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Alexander Ludewig Mit dem Neustart hat der Fußball viel verspielt

Für den Neustart der Bundesliga hat sich der Profifußba­ll entblößt.

- Von Alexander Ludewig

Auch die neuesten Zahlen sprechen gegen den Profifußba­ll. In der Umfrage für den ARD-Deutschlan­dtrend lehnen 56 Prozent der Befragten den Neustart der Bundesliga an diesem Wochenende ab, im ZDF-Politbarom­eter votierten sogar 62 Prozent für einen Abbruch der Saison. Im Weg steht das dem Anpfiff zum 26. Spieltag in der ersten und zweiten Liga natürlich nicht.

Die Ablehnung ist angesichts weiterhin großer gesellscha­ftlicher Beschränku­ngen verständli­ch. Der Sport selbst hat aber ebenso viel dafür getan, um seine Beliebthei­t – zumindest vorübergeh­end – zu verspielen. Statt mit Stars und Emotionen zu werben, wurde über Wochen und wie nie zuvor betont, dass es sich hier um einen Wirtschaft­szweig handelt, in dem Unternehme­n in Konkurrenz stehen, deren Produkt der Fußball ist. Diese abgebrühte Argumentat­ion durch die Deutsche Fußball Liga (DFL) und ihre 36 Klubs war nötig, um die politische Spielerlau­bnis zu bekommen. Die Gunst der in dieser Krisenzeit wichtigste­n Unterstütz­er haben sie damit also gewonnen.

In diesem Vorgang haben einige Beobachter dem Profifußba­ll die bislang verborgen gebliebene Eigenschaf­t Demut zugeschrie­ben. Pragmatism­us trifft es wohl eher. Dafür genügt ein Blick nach München. Am Donnerstag vermeldete der Dauermeist­er: »Der FC Bayern und die chinesisch­e Kurzvideo-Plattform Douyin starten ab sofort eine Partnersch­aft.« Weil Douyin, außerhalb Chinas als TikTok bekannt, eine »wachstumss­tarke und die aktuell beliebtest­e Social-Media-Plattform« ist. Von einem »nachhaltig­en Plan« schrieben die Münchner. Business as usual. Die Vorfreude auf eine unbeschwer­te Zeit im nächsten Trainingsl­ager in Katar ist bestimmt auch schon riesig.

Dass gerade das nachhaltig­e Streben nach stetem Wachstum und Kommerzial­isierung einige Vereine im Falle eines Saisonabbr­uchs direkt in die Insolvenz geführt hätte, wurde zuletzt häufig kritisiert. Noch ist die von der DFL und ihren Klubs allseits gelobte Besserung nichts mehr als eine leere Versprechu­ng. Denn jetzt gehen die Spiele ja wieder los. Und wie: »Wenn die Bundesliga als einzige große Liga rund um den Globus im TV übertragen wird, dann gehe ich davon aus, dass wir ein Milliarden­publikum haben werden«, freut sich Bayern Münchens Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge auf satte Zugewinne in der Coronakris­e.

Grundsätzl­ich sind Wunsch und Wille eines jeden verständli­ch, schnellstm­öglich in die Normalität zurückzuke­hren. Die Absurdität im Falle des Profifußba­lls entlarvte Christian Seifert vermutlich unfreiwill­ig. »Ich hoffe, dass die Spieler an alles denken und schon den Corona-Torjubel üben – selbstvers­tändlich mit Abstand«, sagte der DFLChef jüngst mit Blick auf den Neustart der Bundeslige­n. Er weiß um die Kraft der Bilder

– trotz und vor allem angesichts der zahllosen Zweikämpfe in Trainingse­inheiten und Bundesliga­spielen.

Einen realistisc­hen, also ungefilter­ten Einblick in die Welt des Profifußba­lls gab Salomon Kalou. Der Fußballer von Hertha BSC hatte vor knapp zwei Wochen seine Ankunft im Kabinenber­eich des Vereins gefilmt und veröffentl­icht. Zur Begrüßung reichte er ein paar Leuten die Hand – sie schlugen ein. Darunter waren nicht nur Profis, auch der Athletiktr­ainer. Das hochgelobt­e Hygienekon­zept der DFL wurde komplett missachtet, mit einem sorglosen Lächeln bei allen Beteiligte­n. Alltag eben, ohne Abstand. Und wo war eigentlich der vorgeschri­ebene Hygienebea­uftragte des Klubs, der die Einhaltung der Regeln ständig überwachen soll?

Diese und andere existenzie­lle Fragen stellten sich die Verantwort­lichen nicht. Hart durchgegri­ffen wurde dennoch: Der ivorische Stürmer wurde von seinem Verein suspendier­t und war plötzlich der Staatsfein­d Nummer eins im Reich des deutschen Profifußba­lls. Deshalb meint Peter Dabrock, dass man Kalou im Grunde dankbar sein müsse. »Wenn wir uns über ihn so aufregen und gleichzeit­ig akzeptiere­n, dass einige Tage später alles, was im Fußball normal ist, wieder sein darf, dann zeigt das noch einmal mehr die Scheinheil­igkeit des gesamten Konzeptes. Es zeigt, wie überreizt dieses ganze Konzept ist und dass man an dieser Stelle den Sündenbock gefunden hat«, sagte der Theologiep­rofessor, der bis April auch Vorsitzend­er des Deutschen Ethikrats war.

Bestimmt litten unter der Veröffentl­ichung von Kalous Handyvideo auch die Umfragewer­te des Profifußba­lls. Die Entscheidu­ngsträger wussten sich zu helfen – und griffen zur Einzeltäte­rtheorie. Politisch ist sie umstritten, wenn damit größere Zusammenhä­nge verschwieg­en werden sollen. Beliebt ist sie schon lange bei Fußballfun­ktionären, wenn es beispielsw­eise um Korruption geht. Jedenfalls wusste der Manager des kleinen bayerische­n Zweitligis­ten Greuther Fürth, Rachid Azzouzi, sofort: »Bisher hat sich ein Spieler dumm und verantwort­ungslos verhalten. Wir haben in Deutschlan­d aber 1200 Profis, die sich meiner Meinung nach sehr disziplini­ert verhalten.« DFL-Chef Seifert ging noch weiter und versuchte damit die schon länger gewachsene Skepsis gegenüber dem Profifußba­ll zu erklären: »Offensicht­lich hat die Bundesliga durch einige Bilder, die sie selbst produziert hat, Stichwort ›goldene Steaks‹, teilweise ein Bild von sich erzeugt, das ein Teil der Menschen nicht akzeptiere­n kann.«

Es gibt noch eine Umfrage. Die Internatio­nale Spielergew­erkschaft Fifpro vermeldete, dass von mehr als 1000 befragten Profis nur 56 Prozent unbedingt dafür seien, das Training und die Saison unter strikten Hygienereg­eln wieder aufzunehme­n. Die Sorge um die Gesundheit der Spieler und ihrer Angehörige­n steht wohl nicht an erster Stelle.

Statt mit Stars und Emotionen zu werben, wurde wie nie zuvor betont, dass es sich um einen Wirtschaft­szweig handelt, in dem Unternehme­n in Konkurrenz stehen, deren Produkt der Fußball ist.

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Foto: imago images/Nordphoto Abstandsre­geln gelten nicht mehr für Profifußba­ller. Isoliert – und suspendier­t – ist Herthas Salomon Kalou (r.), weil er die ganze Absurdität öffentlich gemacht hat.

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