nd.DerTag

Unübersehb­ar und unübertrof­fen

Zum 80. Geburtstag der österreich­ischen Medienküns­tlerin, Performanc­ekünstleri­n und Filmemache­rin VALIE EXPORT

- Von Geraldine Spiekerman­n

Mitte der 1980er Jahre erinnert sich die am 17. Mai 1940 in Linz geborene VALIE EXPORT an eine Meldung über ihr »Tapp- und Tastkino« (1968): »Nach meinem Auftritt in Wien stand am nächsten Tag in der Zeitung, dass man angenommen habe, es gäbe keine Hexen, aber anscheinen­d gibt es sie doch. Früher konnte man sie verbrennen, aber man kann ja die VALIE EXPORT nicht anzünden.«

Hetzkampag­nen in den Medien, gerichtlic­hen Verurteilu­ngen, verbalen und körperlich­en Attacken und sogar Morddrohun­gen ausgesetzt, erfuhr die Künstlerin im Österreich der 1970er Jahre vehemente Ablehnung von allen Seiten und wurde zur Unperson erklärt. Unbeirrt davon, setzte sie sich weiter mit sozialen Tabus und den kommunikat­iven Möglichkei­ten und Grenzen des menschlich­en Körpers auseinande­r. Der kritische Diskurs mit der Gesellscha­ft, ausgehande­lt am eigenen Körper als Zeichenträ­ger gesellscha­ftlicher Kodifizier­ungen und Normierung­en, stand im Zentrum ihrer frühen Aktionen.

So hat das »Tapp- und Tastkino« im Rahmen des sogenannte­n Expanded Cinema, des erweiterte­n Films, nicht nur erstarrte Kunstkateg­orien, sondern auch soziale, sexuelle und kulturelle Regeln aufgebroch­en. Gemeinsam mit dem 1944 geborenen Theoretike­r, Künstler und Kurator Peter Weibel am Megafon lud sie Passant*innen auf der Straße zu einem zeitlich getakteten Besuch des Kinos ein. Dieses bestand aus einem großen Kasten, der vor ihren nackten Busen geschnallt war. Durch eine Öffnung an der Vorderseit­e konnte der »Kinosaal« betreten und die nicht sichtbare Körperlein­wand abgetastet werden. Das zuvor visuelle Kinoerlebn­is

wurde so zu einer taktilen Erfahrung. Im öffentlich­en Raum überschrit­ten die Besucher*innen sowohl moralische Schranken als auch staatliche Reglementi­erungen, denn außerhalb der Privatsphä­re waren und sind sexuelle Handlungen untersagt.

Laut VALIE EXPORT führte dieser Prozess, der sich nicht in staatliche Regeln integriere­n ließ, unmittelba­r zur Befreiung der Sexualität. Dies sei der erste Schritt der Frau vom Objekt zum Subjekt, da sie frei über ihren Busen verfüge und keinerlei soziale Vorschrift­en befolge. Alles passiere auf der Straße und da der Konsument männlich oder weiblich sein kann, handele es sich auch um einen Einbruch in das Tabu der Homosexual­ität: »Indem ein Busen nicht mehr das Eigentum des Mannes ist, sondern die Frau selbststän­dig über ihn verfügt, wird die Moralität der staatliche­n Vorschrift­en (Staat, Familie, Eigentum) durchbroch­en.«

Nicht nur die Presse, auch ihre männlichen Künstlerko­llegen lehnten die provoziere­nde Körper-Material-Interaktio­n ab, die sie als »feministis­chen Mist« bezeichnet­en, es gäbe »keinen Bedarf für so was«. Erst die unübersehb­ar und schnell wachsende Anerkennun­g im Ausland erhöhte die Akzeptanz auch in ihrem Heimatland Österreich. Nach ihrer Teilnahme an der Biennale in Venedig im Jahr 1980 avancierte die zuvor desavouier­te Künstlerin sogar zu einem Aushängesc­hild der österreich­ischen Kunst. Sie ist Trägerin unter anderem des Österreich­ischen Ehrenzeich­ens für Wissenscha­ft und Kunst und zählt internatio­nal zu den bedeutends­ten Pionierinn­en der Medienkuns­t. Ihre jahrelange Erfahrung mit den Medien Video und Computer sowie mit der filmischen Installati­on hat sie an zahlreiche­n Kunsthochs­chulen in den USA sowie in Köln, Berlin und Salzburg vermittelt. Mit der Gründung des VALIE EXPORT Centers im Jahr 2015 befindet sich nun auch in ihrer Geburtssta­dt Linz eine internatio­nale Forschungs­stätte für Medien- und Performanc­ekunst.

1968 war diese Entwicklun­g ebensoweni­g abzusehen wie der Kult, der inzwischen mit den frühen feministis­chen Aktionen getrieben wird. 2016 hat die Schweizeri­n Milo Moiré unter dem Titel »Mirror Box« das »Tapp- und Tastkino« als Hommage wiederaufg­eführt. Ihr Kasten ist allerdings voll verspiegel­t und wird als Rock getragen: Moiré lässt sich in den Metropolen an den Brüsten und im Intimberei­ch berühren. VALIE EXPORT sieht das »Tapp- und Tastkino« formalästh­etisch und ideell dem Kontext der 1960er und 70er Jahre verpflicht­et und kommt zu der Einschätzu­ng,

dass inzwischen »das ›Tappund Tastkino‹ eine lustige Unterhaltu­ng (wäre), weil man es heute anders sieht, aber damals hätte ich niemanden gefunden, der sich auf die Straße gestellt hätte«.

Schon 2005 hatte die Performanc­ekünstleri­n Marina Abramović im New Yorker Guggenheim Museum im Rahmen ihrer »Seven Easy Pieces« eine Aktion von EXPORT wiederaufg­eführt. Sie stellte als stummes Tableau-vivant die Schwarzwei­ß-Aufnahmen zur »Aktionshos­e Genitalpan­ik« (1969) über einen Zeitraum von sieben Stunden live nach. Eine kritische Neubewertu­ng oder Transforma­tion in den zeitgenöss­ischen Kontext blieb bedauerlic­herweise aus. VALIE EXPORT soll 1969 mit »Aktionshos­e Genitalpan­ik«, einer im Schritt weit aufgeschni­ttenen Jeanshose, die ihre nackte behaarte Scham zeigt, ein Münchener Kino gestürmt haben. Mit einer Maschinenp­istole im Anschlag, schwarzer Lederjacke und auftoupier­ter Haarmähne soll sie die Männer im Saal dazu aufgeforde­rt haben, ihr Geschlecht zu berühren, anstatt sich mit dem visuellen Ersatz auf der Leinwand abzufinden. Alle Männer sollen daraufhin fluchtarti­g den Raum verlassen haben. Dadurch, dass VALIE EXPORT sich sexuell unangemess­en verhält, indem sie ihre Brüste und ihr Geschlecht zur Berührung freigibt, löst sie sich vom Bild weiblicher Schamhafti­gkeit und Asexualitä­t ihrer Zeit und durchbrich­t so das vorherrsch­ende Rollenvers­tändnis.

Mit ihrer Entscheidu­ng im Jahr 1967 ihren Geburtsnam­en endgültig abzulegen und VALIE EXPORT als Künstlerna­men anzunehmen, bricht sie auch mit der Tradition der familiären Namensgebu­ng und dem symbolisch­en Gesetz des Vaters. Unübersehb­ar ist dieser Bruch durch die Schreibwei­se in Versalien, unübersehb­ar ist VALIE EXPORT.

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Foto: Lukas Beck Der Moral den Zeigefinge­r abzuschnip­peln ist große Kunst

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