nd.DerTag

Rechte Selbstinsz­enierung vereitelt

Antifaschi­sten setzten den Hygiene-Demonstrat­ionen ihren Protest entgegen

- Von Philip Blees

An zentralen Plätzen in Berlin-Mitte kam es auch an diesem Wochenende zu zahlreiche­n Demonstrat­ionen gegen die Verordnung­en im Rahmen der Coronakris­e. Nicht immer verlief der Protest friedlich.

Politisch dominieren am Samstag in Berlin-Mitte die Antifaschi­st*innen. Vor dem Hintergrun­d der Ausschreit­ungen zwischen rechten Hooligans und der Polizei am vergangene­n Wochenende demonstrie­ren Hunderte gegen Faschist*innen und Verschwöru­ngstheorie­n rund um die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronaviru­s. Am Alexanderp­latz und am RosaLuxemb­urg-Platz sind mehrere Kundgebung­en gegen Antisemiti­smus und Rassismus angemeldet. Doch wenn auch größere Ausschreit­ungen bis zum frühen Abend ausbleiben, kommt es immer wieder zu Rangeleien zwischen Rechten und der Polizei. Die meldet bis 18 Uhr 200 vorläufige Festnahmen – Tendenz steigend.

Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, wo die Proteste gegen die CoronaMaßn­ahmen begannen, demonstrie­ren am Samstag Antifaschi­st*innen. »Der Rosa-Luxemburg-Platz bleibt links«, sagt vor Ort Markus Tervooren, Geschäftsf­ührer des Berliner Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s, dem VVN-BdA. Er beteiligt sich nicht das erste Mal an diesen Protesten gegen die sogenannte­n HygieneDem­os. »Für uns ist das eine rechte Massenbewe­gung«, sagt er. Tervooren sieht darin Parallelen zu Pegida.

Rechte Massen sieht man diesmal jedoch auch am Alexanderp­latz nicht. Die Szenerie wird klar von Gegendemon­strant*innen bestimmt. Eine Versammlun­g richtet das Kulturbünd­nis Reclaim Club Culture (RCC) aus: »Wir wollen einen Gegenpunkt schaffen«, sagt die RCC-Sprecherin, die sich Rosa Rave nennt. Die Kundgebung ist auf 50 Teilnehmer*innen limitiert. Sie richtet sich nicht nur gegen die Anhänger von Verschwöru­ngstheorie­n, sondern fordert zu solidarisc­hem Handeln in der Krise auf. »Solidaritä­t brauchen Viele«, sagt Rave und verweist beispielsw­eise auf die katastroph­ale Lage der Flüchtling­scamps auf der griechisch­en Insel Moria. Im Gegensatz zu den Hygiene-Demonstran­t*innen kritisiere RCC die deutsche Politik, ohne dabei antisemiti­sche Stereotype zu bedienen.

Kritik übt die Kundgebung­ssprecheri­n an der Polizei. »Es ist erstaunlic­h, wie viel Repression wir erfahren«, sagt sie. So sei der Generator des Lautsprech­erwagens kurzzeitig beschlagna­hmt worden, hätten Personen

Platzverwe­ise erhalten. Zudem ließen die Beamt*innen keine Teilnehmer*innen mehr zur Versammlun­g, obwohl die Höchstzahl noch nicht erreicht ist.

Vor Ort verfolgen auch Mitglieder des Abgeordnet­enhauses das Geschehen. »Es sind relativ viele Personen auf der Straße«, sagt die Abgeordnet­e June Tomiak (Grüne). Sie habe nur vereinzelt Rechte gesehen, die Lage sei unübersich­tlich. Diese Einschätzu­ng bestätigt auch Sebastian Schlüsselb­urg von der Linksfrakt­ion. Angesichts der Versammlun­gslage hält er eine Überarbeit­ung der Eindämmung­sverordnun­g für sinnvoll. Am Montag soll im Abgeordnet­enhaus über die momentane Obergrenze bei Versammlun­gen diskutiert werden. Die Regierungs­fraktionen möchten diese wohl abschaffen, so dass dann nur noch Hygienevor­schriften einzuhalte­n wären.

Vor allem das Abstandsge­bot wird bei den rechten Protesten weitgehend ignoriert. Da der Rosa-LuxemburgP­latz und der Alexanderp­latz von der

Polizei abgeriegel­t und durch Linke besetzt sind, weichen viele von ihnen auf das Brandenbur­ger Tor und vor allem zum Reichstag aus. Dort verbreitet der Koch Attila Hildmann seine Verschwöru­ngstheorie­n und verharmlos­t erneut den Nationalso­zialismus. Um ihn herum bildet sich hinter

Polizeiabs­perrungen eine große Menschentr­aube. Als die Polizei die Wiese räumt, kommt es zu tumultarti­gen Szenen. Abgedrängt machen sich viele auf den Weg Richtung Alexanderp­latz, darunter erneut Hooligans und Neonazis. Am frühen Abend kommt es am Neptunbrun­nen zu Auseinande­rsetzungen.

Dennoch sind die Sicherheit­skräfte zufrieden. »Das Konzept der Polizei ist aufgegange­n«, sagt Sprecherin Anja Dierschke. »Es gab keine Flaschenwü­rfe«, hebt sie hervor, auch wenn die rund 1000 Einsatzkrä­fte immer wieder angegangen worden seien. Am Reichstags­gebäude und im Umfeld des Alexanderp­latzes sei die Stimmung gegenüber den Polizeibea­mt*innen bisweilen sehr aggressiv gewesen. Dies sei zumeist von kleinen Gruppen Neonazis ausgegange­n.

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) hatte im Vorfeld in einer Videoanspr­ache an die Bürger gemahnt: »Lassen Sie sich nicht von Extremiste­n instrument­alisieren!« Die Virusgefah­r sei noch nicht vorbei, daher solle man sich besser von Zahlen und Fakten leiten lassen als von »wirren Reden der Verschwöru­ngstheoret­iker«. Das Auftauchen von Rechtsextr­emist*innen und Hooligans auf den Demonstrat­ionen verurteilt­e der Innensenat­or mit den Worten: »Das sind Demokratie­verächter.«

»Es ist erstaunlic­h, wie viel Repression wir seitens der Polizei erfahren.«

Rosa Rave, Reclaim Club Culture

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Foto: dpa/Christophe Gateau Auf dem Alexanderp­latz bei einer Protestkun­dgebung gegen die Hygiene-Demonstrat­ionen

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