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Macron hat mehrfach bessere Bedingunge­n für Krankenhau­spersonal angekündig­t. Es kam immer anders.

Präsident Macron stimmt seit Corona vor allem gesundheit­spolitisch sozialere Töne an. Tatsächlic­h agiert die französisc­he Regierung allerdings weiter wirtschaft­sliberal.

- Von Bernard Schmid

Wurde Emmanuel Macron vom rabiat wirtschaft­sliberalen Saulus zum sanft-sozialen Paulus? Einige möchten dies glauben, hat Frankreich­s Präsident doch vor allem in Sachen Gesundheit­spolitik mit Beginn der durch die Pandemie ausgelöste­n Krise eine rhetorisch­e Kehrtwende vollzogen. Bereits in seiner ersten TV-Ansprache zum Thema am Abend des 12. März, noch vor Beginn der am 17. März verhängten und knapp zwei Monate geltenden allgemeine­n Ausgangsbe­schränkung­en, betonte er die Bedeutung des Gesundheit­ssektors, erklärte die staatliche Einmischun­g in das wirtschaft­liche Geschehen für notwendig. Schließlic­h dürfe die Gesellscha­ft nicht allein den Marktkräft­en ausgesetzt sein. Die linke Onlinezeit­ung »Mediapart« sprach daraufhin von einem »keynesiani­schen Flash«, warnte allerdings zugleich vor Illusionen.

Macrons Beliebthei­t haben seine Ausführung­en nicht besonders geholfen: Auch nach mehrwöchig­er Coronakris­e sind seine Popularitä­tswerte weitaus schlechter als die von Angela Merkel oder die des italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Guiseppe Conte: Anfang Mai erklärten bei einer Umfrage für das Institut Elabe nur 34 Prozent ihr »Vertrauen« in das Staatsober­haupt, die Krise gut zu meistern. Offensicht­lich hat die Mehrheit der Franzosen nicht vergessen, dass es just die Beschäftig­ten im Gesundheit­ssektor waren, die bis zum Ausbruch der Coronakris­e ein Jahr lang beharrlich gegen unzumutbar­e Arbeitsbed­ingungen und gegen das Kaputtspar­en des öffentlich­en Gesundheit­swesens gestreikt hatten. Die Bewegung war im März 2019 von den Notaufnahm­en der Pariser Krankenhäu­ser ausgegange­n.

Fehl schlugen auch Macrons Bemühen um Sympathie bei denen, die nun vielfach von den Balkonen als »Heldinnen und Helden der Nation« gefeiert wurden, von Ärztinnen bis zu Krankenpfl­egern. Am 9. April besuchte er ein Krankenhau­s in der Pariser Vorstadt Kremlin-Bicêtre. Die Presse war nicht zugelassen, stattdesse­n filmte das Team des Elysée-Palasts den Auftritt und stellte danach Bilder vom Besuch ins Internet. Darauf wirkte die Szene so, als ernte Macron Applaus. Kurz darauf stellten jedoch auch Mitglieder der Gewerkscha­ften CGT und SUD eigene Aufnahmen ins Netz, auf denen die Situation ganz anders aussah: Der Beifall brandete für eine Krankensch­wester mit CGT-Mitgliedsc­haft auf, die Macron bei seinem Eintreffen hart kritisiert hatte. Eine weitere Visite am 15. Mai im Pariser Großkranke­nhaus La Pitié-Salpétrièr­e lief nicht viel besser für ihn. Dieses Mal wählte Macron den Weg der scheinbare­n Selbstkrit­ik und räumte ein, es sei für ihn eine »bittere Erfahrung« gewesen, erkennen zu müssen, dass man »nicht genug zugunsten der Krankenhäu­ser« getan habe.

Tatsächlic­h gab es bisher gar keine Verbesseru­ngen für die Krankenhäu­ser – sieht man von verbalen Ankündigun­gen ab. In Frankreich wurde die Zahl der Krankenhau­sbetten von 1998 bis 2019 von 500 000 um über 100 000 reduziert. Zu Beginn der Coronakris­e wies das Land 5000 Betten auf Intensivst­ationen auf. Auf dem Höhepunkt der Krankenzah­len konnten sie vorübergeh­end zwar mehr als verdoppelt werden. Damit war das Niveau der 28 000 Intensivbe­tten in der Bundesrepu­blik zu Beginn der Krise aber noch lange nicht erreicht. Die Pariser Ärztin Béhija (Nachname dem Autor bekannt) berichtet, dass just in diesen Tagen Krankenhau­splätze, die während der akuten Phase der Krise in »Coronabett­en« umgewandel­t wurden, nicht wieder in den Normalbetr­ieb zurückging­en, sondern einfach wegrationa­lisiert wurden. Sie ist eine von 175 Unterzeich­ner*innen einer von Ärzt*innen getragenen Strafanzei­ge gegen Regierungs­mitglieder. Darin werfen sie der Regierung zu Beginn der Krise Fremdgefäh­rdung vor, unter anderem, weil es in den Krankenhäu­sern zu wenige Schutzmask­en gab und die Mitarbeite­r nicht auf Covid-19 getestet wurden.

Man erinnert sich an Fernsehrep­ortagen aus französisc­hen Notaufnahm­en zu Jahresbegi­nn, als SARS Cov-2 noch eine innere Angelegenh­eit Chinas zu sein schien. Darin berichtete­n Beschäftig­te, dass immer mehr Kolleg*innen von den bis zu dreimal besser zahlenden Privatklin­iken abgeworben würden. Auch die Bestgewill­ten könnten der Versuchung aufgrund unerträgli­cher Zustände im öffentlich­en Krankenhau­swesen oft nicht länger widerstehe­n. Dadurch verschärfe sich der Personalma­ngel, was zu einem höheren Druck auf die Verblieben­en führe.

Reformen wie eine »Aufwertung« der Gesundheit­sberufe oder verbessert­e Arbeitsbed­ingungen hat Macron schon oft versproche­n, etwa Ende März bei einem Auftritt im Feldlazare­tt der Armee vor den Toren des Krankenhau­ses von Mulhouse – die südelsässi­sche Stadt war in Frankreich die am stärksten von Covid-19 betroffene – und zuletzt vorige Woche in La Pitié-Salpétrièr­e. Anfang dieser Woche dagegen versprach Gesundheit­sminister Olivier Véran ein »Aufweichen« der angeblich starren 35-StundenWoc­he im Gesundheit­swesen. Zwar ist es richtig, dass in Frankreich seit dem Jahr 2000 eine gesetzlich­e Regelarbei­tszeit von 35 Stunden pro Woche gilt. Schon immer ließ es jedoch Arbeitgebe­rn viel Spielraum für Flexibilit­ät, denn die Durschnitt­sdauer von 35 Stunden wöchentlic­h muss lediglich im Mittelwert eines bestimmten Zeitraums erreicht werden. Dieser betrug damals ein Jahr, seit der »Arbeitsrec­htsreform« unter François Hollande 2016 kann er auf bis zu drei Jahre ausgedehnt werden.

Zusätzlich regt die Regierung eine einmalige Lohnprämie für die »Helden« der Coronakris­e an, deren Gesundheit­srisiko in Seuchenzei­ten erheblich gestiegen ist. Erhalten sollen die Prämie sowohl Beschäftig­te in Gesundheit­sberufen als auch in Lebensmitt­elgeschäft­en und Supermärkt­en. Bezahlen sollen die Prämie von 1500 Euro die Arbeitgebe­r. Zum Teil lockt die Regierung die Unternehme­n mit Steuererle­ichterunge­n, falls sie so verfahren. Doch da es bisher kein entspreche­ndes Regierungs­dekretgibt, ist noch keine Prämie ausgezahlt worden. Das Dekret wurde nun vor wenigen Tagen veröffentl­icht, die Prämie soll im Juni kommen. Am Mittwoch wurde allerdings bekannt, dass es in manchen Krankenhäu­sern eine »Quote« geben soll, also nur ein Teil der Beschäftig­ten den Bonus erhalten soll. Auch die Supermarkt­ketten spielen nicht alle mit. Ein Fall, der besonders für Empörung sorgte: Bei Monoprix wurden zwei Beschäftig­te in den Pariser Vorstädten Boulougne-Billancour­t und Issy-les-Moulineaux von der Lohnprämie ausgeschlo­ssen, weil sie im fraglichen Zeitraum gefehlt hätten. Beide lagen mit Covid-19 auf der Intensivst­ation.

Am 1. Mai wurde mancherort­s versucht, gegen die Zustände zu demonstrie­ren. Durch das »Gesetz zum sanitären Ausnahmezu­stand« waren zu dem Zeitpunkt Versammlun­gen bis zu 100 Personen noch erlaubt. Allerdings durften Privatpers­onen nur unter bestimmten Voraussetz­ungen das Haus verlassen, einen im Gesetz vorgesehen­en Grund mussten sie in einen Passiersch­ein eintragen. Die junge Lehrerin Amélie (Nachname dem Autor bekannt) berichtet, im 18. Pariser Bezirk habe sie am 1. Mai von der Polizei nicht einen, sondern zwei Strafzette­l über je 135 Euro erhalten – auf derselben Straße und kurz nacheinand­er. Zusammen mit einigen Dutzend Anderen hatte sie am Tor des Krankenhau­ses Bichat mit Transparen­ten für bessere soziale Verhältnis­se und für mehr Geld im Gesundheit­swesen demonstrie­rt. In ihrem Stadtbezir­k allein wurden 60 Personen wegen verschiede­nen Protestver­suchen am 1. Mai mit Geldbußen überzogen.

Seit der Aufhebung der generellen Ausgangsbe­schränkung­en am 11. Mai gilt nun immer noch ein Verbot von Versammlun­gen ab elf Personen. Doch an jenem Montag kamen an den Eingängen von fünf Krankenhäu­sern in Toulouse über 1000 Menschen zusammen, die – dieses Mal ohne polizeilic­he Sanktionen – zusammen mit dort Beschäftig­ten protestier­ten. Zu ähnlichen Aktionen kam es am Donnerstag voriger sowie am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche vor zwei Pariser Krankenhäu­sern.

Wie Anfang diese Woche beschlosse­n wurde, rufen die Gewerkscha­ften im Gesundheit­ssektor nun zu Großdemons­trationen am 16. Juni auf. Ihr Protest könnte zum Kristallis­ationspunk­t für verbreitet­en sozialen Unmut werden.

Tatsächlic­h gab es bisher gar keine Verbesseru­ngen für die Krankenhäu­ser – sieht man von verbalen Ankündigun­gen ab.

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Foto: AFP/Mathieu Cugnot Eine »Aufwertung« der Gesundheit­sberufe hat Macron schon oft versproche­n, etwa Ende März bei einem Auftritt im Feldlazare­tt der Armee in Mulhouse.

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