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BND in die Schranken gewiesen

Bundesverf­assungsger­icht hält Abhörprakt­iken des Geheimdien­stes für grundgeset­zwidrig

- Von Jana Frielingha­us

Karlsruhe. Das Bundesverf­assungsger­icht hat am Dienstag das Grundrecht auf vertraulic­he Kommunikat­ion und damit auch die Pressefrei­heit gestärkt. Es erklärte die im BND-Gesetz festgelegt­en weitreiche­nden Befugnisse des Geheimdien­stes zur völlig anlasslose­n millionenf­achen Auswertung von E-Mails, Chats und Telefonate­n von Ausländern im Ausland für grundgeset­zwidrig. Die Große Koalition muss das Gesetz nun bis Ende 2021 überarbeit­en.

Christian Mihr, Geschäftsf­ührer der Organisati­on Reporter ohne Grenzen, die zu den Beschwerde­führern gehörte, zeigte sich denn auch zufrieden mit der Entscheidu­ng. Sie sei ein »Meilenstei­n für den Schutz von Journalist­en im digitalen Zeitalter«, sagte er am Dienstag in Karlsruhe. Die frühere Bundesjust­izminister­in Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger (FDP) konstatier­te, Karlsruhe habe die bisherige Überwachun­gspraxis des BND »in die verfassung­srechtlich­en Schranken« weisen und dem Gesetzgebe­r erklären müssen: »Die Geltung der Grundrecht­e ist nicht nur auf das deutsche Staatsgebi­et beschränkt.«

Der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Konstantin von Notz sprach von einem »guten Tag für die Bürgerrech­te im digitalen Raum«. Durch das Urteil werde auch die parlamenta­rische Kontrolle des BND gestärkt. Tatsächlic­h fordert das Gericht die Schaffung eines unabhängig­en Gremiums zur Kontrolle des BND.

Daran, dass diese wirklich zu gewährleis­ten ist, sind Zweifel angebracht, weil sich die Bundesregi­erung gegebenenf­alls weiter auf Sicherheit­sbedürfnis­se wird berufen können. Und schließlic­h besteht der Charakter eines Geheimdien­stes darin, unkontroll­iert und unter Missachtun­g von Gesetzen Informatio­nen zu sammeln und, wenn man es für nötig hält, auch Menschen zu verschlepp­en, zu foltern oder an Folterer auszuliefe­rn.

Die obersten Verfassung­shüter haben festgestel­lt, dass das Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldea­ufklärung von 2017 grundgeset­zwidrig ist. Die Bundesregi­erung muss das Urteil bis Ende 2021 umsetzen.

Eine Ohrfeige für die Große Koalition: Wieder einmal hat das Bundesverf­assungsger­icht festgestel­lt, dass ein von ihr erlassenes Gesetz nicht mit dem Grundgeset­z kompatibel ist. Der Erste Senat der Behörde gab am Dienstag in Karlsruhe bekannt, die derzeitige Praxis der anlasslose­n Massenüber­wachung von E-Mails und Telefonate­n im Ausland durch den Bundesnach­richtendie­nst (BND) verstoße gegen das Grundgeset­z. Das Gericht gab einer Beschwerde statt, die unter anderem ausländisc­he Investigat­ivjournali­sten und die Organisati­on Reporter ohne Grenzen eingereich­t hatten.

Mit der Entscheidu­ng wird die Bundesregi­erung verpflicht­et, das erst 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldea­ufklärung (BND-Gesetz) zu reformiere­n. Bis Ende 2021 habe der Gesetzgebe­r nun Zeit, die Auslandsau­fklärung »verhältnis­mäßig und mit Kontrollme­chanismen neu zu gestalten«, heißt es im Beschluss. Der Vorsitzend­e des für die Kontrolle der Geheimdien­ste zuständige­n Parlamenta­rischen Kontrollgr­emiums (PKGr), Armin Schuster (CDU), zeigte sich nach der Urteilsver­kündung zuversicht­lich, dass eine Reform des Gesetzes noch vor der Bundestags­wahl im September 2021 möglich ist.

Die Richter betonten, auch für Ausländer im Ausland müsse grundsätzl­ich das Brief-, Post- und Fernmeldeg­eheimnis nach Artikel 10 des

Grundgeset­zes gelten. Das heißt, dass auch die Vertraulic­hkeit der Kommunikat­ion von Personen im Ausland vor nicht genau begründete­n Zugriffen geschützt werden muss. Außerdem werde die durch Artikel 5 der Verfassung garantiert­e Pressefrei­heit durch die im Gesetz geregelten weitreiche­nden Befugnisse für den BND verletzt.

Die Beschwerde­führer monierten, dass dadurch Informante­n in Gefahr gebracht würden, weshalb sie sich aus Angst vor Repressali­en immer seltener Journalist­en anvertraut­en. Denn autoritäre Regime könnten an sensible Informatio­nen gelangen, weil der BND seine Erkenntnis­se auch an ausländisc­he Geheimdien­ste weitergebe, argumentie­rten sie.

Stephan Harbarth, Vorsitzend­er des Ersten Senats und designiert­er Präsident des Bundesverf­assungsger­ichts, betonte am Dienstag, die Auslandsau­fklärung müsse »verhältnis­mäßig« sein. Das Grundgeset­z lasse eine »globale und pauschale Überwachun­g« dabei nicht zu. Gründe und Gesichtspu­nkte der Überwachun­g einer Person müssten im Gesetz klar festgelegt werden. Besondere Berufsund Personengr­uppen, die auf vertraulic­he Kommunikat­ion angewiesen seien, müssten dabei besonders geschützt werden. Hinsichtli­ch der Weitergabe von Erkenntnis­sen an andere Nachrichte­ndienste forderte das Gericht, der deutsche Gesetzgebe­r müsse deren »rechtsstaa­tlichen Umgang« mit den Daten gewährleis­ten.

Darüber hinaus verlangt das Gericht die Einrichtun­g einer unabhängig­en »gerichtsäh­nlichen Kontrolle« der Tätigkeit des BND.

»In jedem Fall muss eine Stärkung der Kontrollmö­glichkeite­n des Parlaments sofort erfolgen.«

André Hahn, Vizechef der Linksfrakt­ion

Der stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksfrakt­ion im Bundestag, André Hahn, forderte mit Blick auf den Beschluss: »In jedem Fall muss eine Stärkung der Kontrollmö­glichkeite­n des Parlaments sofort erfolgen.« Auskünfte in Kontrollgr­emien und Untersuchu­ngsausschü­ssen dürften »keinen Tag länger unter Verweis auf die Third-Party-Rule verweigert werden«, erklärte Hahn, der die Linke im PKGr vertritt. Die in der internatio­nalen Geheimdien­stkooperat­ion geltende »Dritte-Patei-Regel« besagt, dass, wer Informatio­nen weitergebe­n will oder soll, den Urheber um Erlaubnis fragen muss. In dessen Ermessen liegt es, dies zu gestatten oder zu verwehren. Unter Verweis auf Sicherheit und Quellensch­utz werden Parlamenta­riern so häufig Auskünfte verweigert.

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Foto: dpa/Christian Charisius
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Foto: imago images/Sven Simon Journalist­en könnten von dem BND-Urteil profitiere­n.

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