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AfD-Ausschluss auf der Kippe

Aufnahmean­trag des Brandenbur­ger Parteichef­s Kalbitz verscholle­n

- Af

Potsdam. Der vom AfD-Bundesvors­tand verfügte Ausschluss des Brandenbur­ger Landesund Fraktionsc­hefs Andreas Kalbitz aus der Partei steht auf der Kippe. Sein Aufnahmean­trag von 2013 ist verscholle­n. Damit fehlt ein Beweis, dass Kalbitz die AfD über seine frühere Mitgliedsc­haft in der neofaschis­tischen Heimattreu­en Deutschen Jugend (HDJ) täuschte. Es soll aber zwei Zeugen geben, die sich erinnern. Kalbitz bestreitet, im juristisch­en Sinne HDJ-Mitglied gewesen zu sein und will gegen seinen Ausschluss vorgehen. Die AfD-Landtagsfr­aktion will an diesem Montag beraten, ob er ihr Chef bleiben kann. Für Linksfrakt­ionschef Sebastian Walter ist Kalbitz »nur ein Bauernopfe­r«. SPD-Fraktionsc­hef Erik Stohn fordert, dass Kalbitz sein Mandat niederlegt. Grünen-Fraktionsc­hefin Petra Budke kommentier­te: »Verliert die Hydra einen Kopf, dann wachsen ihr zwei neue nach.« Die AfD könne sich vielleicht von Kalbitz trennen, aber nicht von dem Weltbild, das er vertrete, so CDU-Generalsek­retär Gordon Hoffmann.

Die knappe Entscheidu­ng des AfDBundesv­orstands, die Parteimitg­liedschaft von Andreas Kalbitz für ungültig zu erklären, sorgt für Empörung bei seinen Anhängern. Erledigt ist der Streit längst noch nicht.

Am Tag nach seinem Sieg über die völkischen Nationalis­ten in der AfD bemüht sich Parteichef Jörg Meuthen um Deeskalati­on. Bei der Entscheidu­ng, die Mitgliedsc­haft von Andreas Kalbitz für nichtig zu erklären, sei es nur um eine rechtliche und keine politische Frage gegangen. Es sei eine »schmerzhaf­te Entscheidu­ng« gewesen, erklärte Meuthen am Samstag im RBB-Inforadio und betonte, dass der Geschasste »sehr viel Gutes« für die Partei geleistet habe.

Wer dem AfD-Chef in den letzten Monaten aufmerksam zugehört hat, weiß, dass der Parteivors­itzende mit diesen Äußerungen versucht, seine Rolle in der Auseinande­rsetzung kleinzured­en. Meuthen ist der prominente­ste innerparte­iliche Gegner des formal Ende April aufgelöste­n »Flügel«, Kalbitz war dessen wichtigste­r Netzwerker. Am späten Donnerstag­abend drückte Meuthen durch, dass der AfD-Bundesvors­tand sich auf seiner Sitzung am Freitag mit einem Antrag beschäftig­te, der Kalbitz Parteimitg­liedschaft »wegen des Verschweig­ens der Mitgliedsc­haft in der ›Heimattreu­en Deutschen Jugend‹« (HDJ) mit sofortiger Wirkung für ungültig erklärte. Nach dreistündi­ger Debatte fiel das Votum mit sieben zu fünf Stimmen bei einer Enthaltung denkbar knapp gegen Kalbitz aus.

Wie aufgeheizt die Stimmung im Parteivors­tand ist, zeigte sich unmittelba­r nach der Abstimmung. Neben Kalbitz verließen auch die beiden AfDFraktio­nsvorsitze­nden im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland, sowie Vorstandsm­itglied Stephan Brandner sichtlich aufgebrach­t die Berliner Bundesgesc­häftsstell­e. Letzterer twitterte, es brauche »nun dringend und kurzfristi­g einen Bundespart­eitag«, auf dem alle Vorstandsm­itglieder ihr Votum begründen. Brandners Reaktion war erwartbar. Er kommt aus dem vom Ex-Flügel kontrollie­rten Thüringer Landesverb­and.

Dessen Co-Vorsitzend­er Stefan Möller erklärte via Twitter: »Ich hänge mich mal aus dem Fenster: Der Ausschluss von Kalbitz aus der AfD wird auf dem Rechtsweg eine Beerdigung erster Klasse erhalten.« Mit dieser Einschätzu­ng ist er nicht allein. Auch Gauland und Weidel äußerten juristisch­e Bedenken.

Experten sehen das ähnlich. Der Parteienre­chtler Martin Morlok bezeichnet­e den Beschluss gegenüber der »Frankfurth­er Allgemeine­n« als »glasklar unwirksam«, da über einen Ausschluss nicht der Vorstand, sondern ein Parteischi­edsgericht zu entscheide­n habe. So oder so: Die Sachlage ist komplizier­t. Mit der vielfach in den Medien angeführte­n Unvereinba­rkeitslist­e der AfD lässt sich die nachträgli­che Annullieru­ng der Mitgliedsc­haft nur schwer begründen. Die Auflistung existiert erst seit 2015, Kalbitz trat der AfD allerdings bereits im März 2013 bei. In der damals gültigen Satzung hieß es wiederum, dass bei der Aufnahme in die Partei eine »laufende oder ehemalige Mitgliedsc­haft« in einer »als extremisti­sch eingestuft­en Organisati­on« anzugeben sei. Die Einordnung als »extremisti­sch« leitet sich dabei aus den Einschätzu­ngen der Verfassung­sschutzämt­er ab. Jene Behörde erklärt, ihr liege eine Mitglieder­liste der mittlerwei­le verbotenen HDJ aus dem Jahr 2007 vor, auf der eine »Familie Andreas Kalbitz« mit der Mitgliedsn­ummer 01330 verzeichne­t sei. Kalbitz räumt bisher nur ein, dass sein Name auf einer Kontaktlis­te der HDJ stehen könnte, frühere Teilnahmen an Veranstalt­ungen der neonazisti­schen Organisati­on bestätigt er ebenfalls. Ein weiteres Problem: Am Samstag wurde bekannt, dass Kalbitz Aufnahmean­trag offenbar verschwund­en ist. Das berichtet die »FAZ« und beruft sich auf Gauland und Meuthen. Damit würde in der juristisch­en Auseinande­rsetzung ein wichtiges Beweisstüc­k fehlen. Allerdings soll es laut »FAS« zwei Zeugen geben, die Kalbitz Aufnahmean­trag

vor sieben Jahren gesehen haben wollen und sich an den Inhalt des Schriftstü­ckes erinnern wollen.

Ob und wie es für Kalbitz weitergeht, werden die nächsten Wochen zeigen. Er »werde alle juristisch­en Möglichkei­ten nutzen, um diese aus meiner Sicht politische Fehlentsch­eidung anzufechte­n«, so der 47-Jährige. Sicher ist, dass die Causa Kalbitz die AfD noch länger beschäftig­en wird. Führende Köpfe seines nun ehemaligen Landesverb­andes stellten sich bereits hinter den Hinausgewo­rfenen. In einem am Freitag auf Facebook verbreitet­en Video ist Kalbitz neben der Brandenbur­ger Landes- und Fraktionsv­ize Birgit Bessin zu sehen. Beide rufen enttäuscht­e Mitglieder dazu auf, nicht die AfD zu verlassen, sondern gegen die Entscheidu­ng des Parteivors­tandes zu protestier­en. »Wir stehen zu unserem Landesvors­itzenden Andreas Kalbitz«, heißt es in einer Erklärung Bessins sowie des Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers der AfDLandtag­sfraktion, Dennis Hohloch, und Andreas Galau, dem Vizepräsid­enten des Brandenbur­ger Landtags.

Wie eng sein Ex-Landesverb­and zu Kalbitz steht, wird sich bald zeigen.

Zumindest sein Amt als Vorsitzend­er der AfD-Landtgsfra­ktion könnte der nun Parteilose zurückbeko­mmen, sofern ihn die Mitglieder in dieser Position bestätigen. Es wäre ein deutliches Signal an die Parteispit­ze, allen voran an den Co-Chef Meuthen, dem im innerparte­ilichen Machtkampf unruhige Zeiten bevorstehe­n. Bereits am Freitag gab es Stimmen aus seinem Landesverb­and Baden-Württember­g, die ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen ihn fordern. Kalbitz Unterstütz­er formieren sich nun. »Es kann nicht sein, dass verdiente Parteimitg­lieder so aus der Partei entfernt werden«, kritisiert­e etwa der AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt.

Interessan­t ist, dass weder Kritiker noch Kalbitz-Anhänger auf die längst belegten Bezüge des nun Rausgeworf­enen zu rechtsextr­emen Gruppen eingehen. Besonders Meuthens Sinneswand­el ist bemerkensw­ert. Jahrelang hatte er sich mit dem »Flügel« gut gestellt, Kalbitz in einer ARD-Doku 2019 als »hochgebild­eten, hochreflek­tierten Menschen« gelobt und bestritten, dass »wir es hier mit einem Rechtsextr­emen zu tun haben«.

Interessan­t ist, dass weder Kritiker noch Kalbitz-Anhänger auf dessen längst belegte Bezüge zu rechtsextr­emen Gruppen eingehen.

 ?? Foto: Patrick Pleul/dpa ?? Wer wird den Machtkampf in der AfD für sich entscheide­n? Der geschasste Rechtsauße­n-Politiker Andreas Kalbitz verfügt über viele Unterstütz­er.
Foto: Patrick Pleul/dpa Wer wird den Machtkampf in der AfD für sich entscheide­n? Der geschasste Rechtsauße­n-Politiker Andreas Kalbitz verfügt über viele Unterstütz­er.

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