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Beifall vom Balkon reicht nicht

Beschäftig­te der Krankenhäu­ser wenden sich an zuständige Ministerin und Senatorin

- Von Andreas Fritsche

3500 Beschäftig­te brandenbur­gischer Krankenhäu­ser unterschri­eben eine Petition. Sie fordern mehr Schutz und Anerkennun­g – so wie ihre Kollegen in Berlin es auch tun.

Es ist ein Gedankenex­periment, zu dem Heiko Piekorz von der Asklepios-Psychiatri­eklinik Lübben eingeladen hat. Er nimmt Brandenbur­gs Gesundheit­sministeri­n Ursula Nonnemache­r (Grüne) mit zu einem Nachtdiens­t auf einer Station mit 24 Patienten: Verwirrte schreien um Hilfe, Suizidgefä­hrdete müssen im Blick behalten werden, ein Inkontinen­ter benötigt eine frische Windel ... Der Krankenpfl­eger ist allein mit diesen Aufgaben. Völlig überlastet grübelt er nach seiner Schicht, ob er allen Patienten ihre Tabletten gegeben und bei der Dienstüber­gabe nicht vergessen hat, seinen Kollegen etwas Wichtiges zu sagen. Piekorz möchte der Ministerin den Personalma­ngel im Gesundheit­swesen vor Augen führen. Das hat er bereits bei früheren Begegnunge­n gesagt. »Es ist nichts besser geworden, aber einiges schlechter«, beklagt er.

Am Montagaben­d unterhält sich Nonnemache­r auf Einladung der Gewerkscha­ft Verdi bei einer Videokonfe­renz eine Stunde lang mit Krankensch­western und Betriebsrä­ten. Bei der Gelegenhei­t werden symbolisch 3500 Unterschri­ften übergeben. Beschäftig­te der Krankenhäu­ser fordern Sicherheit und die Anerkennun­g ihrer Arbeit. Klatschen auf dem Balkon reicht ihnen dafür nicht aus.

In Berlin gibt es eine vergleichb­are Bestrebung. Diesen Mittwoch um 11 Uhr wollen Beschäftig­te des Universitä­tsklinikum­s Charité und der landeseige­nen Vivantes-Kliniken am Roten Rathaus tausende Briefe an Gesundheit­ssenatorin Dilek Kalayci (SPD) übergeben. »Es geht im Wesentlich­en um mehr Schutz, Schutzausr­üstung und Desinfekti­onsmittel«, erläutert Gewerkscha­ftssekretä­r Marco Pavlik.

Brandenbur­gs Gesundheit­sministeri­n Nonnemache­r benötigt keine besondere Vorstellun­gskraft, um Heiko Piekorz folgen zu können. 26 Jahre hat sie als Ärztin im Krankenhau­s gearbeitet. Ihr Mann tut es heute noch. »Sie rennen da bei mir offene Türen ein«, versichert die Ministerin. Sie hofft, dass Bundespoli­tik und Gesellscha­ft endlich einsehen, »wie wichtig unsere Krankenhäu­ser sind«. Mit einer gesetzlich­en Personalun­tergrenze tut sie sich dennoch schwer. Denn was würde das bedeuten für Kliniken, die kein zusätzlich­es Personal finden? Die müssten dann geschlosse­n werden. Das gehe doch nicht.

Wenn anständig bezahlt würde und weniger Stress wäre, gäbe ein keinen Mangel, glauben ihre Gesprächsp­artner. Denn in Deutschlan­d haben sich 220 000 Krankensch­western und -pfleger wegen schlechter Bezahlung und hoher Arbeitsbel­astung andere Jobs gesucht. Diese wäre bereit, bei besseren Bedingunge­n zurückzuke­hren. Doch von 52 Krankenhäu­sern

in Brandenbur­g, darunter 22 kommunale, zahlen nur zwei den Tarif des öffentlich­en Dienstes – das Städtische Klinikum Brandenbur­g/Havel und ganz neu das Ernstvon-Bergmann-Klinikum Potsdam. Sonst lässt die Bezahlung zu wünschen übrig. Einige Mitarbeite­r der Fahrdienst­e oder der Labore erhalten gerade einmal ein paar Cent mehr als den gesetzlich­en Mindestloh­n.

Nonnemache­r bedauert, sie könne Tariflöhne nicht anordnen. In Potsdam habe das Stadtparla­ment entschiede­n. Die Belegschaf­ten müssten sich in der Gewerkscha­ft organisier­en und Betriebsrä­te wählen, regt Referatsle­iter Michael Zaske an, der neben Nonnemache­r sitzt.

Andreas Kutsche vom Städtische­n Klinikum Brandenbur­g/Havel nennt die in der Coronakris­e herabgeset­zten Standards für die Schutzausr­üstung einen »Riesenskan­dal und eine Zumutung«. So sollten Einweg-Masken

wegen Lieferschw­ierigkeite­n mehrfach verwendet werden, obwohl sie dann fast zwecklos sind.

Nonnemache­r erklärt, die Materialbe­schaffung sei Aufgabe der Kliniken. Das Land sei angesichts der Engpässe eingesprun­gen und habe für 20 Millionen Euro eingekauft und die Produkte gratis verteilt. Im Juni solle diese Hilfe auslaufen, ergänzt Zaske. Dann könnten die Kliniken beim Zentraldie­nst der Polizei bestellen. Das Land wolle einen Vorrat für vier Monate anlegen, um für eine zweite Welle von Corona-Infektione­n gewappnet zu sein.

Die erste Welle ebbt ab. Am Montagnach­mittag hob das Gesundheit­samt der Stadt Potsdam den Aufnahmest­opp für das Bergmann-Klinikum auf. Dort hatte das Virus schlimm gewütet. Eine Expertenko­mmission unter Leitung von Ex-Gesundheit­sministeri­n Anita Tack (Linke) soll die Ursachen aufklären.

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Foto: imago images/Rainer Weisflog Im Krankenhau­s Spremberg

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