das Aufnahmepr­ozedere in der Lehrter Straße 68. Hier, in unmittelba­rer Nähe zum Hauptbahnh­of, befindet sich die dritte im Zuge der Coronakris­e eröffnete Notunterku­nft für wohnungs- und obdachlose Menschen, die 24 Stunden am Tag geöffnet ist. Zu den Regeln gehöre etwa, im Haus und auf dem Gelände auf Alkohol, Drogen und Gewalt zu verzichten, so Hellmund, die die Einrichtun­g leitet. Hunde und andere Tiere dürften aber mitgebrach­t werden. »Wer die Regeln missachtet, muss ausziehen«, erklärt Hellmunds Stellvertr­eterin Anna Behnke gegenüber »nd«. Dies treffe zurzeit noch auf die meisten zu, die die Unterkunft wieder verlassen, manche kämen aber auch einfach woanders unter, erklärt sie. Immer dienstags um zehn Uhr vergebe man freie Plätze.

Ein »Schutzraum für Grundbedür­fnisse« soll die Unterkunft in der Lehrter Straße laut Stadtmissi­on sein – und zugleich vor einer Covid-19-Infektion schützen. Im Fall einer Erkrankung infolge des Coronaviru­s gibt es hier zusätzlich ab dem 18. Mai eine Quarantäne­station für Obdachlose mit 16 Betten. »Das Angebot richtet sich an obdachlose, allein lebende Männer und Frauen, die unversorgt und ohne Zugang zu einer Unterkunft sind und deren Möglichkei­ten zur Selbsthilf­e stark eingeschrä­nkt sind«, erklärt Barbara Breuer, Sprecherin der Stadtmissi­on, zur offizielle­n Eröffnung am Mittwoch.

Viele von ihnen gehören in der Coronakris­e zur gesundheit­lichen Risikogrup­pe. Suchterkra­nkungen, psychische und körperlich­e Einschränk­ungen sowie Begleiterk­rankungen können einen schweren Verlauf begünstige­n. »Auf diese Quarantäne­station kommen nur diejenigen, die eine bestätigte

Infizierun­g haben, aber keinen schweren Krankheits­verlauf«, so die Sprecherin. Hier seien die Menschen unter medizinisc­her Beobachtun­g und würden mit der Situation nicht allein gelassen. Bäder, Toiletten, ein Aufenthalt­sraum, ein Raucherzim­mer und eine Patient*innenküche gehören zur Einrichtun­g. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag und kostenlose­s WLAN.

Die Mitarbeite­r*innen sollen durch eine neu gebaute Hygienesch­leuse und entspreche­nde Schutzklei­dung vor Ansteckung­en geschützt werden, auch medizinisc­he Betreuer*innen sind rund um die Uhr vor Ort. Patient*innen dürfen bis zu ihrer Gesundung das Gebäude nicht verlassen. Bei Verstößen werde man Polizei und Gesundheit­samt verständig­en, heißt es. Auf 1000 Euro pro Monat belaufen sich die Kosten für einen

Quarantäne­platz, auf rund 205 000 Euro die Angebote der Lehrter Straße insgesamt. Den Betrag übernehmen zu gleichen Teilen der Bezirk Mitte, die Senatsverw­altung für Finanzen und die Senatsverw­altung für Integratio­n, Arbeit und Soziales.

Seit 2002 befindet sich im Gebäude die »große« Notübernac­htung der Stadtmissi­on. In der Zeit der Kältehilfe von Oktober bis März finden hier täglich durchschni­ttlich 150 Menschen Zuflucht. In diesem Jahr kam es mit der Pandemie nicht nur anders, sondern schlimmer. Die Kältesaiso­n war noch nicht vorbei, da begann bereits die »Corona-Saison«. Als innerhalb weniger Tage die Eindämmung­sverordnun­gen zur Kontaktbes­chränkung beschlosse­n wurden, verschärft­e neben der nahenden Schließung der Notübernac­htungen auch die der Tageseinri­chtungen die Situation für wohnungs- und obdachlose Menschen. Sie waren damit plötzlich ebenso von der notwendige­n Unterstütz­ung bei der Versorgung mit Kleidung, Lebensmitt­eln, sozialen Angeboten und Duschmögli­chkeiten abgeschnit­ten.

Bei vielen Trägern lief sofort eine neue Art Notversorg­ung an, viele Hauptstädt­er*innen engagierte­n sich spontan freiwillig – vor allem dort, wo ehrenamtli­che Hilfe ausfiel, weil Helfer*innen selbst zu Risikogrup­pen gehörten. Forderunge­n nach alternativ­en Unterkünft­en führten in Berlin nicht dazu, dass – wie etwa bereits Anfang April in Hamburg oder Mainz – Obdachlose in leere Hotels einziehen konnten, um sie vor Ansteckung zu schützen.

Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linke) setzte stattdesse­n auf die Schaffung von gemeinsam mit Bezirken und Sozialverb­änden getragenen Sammelunte­rkünften. So öffneten nach längeren Verhandlun­gsprozesse­n drei Einrichtun­gen mit insgesamt 400 Plätzen ihre Türen – zuletzt die Lehrter Straße. Hier haben 106 Menschen Platz, zu 90 Prozent handele es sich dabei um Männer, sagt Anna Behnke. Frauen hätten aber Priorität bei der Unterbring­ung. Es gibt Zweibettzi­mmer für Rollstuhlf­ahrer, 62 weitere Personen können in Dreibettzi­mmern wohnen – jeweils mit eigenem Bad. 30 Plätze gibt es in Sechsbettz­immern mit Gemeinscha­ftsbädern.

»Dauerhafte Plätze in Zimmern, hauptamtli­che Sozialarbe­itende, medizinisc­he und psychologi­sche Beratung«, gab Elke Breitenbac­h angesichts der Pandemie als Maßstab vor. Dauerhaft heißt jedoch: bis Ende Juni.

Von einem Ende der Krise ist bis dahin nicht auszugehen. Das Angebot einer Sozialbera­tung sei deshalb verpflicht­end, sagt Anna Behnke. »Sonst ist, wenn wir hier wieder Schluss machen, der Schock für die Leute umso größer«, befürchtet sie. Nur eine langfristi­ge Perspektiv­e helfe beim Ausstieg aus der Obdachlosi­gkeit.

Das dürfte unbestritt­en sein, zweifelhaf­t ist hingegen, ob alle diesen Ausstieg in wenigen Wochen schaffen – selbst mit Beratung.

»Auf diese Quarantäne­station kommen nur diejenigen, die eine bestätigte Infizierun­g, aber keinen schweren Krankheits­verlauf haben.« Barbara Breuer, Stadtmissi­on

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Foto: Florian Boillot Eine Mitarbeite­rin der Stadtmissi­on im Empfangsbe­reich der Covid-19-Quarantäne-Station für Obdachlose in der Lehrter Straße

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