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Unter Protest vereidigt

Israels neue Regierung strebt nach Annexion illegaler Siedlungen

- Von Oliver Eberhardt

In Israel ist nach mehr als einem Jahr und drei Wahlen eine neue Regierung vereidigt worden. Das kontrovers­este Vorhaben: Die Annektion von Teilen der Palästinen­sergebiete.

Das vermeintli­che Ende der politische­n Krise nahm kaum noch jemand zur Kenntnis: Die israelisch­en Medien blickten am Sonntag eher darauf, wie sich die Menschen auf die Rückkehr in eine neue Art von Normalität nach der Coronakris­e vorbereite­n. In Jerusalem wurde derweil die neue Regierung vereidigt, eine ungewöhnli­che Kombinatio­n aus dem rechtskons­ervativen Likud des seit 2009 amtierende­n Regierungs­chefs Benjamin Netanjahu und eines Teils der BlauWeiß-Liste unter Führung des ehemaligen Generalsta­bschefs Benny Gantz. Dieser hatte drei Wahlen und ein Jahr lang Stein und Bein geschworen, er werde nie mit Netanjahu koalieren. Dazu kommen in der Koalition die auf wenige Sitze geschrumpf­te sozialdemo­kratische Arbeitspar­tei und die beiden ultra-orthodoxen Parteien, die von mehreren Abgeordnet­en anderer Parteien unterstütz­t werden.

In der derzeitige­n Krise brauche Israel eine starke Regierung, hatte Gantz seine überrasche­nde Kehrtwende in den vergangene­n Wochen immer wieder gerechtfer­tigt. Doch der fast 50 Seiten lange, eng bedruckte Koalitions­vertrag liest sich eher wie eine Waffenstil­lstandsver­einbarung als ein Wegweiser aus einer Krise. Seitenlang werden Regelungen festgelegt, die verhindern sollen, dass Likud und die Gantz-Liste sich gegenseiti­g übervortei­len. Über die Wirtschaft und das stark angeschlag­ene Gesundheit­ssystem wird kaum geschriebe­n.

Stattdesse­n hat man festgelegt, dass Israel am ersten Juli Teile des im Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzten Westjordan­landes annektiere­n soll. Den Segen der US-Regierung hat man sich dafür bereits eingeholt; immerhin hatte US-Präsident Donald Trump eben diesen Schritt auch in seinem Nahost-Plan vorgesehen, zusammen mit der Gründung eines palästinen­sischen Staates im verbleiben­den Rest des Westjordan­landes. Am Mittwoch war dann auch US-Außenminis­ter Mike Pompeo für wenige Stunden bei Netanjahu und Gantz, um noch einmal auf die Umsetzung des TrumpPlans zu drängen und den beiden zu versichern, dass sie von den USA unterstütz­t werden.

Doch der politische­n Preis wäre wohl immens: Jordaniens König Abdullah II warnte Israel in einem Interview mit dem »Spiegel« vor einem massiven Konflikt mit seinem Land. Auch Ägyptens Präsident Abdelfatta­h al Sisi ist mittlerwei­le auf Distanz zum Nachbarlan­d gegangen: Die engen Kontakte zwischen den Geheimdien­sten beider Länder wurden stark eingeschrä­nkt. Außenminis­ter Sameh Schukri warnte vor einer Einstellun­g der diplomatis­chen Beziehunge­n. In den vergangene­n Jahrzehnte­n waren

Jordanien und Ägypten enge Partner Israels; die Kontakte bilden einen der Pfeiler der Sicherheit­spolitik des jüdischen Staats. Auf der Sinai-Halbinsel in direkter Nachbarsch­aft zu Israel kämpft Ägyptens Militär zudem gegen Gruppen, die sich dem Islamische­n Staat zurechnen. Zudem vermittelt man immer wieder zwischen Israel und der den Gazastreif­en regierende­n Hamas.

Im Westjordan­land selbst nehmen die Demonstrat­ionen nun trotz der Coronakris­e wieder zu; in der vergangene­n Woche wurde ein israelisch­er Soldat durch einen Steinwurf getötet. Der palästinen­sische Ministerpr­äsident Mohammad Schtaijeh warnt vor einer »unkontroll­ierbaren Eskalation«. Die palästinen­sische Autonomieb­ehörde könne zusammenbr­echen, so Schtaijeh – eine Drohung, die Netanjahu allerdings umgehend zurückwies. Solche Dinge habe man von den Palästinen­sern immer wieder in den vergangene­n Jahren zu hören bekommen, passiert sei nichts.

Allerdings droht Israels neuer Regierung auch Ungemach aus Europa: Mehrere Regierunge­n der Europäisch­en Union, darunter Frankreich, forderten während einer Telefonkon­ferenz der EU-Außenminis­ter*innen Sanktionen, die Israel hart treffen würden: Die Europäisch­e Union ist wichtigste Handelspar­tnerin des Landes. Doch der Koalitions­vertrag enthält auch eine Ausstiegsk­lausel: Bei der Entscheidu­ng zur Annektion müssten internatio­nale Verträge beachtet werden. Doch sicher ist auch: Netanjahu wird versuchen, die Annektion mit aller Macht durchzuset­zen. Denn nur so kann er sich neue Wähler am rechten Rand erschließe­n und sich die Unterstütz­ung Trumps sichern, der vor der Präsidents­chaftswahl den Erfolg seines Plans braucht.

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Foto: AFP/Jaaftar Ashtiyeh Ein Palästinen­ser und israelisch­e Sicherheit­skräfte während einer Demonstrat­ion am 15. Mai.

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