nd.DerTag

Bedingungs­los versus bedarfsgep­rüft

Linke-Arbeitsgem­einschaft will »emanzipato­risches Grundeinko­mmen« im Parteiprog­ramm verankern / Die Partei soll darüber abstimmen

- Von Jana Frielingha­us

Eine Arbeitsgem­einschaft in der Linken will, dass die Forderung nach einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen ins Parteiprog­ramm aufgenomme­n wird. Sie hat prominente Unterstütz­erinnen.

In der Linksparte­i wird leidenscha­ftlich gestritten. Die wichtigste Kontrovers­e dreht sich um das Mitregiere­n im Bund. Harte Auseinande­rsetzungen gab es auch darüber, ob man den Austritt Deutschlan­ds aus der Nato oder deren Auflösung zugunsten neuer »Sicherheit­sstrukture­n« fordern solle. Es setzte sich die letztere, für mögliche Koalitions­partner anschlussf­ähigere Variante durch. Auch die Diskussion­en über offene Grenzen für Menschen in Not und um linke Migrations­politik dürften irgendwann wieder aufflammen.

Ein weiteres Thema, über das die Genossen sich die Köpfe heiß reden, ist die Frage, ob die Partei für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen (BGE) eintreten sollte – eine Forderung, die vor dem Hintergrun­d der Coronakris­e aktuell Sympathien gewinnt. In der Linken kämpft eine agile Bundesarbe­itsgemeins­chaft (BAG) seit vielen Jahren darum, dass der Einsatz für das BGE Position der Gesamtpart­ei wird. Auf dem Erfurter Programmpa­rteitag 2011 scheiterte sie damit. Im seither gültigen Grundsatzd­okument heißt es, über die »bedarfsdec­kende und sanktionsf­reie Mindestsic­herung« hinaus träten »Teile der Linken« für das BGE ein, um das Recht auf gesicherte Existenz und gesellscha­ftliche Teilhabe »von der Erwerbsarb­eit zu entkoppeln«.

Unter denen, die das BGE seit langem propagiere­n, sind Parteichef­in Katja Kipping und Bundestags­vizepräsid­entin Petra Pau. Bereits im Herbst 2018 hatte die BAG eine Petition gestartet, in der sie ein Mitglieder­votum über die Aufnahme der

Forderung nach dem BGE ins Programm verlangt. Anfang April hatte sie die dafür erforderli­chen Unterschri­ften von fünf Prozent der Parteimitg­lieder beisammen und forderte nun den Vorstand auf, die Basisabsti­mmung in die Wege zu leiten.

Im amtierende­n Vorstand ist die Mehrheit der Meinung, das sozialpoli­tische Kapitel des Programms solle »offen gehalten«, also nicht geändert werden. Aufgrund der Unterschri­ftensammlu­ng der BAG fasste die 42-köpfige Parteispit­ze Mitte April einen Beschluss, dem Bundespart­eitag Ende Oktober einen Antrag auf Herbeiführ­ung des Mitglieder­votums vorzulegen. Darin kann die BAG ihr Begehren erneut begründen. Zugleich will der Vorstand aber, wie Bundesgesc­häftsführe­r Jörg Schindler am Wochenende gegenüber »nd« betonte, eine Ablehnung empfehlen. Zugleich hat der Vorstand die Einleitung des Mitglieder­entscheids an die Bedingung geknüpft, dass dieser erst nach der Bundestags­wahl 2021 stattfinde­t. Dem habe die AG Grundeinko­mmen inzwischen zugestimmt.

Bis zum Wochenende war auch die Prüfung der eingereich­ten fast 3600 Unterschri­ften für das Mitglieder­votum abgeschlos­sen. Es wurde festgestel­lt, dass mindestens 3128 von aktiven Genossen stammen, womit das nötige Quorum von 3063 erreicht ist.

Während die Gesamtpart­ei eine sanktionsf­reie einkommens- und vermögensg­eprüfte Mindestsic­herung für Erwerbslos­e, eingeschrä­nkt Erwerbsfäh­ige und Rentner in Höhe von 1050 Euro monatlich fordert, plädiert die BAG aktuell für ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen von 1128 Euro für Menschen ab 16 und die Hälfte davon für Kinder unter 16 Jahren. Gleichzeit­ig sollen Kindergeld und Kinderfrei­beträge abgeschaff­t werden.

Die BAG verweist auf etliche relativ bekannte Unterstütz­er ihres Konzepts aus Sozialwiss­enschaften und Gewerkscha­ften. Auch die Feministin Antje Schrupp zählt dazu. Zugleich gibt es viele dezidierte Gegner des BGE in und bei der Linksparte­i, unter ihnen der Politikwis­senschaftl­er Christoph Butterwegg­e, der 2017 von der Linken für das Amt des Bundespräs­identen nominiert wurde. Auch Ralf Krämer, Gewerkscha­ftssekretä­r im Verdi-Bundesvors­tand und LinkeVorst­andsmitgli­ed, ist ein profiliert­er Kritiker der Idee eines BGE.

Geschäftsf­ührer Schindler lehnt das BGE ebenfalls ab. Im Gespräch mit »nd« sagte er, das Eintreten dafür würde potenziell­e Koalitions­partner »überforder­n«. Zudem würde seine Einführung deutliche Steuererhö­hungen nicht nur für Reiche, sondern auch für Bezieher mittlerer Einkommen erfordern. Auch würden dann die Mittel zur Finanzieru­ng der von der Linken verlangten großen Investitio­nsprogramm­e für Verkehrsin­frastruktu­r, Bildung und Klimaschut­z fehlen.

Zudem warnt Schindler, Geldvertei­lung mit der Gießkanne würde von vielen als ungerecht empfunden. Und nicht zuletzt sieht der Geschäftsf­ührer auch einen »enormen Kombilohne­ffekt« des BGE. Unternehme­n würden die entstehend­en Spielräume für Lohnsenkun­gen nutzen, fürchtet er. Wenn das BGE auf nationaler Ebene eingeführt würde, hätte das zudem ähnliche Folgen wie die Einführung der den Niedrigloh­nsektor fördernden Hartz-Gesetze 2005, so Schindler. Diese brachten deutschen Firmen einen riesigen Wettbewerb­svorteil gegenüber ärmeren Staaten.

»Das Grundeinko­mmen hätte einen enormen Kombilohne­ffekt.«

Jörg Schindler, Linke-Bundesgesc­häftsführe­r

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