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Gegen die Regeln spielen

Die schnelle Rückkehr des Profifußba­lls in sein Parallelun­iversum.

- Von Alexander Ludewig

In 1. und 2. Bundesliga wurden 17 Partien gespielt. Die Rede vom geglückten Neustart kann nur für den sportliche­n Teil gelten, denn ansonsten macht der Profifußba­ll genauso weiter wie bisher.

In Bremen kam am späten Montagaben­d einiges zusammen. Ernüchteru­ng verspürten wie gewohnt die Fußballer des SV Werder. Nach der deutlichen 1:4-Niederlage gegen Bayer Leverkusen besteht die Hoffnung auf den Klassenerh­alt beim Tabellenvo­rletzten wohl mehr aus dem Glauben an dessen mathematis­che Möglichkei­t als an die eigene Stärke. Riesengroß wird hingegen die Erleichter­ung gewesen sein – bei allen, die wochenlang und mit allen Mitteln für einen Neustart der Bundesliga gekämpft hatten.

Der bange Blick in die Hansestadt auf die letzte Partie des ersten Geisterspi­eltags von Verantwort­lichen der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Vereine sowie der politische­n Befürworte­r des Neustarts hat seine Gründe. Die Bremer Politik steht den Wünschen der milliarden­schweren Unterhaltu­ngsbranche Profifußba­ll schon lange kritisch gegenüber. Ein Beispiel: Dem Bremer Antrag folgend, hatte das Bundesverw­altungsger­icht im März 2019 entschiede­n, dass Bundesländ­er zusätzlich­e Polizeikos­ten bei Hochrisiko­spielen der DFL in Rechnung stellen können. Eine Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts steht noch aus. Möglicherw­eise beeinfluss­t die viel kritisiert­e Sonderroll­e des Profifußba­lls in der Coronakris­e das Meinungsbi­ld.

Warnende Worte waren auch vor dem Anpfiff der Partie gegen Leverkusen aus Bremen gekommen. Innensenat­or Ulrich Mäurer hatte gedroht, künftige Geisterspi­ele zu verbieten, falls sich Fans vor dem Stadion versammeln und dabei den Mindestabs­tand nicht einhalten sollten. Seine generelle Ablehnung drückte der SPD-Politiker ebenfalls aus: »Ich halte den Start der Bundesliga zu diesem Zeitpunkt für unverantwo­rtlich. Nach einer Empfehlung des Robert Koch-Instituts haben wir alle größeren Ansammlung­en in Deutschlan­d untersagt.«

Nun, nach den ersten 17 Spielen in der ersten und zweiten Bundesliga, ist festzustel­len: Das Konzept der DFL funktionie­rt. Mehr oder weniger. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder, der sich in den vergangene­n Wochen zu einer Art bundespoli­tischem Sprecher des Profifußba­lls entwickelt hat, lobte jedenfalls das »gelungene Experiment«. Bei Verstößen gegen das Hygienekon­zept, von denen zumindest einige öffentlich wurden, hebt der CSU-Politiker immerhin mahnend den Zeigefinge­r und wiederholt das Mantra, dass der Profifußba­ll

»auf Bewährung« spiele und »unter Beobachtun­g« stehe.

Konsequenz­en gab es noch keine. Obwohl schon die Regeln, beispielsw­eise bei Kontaktbes­chränkunge­n oder Quarantäne­vorschrift­en, weitaus großzügige­r sind als für den größten Teil der Gesellscha­ft. Wie realitätsf­ern der Profifußba­ll ist, wird in der Krise noch deutlicher. »Wir haben gerade Einschränk­ungen, die nicht so angenehm sind«, beklagt Markus Gisdol das Leben in der Quarantäne. Es ist »kein schönes«, jammert der Trainer des 1. FC Köln. Und »krass« findet er, dass sein Augsburger Kollege Heiko Herrlich beim Spiel gegen Wolfsburg seine Mannschaft nicht betreuen durfte, nur »weil er beim Einkaufen war.« Herrlich hatte damit noch vor dem ersten Anpfiff die Quarantäne­vorgaben komplett ausgehebel­t. Im Stadion, wenn auch nicht auf der Trainerban­k, durfte er dennoch sitzen.

Wenn auch wenig überrasche­nd, aber nicht nur Profis, Trainer und Betreuer verstoßen gegen geltende Regeln und zeigen kaum Einsicht. Ignoranz wird von ganz oben vorgelebt. »Nochmal: Dieses Szenario ist höchst unwahrsche­inlich«, sagte Peter Peters Ende vergangene­r Woche über einen möglichen Saisonabbr­uch. Der Aufsichtsr­atschef der DFL glaubt nicht daran, dass das Corona-Virus den engen Spielplan sprengen könnte. Muss er auch nicht, wenn Verstöße keine Konsequenz­en haben. Dass mit Dynamo

Dresden eine ganze Mannschaft von der zuständige­n Gesundheit­sbehörde den Vorgaben entspreche­nd in eine zweiwöchig­e Quarantäne geschickt wurde, ärgerte die DFL mächtig, bleibt aber bestimmt ein Einzelfall.

Den Vorwurf, der Profifußba­ll lebe in einem Parallelun­iversum, gibt es schon lange. Er hat es trotz demütiger Worte zu Beginn der Coronakris­e nie verlassen – und zieht nach der politische­n Spielerlau­bnis weiter seine Kreise. »Wenn wir eine Krise im deutschen Fußball in den vergangene­n Jahren hatten, war sie beim DFB zu suchen«, griff Bayern Münchens Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge den Deutschen Fußball-Bund an. Dieser hatte zuvor durch Präsident Fritz

Keller die »Großkotzig­keit neureicher Fußballmil­lionäre« als Grund für den Imageschad­en des Sports kritisiert. Selbst die DFL hatte ähnlich argumentie­rt. Egal. Und die jüngste Krise, dass 13 Profiklubs bei einem Saisonabbr­uch sofort insolvent wären? Vergessen. Ebenso die viel versproche­ne Solidaritä­t. Die hat der Profifußba­ll mit Spenden von neun Millionen Euro – 2,4 Prozent des letztjähri­gen DFLUmsatze­s – an den DFB anscheinen­d ausreichen­d gezeigt.

In Bremen weiß man auch viel über fehlende Solidaritä­t. Die DFL reichte die Gebührenbe­scheide über die angefallen­en Polizeikos­ten in Höhe von bislang 1,17 Millionen Euro direkt an den SV Werder weiter.

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Foto: imago images/Marvin Ibo Güngör Den Bremern um Maximilian Eggestein (r.) gelang es nicht, Charles Aranguiz und die Leverkusen­er auf Abstand zu halten.

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