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Das Beharren auf der Einzeltäte­rthese

BKA-Zeugen sehen lediglich Anis Amri – und referieren im Bundestags-Untersuchu­ngsausschu­ss stundenlan­g über seine zahlreiche­n Kontakte

- Von Daniel Lücking

Der Breitschei­dplatz-Attentäter soll ein Einzeltäte­r gewesen sein. Diese These vertreten Bundesbehö­rden wie das Bundeskrim­inalamt. Das wirkt immer abstruser.

Es bedarf viel Spitzfindi­gkeit, um mit der Aussage »Anis Amri war ein Einzeltäte­r« noch sachlich richtig zu liegen. Lächerlich macht man sich damit trotzdem. In der vergangene­n Sitzungswo­che versuchten sich weitere Zeug* innen des Bundeskrim­inalamt es( BKA) vordem Breits ch eid platz Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag in dieser Disziplin.

Gelassen nehmen die Parlamenta­rier* innen Eingangs statements hin, in denen die Zeugen ihre Sicht der Dinge ausführlic­h schildern dürfen. Detail um Detail soll belegen, dass man eben doch alles getan haben will, aber die Tat eines »fanatisier­ten Einzeltäte­rs« letztlich nicht zu verhindern war. Die üppige Frage zeitd er Regierungs fraktionen stützt diese Darstellun­g und gerät nur selten kritisch.

FDP, Grüne und Linke nutzen ihre knappe Befragungs­zeit und arbeiten Widersprüc­he der Ermittlung­s arbeit heraus. Bilel ben Ammar, der mindestens als Mitwisser und mutmaßlich sogar als Mittäter gilt, wurde vom BKA nur nachlässig vernommen. Kurz nach der Tat war er für zehn Tage verschwund­en. »Meiner Meinung nach haben die Kollegen in der Vernehmung alles herausgeho­lt«, verteidigt Zeuge A. M., Erster Kriminalha­uptkommiss­ar und Ermittler im BKA, das Handeln seiner Behörde. Benjamin Strasser (FDP) sieht das anders: »Die naheliegen­dste Frage hat man Bilel ben Ammar nicht gestellt: Wo waren sie in den letzten zehn Tagen?« Ermittler A. M. druckst herum, kann sich nicht erklären, wie so etwas passieren konnte. Vielleicht wurde es ja auch einfach nur nicht notiert? Doch der Mangel an Ermittlera­mbitionen geht schon aus der Länge der Vernehmung­en hervor. Ben Ammar wurde an zwei Tagen für jeweils nur drei Stunden vernommen.

Nahezu alle Zeug*innen des BKA verbrachte­n zwischen drei, sechs und auch mehr Stunden vor dem Ausschuss. Der Grünen-Fraktionsv­ize Konstantin von Notz und die GrünenObfr­au im Ausschuss, Irene Mihalic, konfrontie­ren die BKA-Zeugen mit immer neuen Aspekten, die zeigen, was die Ermittler nicht beachteten. So fand sich nun ein Video, das den Mann zeigt, der mit Anis Amri kurz vor dem Anschlag in der Fussilet-Moschee zusammentr­af. Ermittelt und befragt wurde dieser wichtige Zeuge durch das BKA nicht. »Diese Person war wahrschein­lich die letzte, die Amri vor dem Anschlag gesehen und vielleicht sogar mit ihm gesprochen hat«, kritisiert Mihalic. »Es ist überhaupt nicht erklärlich und ein schweres Versäumnis, dass bis heute noch nicht einmal versucht wurde, diese Person zu identifizi­eren und zu befragen.«

Das widersprüc­hliche Verhalten Amris, der einerseits hochgradig klandestin agierte, um seine Kontakte zu schützen, anderersei­ts in den Monaten vor dem Anschlag ein Handy

mit sich führte, das nahezu lückenlos dokumentie­rte, wo er sich in Berlin-Moabit und Wedding aufhielt, beschäftig­te offenbar niemanden im BKA. Das Handy fand man in der Stoßstange des Lastwagens. Wer es dort ablegte, wurde vom BKA nicht untersucht.

Am Ende seiner Aussage reduziert Ermittler A. M. die »Einzeltäte­rthese« darauf, dass Amri wohl zum Zeitpunkt der Tat allein gehandelt habe. Ein Zeitraum, der durch die Ermittlung­sarbeit im Bundestags­ausschuss mittlerwei­le auf weniger als eine Stunde zusammenge­schrumpft ist. Drum herum finden sich Personen, auf deren Handys Bilder vom Anschlagso­rt waren, die eine Tatvorbere­itung vermuten lassen: der Kontaktman­n in der Fussilet-Moschee und Moadh Tounsi. Noch im Lastwagen, mit dem Amri auf dem Breitschei­dplatz kurz darauf elf Menschen tötete, telefonier­te er mit Tounsi, der als Mittelsman­n zum Islamische­n Staat gilt.

Am Tag nach der Sitzung wurden neue Bezüge bekannt. Die italienisc­he Polizei verhaftete einen algerische­n Passfälsch­er, der Amri mit Papieren versorgt hatte.

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Foto: Christoph Soeder/dpa Mahnmal für die Terroropfe­r am Berliner Breitschei­dplatz

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