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Rot-Rot-Grün streitet über Bericht von Geheimdien­st

Verfassung­sschutz in Berlin sieht bei Ende Gelände Extremiste­n am Werk

- Von Philip Blees

Berlin. In der rot-rot-grünen Koalition in Berlin gibt es Streit um die Einstufung des Bündnisses »Ende Gelände« im Verfassung­sschutzber­icht 2019 als »linksextre­mistisch«. Diese Einschätzu­ng sei falsch und ein fatales Signal, erklärte der Berliner Abgeordnet­e Georg Kössler (Grüne). »Ende Gelände« sei eine Bewegung, die aus der Mitte der Bevölkerun­g komme und deren Aktionen für Klimaschut­z und gegen Kohle großen Rückhalt hätten. »Ende Gelände« ist in Deutschlan­d für seine großen Aktionen im Rheinische­n Revier oder in der Lausitz bekannt, mit denen das Bündnis den sofortigen Kohleausst­ieg gefordert hatte. Zuletzt protestier­te das Bündnis gegen ein Steinkohle­kraftwerk.

Der Berliner Verfassung­sschutzber­icht 2019 wurde am Dienstag im Roten Rathaus veröffentl­icht. Während Sicherheit­sbehörden gerne der Extremismu­stheorie anhängen, ist diese Theorie in der Wissenscha­ft sehr umstritten. Der Bundestags­abgeordnet­e Lorenz Gösta Beutin (Linke) erklärte am Dienstag: »Nach der Logik des Berliner Verfassung­sschutzes müsste man Gandhi als extremisti­sch einstufen.« Die Gruppe »Ende Gelände« protestier­e friedlich, die Einstufung sei ein Skandal und müsse rückgängig gemacht werden.

»Hate-Speech« ist ein Schwerpunk­t des aktuellen Verfassung­sschutzber­ichts. Viel Kritik gibt es an der Entscheidu­ng, das klimapolit­ische Bündnis Ende Gelände als linksextre­m beeinfluss­t zu bewerten.

Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) stellte am Dienstag den Verfassung­sschutzber­icht für das Jahr 2019 vor – und der birgt Einiges an Konfliktpo­tenzial. Erstmals widmet sich dort ein eigenes Sonderkapi­tel dem Thema »Hate-Speech« und den Auswirkung­en dieser Stimmungsm­ache, die vor allem auf Rechtsextr­emist*innen zurückzufü­hren ist. Diese werden von Geisel als besonders relevant erachtet.

Die Entwicklun­gen in den sogenannte­n extremisti­schen Szenen ist dabei von leichten Anstiegen des Personenpo­tenzials in allen Bereichen geprägt. Laut Verfassung­sschutz gibt es zehn Rechtsextr­eme mehr als im vergangene­n Jahr und einen Anstieg von 120 bei den Islamist*innen (siehe Kasten). In die Kategorie »Linksextre­mismus« werden vom Verfassung­sschutz 260 Personen mehr eingeordne­t, was auf den Mitglieder­zuwachs bei der Roten Hilfe zurückgehe. Die Zahl der sogenannte­n Reichsbürg­er*innen bleibt unveränder­t.

Neben den üblichen Gruppen, die als »linksextre­m« beeinfluss­t eingestuft werden, gibt es auch einen Neuzugang: Die Klimaktivi­st*innen von Ende Gelände, die zum Beispiel Kohlebagge­r im Lausitzer Revier besetzen, werden neuerdings auch als linksradik­alen Einflüssen unterworfe­n angesehen. Im Bericht, der »nd« vorliegt, wird dies damit begründet, dass die tatsächlic­hen Ziele des Bündnisses weit über den Klimaschut­z hinausging­en. Ende Gelände ist also »linksextre­m«, da auch antikapita­listische Positionen vertreten werden.

Daran gibt es scharfe Kritik: »Reichsbürg­er nicht als rechtsextr­em, aber Ende Gelände als linksextre­m einzustufe­n, ist ein Armutszeug­nis und nicht hinnehmbar«, stellt der Berliner Landesvors­itzende der Grünen, Werner Graf, noch vor der offizielle­n Vorstellun­g des Berichts klar. Dass der Verfassung­sschutz angesichts der gravierend­en rechtsextr­emen Gewalt links und rechts gleichsetz­t, stelle seine Existenz in Frage. »Wer für den Kohleausst­ieg kämpft, rettet unseren Planeten.« Und sei keine Bedrohung für die Verfassung.

»Das ist eine Diskrediti­erung«, sagt auch der innenpolit­ische Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus,

Niklas Schrader, zu »nd«. Der Verfassung­sschutz trage damit zur Kriminalis­ierung der Klimaschut­zbewegung bei. Die Begründung der Behörde sei dünn, der Vorwurf, Ende Gelände ginge es gar nicht ums Klima nicht haltbar, berichtet der Abgeordnet­e, der die Senatsfass­ung des Berichts vorab lesen durfte.

Innensenat­or Geisel verteidigt dagegen die Einschätzu­ng: »Wir haben sorgfältig differenzi­ert.« Man habe zwischen »linksextre­men« Teilen der Gruppierun­g wie der Interventi­onistische­n Linken, die angeblich den radikalen Teil des Protests steuert, und den Personen, die für eine bessere Welt kämpfen, unterschie­den. Der Bericht schlage der Klimabeweg­ung eine Trennung von den angeblich extremisti­schen Teilnehmer*innen vor.

»Das ist keine Überraschu­ng«, sagt Schrader. Im Verfassung­sschutz handele man oft im Geist, dass der Feind links steht – »Antikommun­ismus« nennt er das. »Das ist die Art, wie der Verfassung­sschutz arbeitet.« Im Bericht werde beispielsw­eise auch nur ein »vermeintli­cher« Rechtsruck benannt. »Als wäre das ein Hirngespin­st!«

Dabei wird im 214 Seiten starken Bericht erstmals seit der Selbstentt­arnung des NSU wieder das Wort »Rechtsterr­orismus« benutzt. So werden Anschläge wie jener im neuseeländ­ischen Christchur­ch, aber auch jener in Halle oder die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke genannt. »Der Rechtsterr­orismus hat 2019 eine weltweite Blutspur hinter sich hergezogen«, sagt Innensenat­or Geisel. Er möchte mit aller Vehemenz Hetze und Diskrimini­erung widersprec­hen. Denn: »Diese Gewalt kommt nicht aus dem Nichts.« Sie wurzele beispielsw­eise schon in Bedrohunge­n im Internet.

Organisato­risch ordnet Geisel die meisten Rechtsextr­emist*innen immer noch der NPD zu. Doch auch die freien Kräfte seien relevant. Mittlerwei­le seien rund die Hälfte der Faschist*innen nicht mehr fest in der Szene organisier­t. Dieser Entwicklun­g soll auch der Bericht gerecht werden. So konzentrie­rt sich dieser eher auf die Aktivitäte­n der Rechten und nicht auf deren Organisier­ung. Wobei Geisel auch auf die neonazisti­sche Anschlagss­erie in Neukölln eingeht. »Wir setzen weiterhin alles daran diese Serie aufzukläre­n«, so sein Verspreche­n.

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Foto: imago images/Tim Wagner Extrem unterwegs? Klimaschüt­zer von Ende Gelände wollen das Weltklima retten.

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