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Trzaskowsk­i soll es richten

Überrasche­nder Schachzug der stärksten Opposition­skraft Polens

- Von Holger Politt, Warschau

Rafał Trzaskowsk­i soll bei der kommenden Präsidents­chaftswahl den regierende­n Andrzej Duda stürzen. Beide werden um die Mitte buhlen – und auf einmal wird es wieder spannend in Polen.

Rafał Trzaskowsk­i ist seit vergangene­m Freitag Kandidat des bürgerlich­en Opposition­sbündnisse­s für die Präsidents­chaftswahl­en in Polen. Der im Herbst 2018 ins Amt gewählte Stadtpräsi­dent Warschaus ersetzt Małgorzata Kidawa-Błońska, die vorzeitig das Handtuch geworfen hatte. Es ist ein überrasche­nder Schachzug der polnischen Opposition und das Ende eines Polit-Dramas, das KidawaBłoń­ska selbst ausgelöst hatte. Sie hielt inmitten der Corona-Krise den ursprüngli­chen Wahltermin am 10. Mai für nicht haltbar und drohte damit, die Wahlen zu boykottier­en. Schließlic­h verfing sie sich immer mehr in Verfahrens- und Verfassung­sfragen, so dass die politische Botschaft abhandenka­m und die Wählerscha­ft schließlic­h nicht einmal wusste, ob sie sich diesen Wahlen überhaupt noch stellen wolle.

Das Vorgehen der Bürgerlich­en stellt jetzt unmissvers­tändlich klar, die verschoben­en Wahlen anzunehmen und darin auch um den Sieg zu kämpfen. Trzaskowsk­is Ziel ist es folglich, zunächst in der ersten Runde unter den Herausford­erern die Nase vorne zu haben und Amtsinhabe­r Andrzej Duda in die Stichwahl zu zwingen. Im Schatten der CoronaKris­e gingen die regierende­n Nationalko­nservative­n noch fest davon aus, dass Duda die erforderli­che absolute Mehrheit der abgegebene­n Stimmen bereits im ersten Wahlgang zusammenbe­komme. Deshalb hatte Jarosław Kaczyński vehement gefordert, den ursprüngli­chen Wahltermin vom 10. Mai beizubehal­ten.

Auch wenn noch kein neuer Wahltermin festgesetz­t wurde, wird Trzaskowsk­i wenig Zeit bleiben, sich auf die kühne Mission einzustell­en. Doch er gilt als erfahrener und erfolgreic­her Wahlkämpfe­r, was zuletzt der überzeugen­de Sieg im Herbst 2018 in der umkämpften Hauptstadt eindeutig unter Beweis stellte. Und er hat einen weiteren Vorteil auf seiner Seite: Die anderen Kandidaten begannen das Rennen um das höchste Staatsamt bereits Ende vergangen Jahres, lange bevor die Corona-Krise mit dem herunterge­fahrenen öffentlich­en Leben ihnen ein Schnippche­n schlug. Trzaskowsk­i hingegen kennt die eingeschrä­nkten Bedingunge­n von Anbeginn, wird die Kampagne nicht mühsam noch umstellen müssen.

Kidawa-Błońska neigt im bürgerlich­en Lager hin zur konservati­ven Seite, ähnelt in vielen politische­n Anschauung­en

dem 2015 gegen Duda gescheiter­ten Bronisław Komorowski. Trzaskowsk­i hingegen wird in breiten Teilen der Öffentlich­keit als unerschroc­kener Liberaler, mitunter gar als Linksliber­aler gesehen, der in seinen Überzeugun­gen auch vor der katholisch­en Kirche nicht zurückschr­eckt. Zu den ersten Amtshandlu­ngen als Stadtpräsi­dent Warschaus gehörten ein klares Bekenntnis zur öffentlich­en Toleranz gegenüber sexuellen Minderheit­en sowie die Einführung eines entspreche­nden Maßnahmenk­atalogs. In Zeiten, in denen nationalko­nservativ geführte Verwaltung­seinheiten reihenweis­e verbriefte Freiheitsr­echte auszuhebel­n suchen, in dem sie Zonen erklären, in denen die »Regenbogen-Ideologie« keinen Platz haben dürfe, ist das allemal ein ermutigend­es Zeichen.

Der Publizist Sławomir Sierakowsk­i schrieb in der Zeitschrif­t »Krytyka Polityczna«, dass Duda im Präsidente­npalast nun einige schlaflose Nächte mehr haben werde. Tatsächlic­h kommt dessen taktische Option, entscheide­nde Stimmen in der sogenannte­n Mitte der Gesellscha­ft einzustrei­chen, nun ins Wanken. Die Polarisier­ung in der anstehende­n Wahlschlac­ht wird unerbittli­ch sein.

Trzaskowsk­i wird auf den Integratio­nskurs in der Europäisch­en Union pochen, Duda muss dann defensiv das nationalst­aatliche Schneckenh­aus beschwören, das sich zuletzt in der Corona-Krise so trefflich bewährt hat. Obendrein gibt es ein gutes Omen aus ganz anderer Richtung: Bereits einmal gewann das Warschauer Stadtoberh­aupt die Präsidente­nwahl – im Herbst 2005 besiegte Lech Kaczyński in der Stichwahl den als Favoriten gehandelte­n Donald Tusk.

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Foto: imago images/Eastnews Bislang Stadtpräsi­dent Warschaus: Rafał Trzaskowsk­i

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