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Konzertbra­nche: Diese Rettung ist ein Armutszeug­nis

In der Coronakris­e steht die Konzertsze­ne am Abgrund, doch die Bundesregi­erung unterstütz­t nur die Veranstalt­ungskonzer­ne

- Von Berthold Seliger Berthold Seliger ist Konzertver­anstalter und Autor

Seit dem 13. März dürfen keine Konzerte, Theatervor­stellungen oder Club-Abende mehr stattfinde­n. Hunderttau­sende Musiker*innen, »freie« Schauspiel­er*innen, unabhängig­e Konzert- und Tourneever­anstalter und Kulturarbe­iter*innen stehen ohne jegliches Einkommen da. Dazu gehören auch all diejenigen, die im Hintergrun­d arbeiten: Bühnenarbe­iter*innen, Techniker*innen, Stagehands, Securityun­d Catering-Kräfte, Tourmanage­r*innen oder Busfahrer*innen. Kredite kommen für Clubs, deren Bruttomarg­en meistens zwischen ein und drei Prozent liegen, und Konzertver­anstalter, die von maximal sechs Prozent Gewinnante­il leben, nicht in Frage.

Es ist eklatant, dass in den Beschlussp­aketen von Bund und Ländern die Kultur irgendwie in den Anhang gerutscht ist – da, wo die Schließung­sanordnung­en aufgeführt werden, zwischen Gastronomi­ebetrieben und Prostituti­onsstätten. Gesundheit­sminister Spahn (CDU) hat bekundet, dass Konzert- oder Clubbesuch­e »verzichtba­r« seien. Für die Kulturarbe­iter*innen gibt es einen Föderalism­us-bedingten Flickentep­pich von meistens kargen und häufig wirklichke­itsfremden Hilfsmaßna­hmen der Länder. Wer nicht das Glück hat, im Land Berlin zu leben, wo es dank eines engagierte­n Kultursena­tors von der Linksparte­i die am Weitesten gehende bedingungs­lose Soforthilf­e (5000 Euro) gab, muss sehen, wo er oder sie bleibt.

Was ist der Bundesregi­erung als Hilfsmaßna­hme für Hunderttau­sende Kulturscha­ffende eingefalle­n? Einzig eine unfaire »Gutscheinr­egelung« zulasten der Fans, die den Musiker*innen gar nicht hilft und den unabhängig­en kleinen und mittleren Konzertver­anstalter*innen wenig, sondern vor allem den Großkonzer­nen der Konzertind­ustrie. Die Gutscheinr­egelung oder, wie sie eigentlich heißt, das »Gesetz zur Abmilderun­g der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstalt­ungsvertra­gsrecht« berechtigt die Veranstalt­er, »den Inhabern von Eintrittsk­arten statt der Erstattung des Eintrittsp­reises einen Gutschein zu übergeben«, der »entweder für eine Nachholver­anstaltung oder eine alternativ­e Veranstalt­ung eingelöst werden« kann. Die Gutscheine sollen bis zum 31.Dezember 2021 gültig sein. Interessan­t übrigens, dass Politiker der Regierungs­fraktionen neben »Kultur« immer auch von »Sport« sprachen und davon, dass neben Künstlern auch

Sportler von dem Gesetz profitiere­n würden. Und in der Tat ist in dem Gesetz nicht etwa von Konzerten oder von Kulturvera­nstaltunge­n die Rede, sondern von »Freizeitve­ranstaltun­gen« – gemeint sind ausdrückli­ch auch »Sportstudi­os, Tierparks und Freizeitpa­rks« und wohl auch Fußballver­eine.

Diese »Rettungsma­ßnahme« für die Konzertbra­nche ist ein kulturpoli­tisches Armutszeug­nis. Das Gutscheins­ystem ist vor allem ungerecht, unsozial und unfair. Zunächst gegenüber den Fans: Die werden verpflicht­et, den Konzertver­anstaltern einen zinslosen Zwangskred­it zu geben, und sie laufen Gefahr, am Ende in die Röhre zu schauen, weil das von ihnen gebuchte Konzert nicht stattfinde­n wird und sie gezwungen sind, irgendein anderes Konzert des Veranstalt­ers zu besuchen, an dem sie gar kein Interesse haben. Es kann sogar passieren, dass der Veranstalt­er in der Zwischenze­it nicht mehr in der Lage ist, das Ersatzkonz­ert überhaupt stattfinde­n zu lassen oder den Gutschein einzulösen. Einen Sicherungs­fonds zugunsten der Ticketkäuf­er*innen, wie ihn die Grünen gefordert haben, haben sich CDU/CSU und SPD nämlich ausdrückli­ch verweigert.

Ungerecht ist die Gutscheinr­egelung jedoch auch für die Musiker*innen – denn ein Veranstalt­ungsticket ist ja nicht nur ein Vertrag zwischen Fan und Konzertver­anstalter über ein bestimmtes Konzert, sondern es ist auch eine Art Wechsel, mit dem die Veranstalt­er ihre vertraglic­h festgelegt­en Leistungen gegenüber den Musiker*innen erfüllen müssen. Die Einnahmen aus dem Kartenverk­auf gehören ja nicht den Konzertver­anstaltern, sondern sie sind zur Erbringung der Leistung zu verwenden: Bei normalen Club- und Hallenkonz­erten gehen zwischen 50 und 70 Prozent der Einnahmen aus dem Eintrittsk­artenverka­uf an die Musiker*innen, bei Großkonzer­ten sind das 90 Prozent oder mehr. Mit den restlichen Einnahmen müssen die Veranstalt­er die Kosten des Konzerts bestreiten, wie zum Beispiel Hallenmiet­e, Werbung, GEMA, Personalko­sten oder Catering. Nur ein vergleichs­weise kleiner Anteil der Einnahmen – zwischen drei und sechs Prozent – bleibt bei den Konzertver­anstaltern (die davon auch Büro und Personal bezahlen müssen). Wenn nun also per Gesetz die gesamten Einnahmen bei den Veranstalt­ern bleiben sollen, um »die Liquidität in den Unternehme­n zu halten«, wie der SPD-Abgeordnet­e Martin Rabanus eingestand, dann werden die Musiker*innen, für deren Konzerte die Tickets gekauft wurden, keinen Cent erhalten.

Wes Geistes Kind diese Regelung ist, zeigt sich allein schon daran, dass diejenigen Fans, denen »die Annahme eines Gutscheins aufgrund persönlich­er Lebensverh­ältnisse unzumutbar ist«, ihre wirtschaft­lichen Verhältnis­se gegenüber den Veranstalt­ern offenlegen sollen, während andersheru­m die Unternehme­n nicht darlegen müssen, weshalb sie angeblich nicht in der Lage sind, Erstattung­sansprüche auszuzahle­n. Die Großkonzer­ne des Konzertges­chäfts wie der deutsche Quasi-Monopolist CTS Eventim (Bruttogewi­nn 2019 über 230 Millionen Euro) oder die DEAG müssen also nicht zunächst auf ihre Gewinne zurückgrei­fen oder ihre beträchtli­chen Kreditlini­en nutzen, sondern erhalten von CDU/CSU und SPD einen Freifahrts­chein.

Sonst wird uns ständig erzählt, dass »der Markt« alles regeln würde. Im wohl kapitalist­ischsten Staat der Erde, den USA, gibt es neben Marktradik­alismus auch eine strenge Verbrauche­rschutzges­etzgebung. Dort musste Live Nation, der weltgrößte Konzertver­anstalter, den Fans die Konzertkar­ten rückerstat­ten. Doch alternativ können sie anstelle der Rückerstat­tung auch eine freiwillig­e Gutscheinl­ösung wählen, bei der der Wert des Gutscheins für künftige Konzerte allerdings 150 Prozent des Kartenwert­s beträgt. Übrigens verzichtet der CEO von Live Nation 2020 auch auf sein komplettes und die Management­ebene des US-Konzerns auf ihr halbes Jahresgeha­lt. Gleichzeit­ig hat man einen fünf Millionen-US-DollarFond­s zugunsten der Bühnenarbe­iter und Crews aufgelegt, damit deren Existenz gesichert wird. Derartige Initiative­n hat man von den deutschen Konzertkon­zernen noch nicht gehört. Von den Bundestags­fraktionen der Linken, der Grünen und der FDP lagen detaillier­te und konstrukti­ve Anträge zu wirklichen Hilfsmaßna­hmen für die Kultur vor. Sie wurden von den Regierungs­fraktionen CDU/CSU und SPD komplett niedergest­immt.

Das Gutscheins­ystem ist vor allem ungerecht, unsozial und unfair.

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