Rechte Selbstinszenierung vereitelt
Antifaschisten setzten den Hygiene-Demonstrationen ihren Protest entgegen
An zentralen Plätzen in Berlin-Mitte kam es auch an diesem Wochenende zu zahlreichen Demonstrationen gegen die Verordnungen im Rahmen der Coronakrise. Nicht immer verlief der Protest friedlich.
Politisch dominieren am Samstag in Berlin-Mitte die Antifaschist*innen. Vor dem Hintergrund der Ausschreitungen zwischen rechten Hooligans und der Polizei am vergangenen Wochenende demonstrieren Hunderte gegen Faschist*innen und Verschwörungstheorien rund um die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Am Alexanderplatz und am RosaLuxemburg-Platz sind mehrere Kundgebungen gegen Antisemitismus und Rassismus angemeldet. Doch wenn auch größere Ausschreitungen bis zum frühen Abend ausbleiben, kommt es immer wieder zu Rangeleien zwischen Rechten und der Polizei. Die meldet bis 18 Uhr 200 vorläufige Festnahmen – Tendenz steigend.
Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, wo die Proteste gegen die CoronaMaßnahmen begannen, demonstrieren am Samstag Antifaschist*innen. »Der Rosa-Luxemburg-Platz bleibt links«, sagt vor Ort Markus Tervooren, Geschäftsführer des Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, dem VVN-BdA. Er beteiligt sich nicht das erste Mal an diesen Protesten gegen die sogenannten HygieneDemos. »Für uns ist das eine rechte Massenbewegung«, sagt er. Tervooren sieht darin Parallelen zu Pegida.
Rechte Massen sieht man diesmal jedoch auch am Alexanderplatz nicht. Die Szenerie wird klar von Gegendemonstrant*innen bestimmt. Eine Versammlung richtet das Kulturbündnis Reclaim Club Culture (RCC) aus: »Wir wollen einen Gegenpunkt schaffen«, sagt die RCC-Sprecherin, die sich Rosa Rave nennt. Die Kundgebung ist auf 50 Teilnehmer*innen limitiert. Sie richtet sich nicht nur gegen die Anhänger von Verschwörungstheorien, sondern fordert zu solidarischem Handeln in der Krise auf. »Solidarität brauchen Viele«, sagt Rave und verweist beispielsweise auf die katastrophale Lage der Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Moria. Im Gegensatz zu den Hygiene-Demonstrant*innen kritisiere RCC die deutsche Politik, ohne dabei antisemitische Stereotype zu bedienen.
Kritik übt die Kundgebungssprecherin an der Polizei. »Es ist erstaunlich, wie viel Repression wir erfahren«, sagt sie. So sei der Generator des Lautsprecherwagens kurzzeitig beschlagnahmt worden, hätten Personen
Platzverweise erhalten. Zudem ließen die Beamt*innen keine Teilnehmer*innen mehr zur Versammlung, obwohl die Höchstzahl noch nicht erreicht ist.
Vor Ort verfolgen auch Mitglieder des Abgeordnetenhauses das Geschehen. »Es sind relativ viele Personen auf der Straße«, sagt die Abgeordnete June Tomiak (Grüne). Sie habe nur vereinzelt Rechte gesehen, die Lage sei unübersichtlich. Diese Einschätzung bestätigt auch Sebastian Schlüsselburg von der Linksfraktion. Angesichts der Versammlungslage hält er eine Überarbeitung der Eindämmungsverordnung für sinnvoll. Am Montag soll im Abgeordnetenhaus über die momentane Obergrenze bei Versammlungen diskutiert werden. Die Regierungsfraktionen möchten diese wohl abschaffen, so dass dann nur noch Hygienevorschriften einzuhalten wären.
Vor allem das Abstandsgebot wird bei den rechten Protesten weitgehend ignoriert. Da der Rosa-LuxemburgPlatz und der Alexanderplatz von der
Polizei abgeriegelt und durch Linke besetzt sind, weichen viele von ihnen auf das Brandenburger Tor und vor allem zum Reichstag aus. Dort verbreitet der Koch Attila Hildmann seine Verschwörungstheorien und verharmlost erneut den Nationalsozialismus. Um ihn herum bildet sich hinter
Polizeiabsperrungen eine große Menschentraube. Als die Polizei die Wiese räumt, kommt es zu tumultartigen Szenen. Abgedrängt machen sich viele auf den Weg Richtung Alexanderplatz, darunter erneut Hooligans und Neonazis. Am frühen Abend kommt es am Neptunbrunnen zu Auseinandersetzungen.
Dennoch sind die Sicherheitskräfte zufrieden. »Das Konzept der Polizei ist aufgegangen«, sagt Sprecherin Anja Dierschke. »Es gab keine Flaschenwürfe«, hebt sie hervor, auch wenn die rund 1000 Einsatzkräfte immer wieder angegangen worden seien. Am Reichstagsgebäude und im Umfeld des Alexanderplatzes sei die Stimmung gegenüber den Polizeibeamt*innen bisweilen sehr aggressiv gewesen. Dies sei zumeist von kleinen Gruppen Neonazis ausgegangen.
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte im Vorfeld in einer Videoansprache an die Bürger gemahnt: »Lassen Sie sich nicht von Extremisten instrumentalisieren!« Die Virusgefahr sei noch nicht vorbei, daher solle man sich besser von Zahlen und Fakten leiten lassen als von »wirren Reden der Verschwörungstheoretiker«. Das Auftauchen von Rechtsextremist*innen und Hooligans auf den Demonstrationen verurteilte der Innensenator mit den Worten: »Das sind Demokratieverächter.«
»Es ist erstaunlich, wie viel Repression wir seitens der Polizei erfahren.«
Rosa Rave, Reclaim Club Culture