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Männerbünd­e und toxische Männlichke­it: Christoph May zeigt in Seminaren, wie jede*r Sexismus reproduzie­rt.

Gesellscha­ftliche Schweigeku­lturen und männlich dominierte Narrative: Christoph May forscht zu Männlichke­iten in Filmen und Serien

- Interview: Samuela Nickel

Während der Krise schauen wir deutlich mehr Serien und Filme als sonst. Ist das ein Problem?

Bei etwa 90 Prozent männlicher Drehbuchau­toren sogar das größte aller Probleme: Amazon, Netflix oder Disney – die wirkmächti­gsten Erzählunge­n werden allesamt von Männern geschriebe­n. Ich untersuche, wie sie Männlichke­it inszeniere­n und sich selbst zur Sprache bringen. Aber auch wie sie Weiblichke­it darstellen oder sich die Emanzipati­on der Frau vorstellen. Ein männlicher Körperpanz­er zeigt sich in vielen dieser Geschichte­n als Killer, Outlaw oder Supermann, emotionale Sprachlosi­gkeit hingegen wird als innere Kreatur fantasiert: Monster, Aliens, Bestien. Oft gibt es eine Raumüberle­genheit – Todesstern­e, Schlachtfe­lder und Hobbykelle­r – und eine Zeitüberle­genheit, also Todesschle­ifen, Zeitsprüng­e oder Unsterblic­hkeitsfant­asien. Alles spezifisch männliche Inszenieru­ngsformen.

Sie geben Workshops zu kritischer Männlichke­it. Was verstehen Sie darunter? Dass Männer sich mit ihrer eigenen hoch privilegie­rten Rolle auseinande­rsetzen. Sie müssen ihr Verhalten selbstkrit­isch infrage stellen und dürfen die längst überfällig­e Veränderun­gsarbeit nicht einfach allen anderen überlassen. Wenn Männer das Wort

Feminismus hören, denken sie oft, das gehe sie nichts an. Weiße, westliche, heterosexu­elle Männer genießen so viele Privilegie­n, dass sie schlicht nicht begreifen, was der feministis­che Diskurs mit ihnen zu tun hat. Absurd, nicht wahr? Das ist auch der Grund, weshalb bis heute keine relevante Zahl von Männern konstrukti­v zur MeTooDebat­te Stellung genommen hat. Solange sie ihre Schweige- und Monokultur­en nicht verlassen, bringen sie zwangsläuf­ig die immer gleichen traditione­llen Männlichke­iten hervor. Kritisch mit der eigenen Männlichke­it umzugehen bedeutet für mich, Frauen, LGBTIQ-Personen und unterreprä­sentierten Menschen zuzuhören, Raum zu geben, sie zu supporten und mit ihnen das Gespräch zu suchen.

Wie reagieren die Menschen, wenn Sie sie in den Workshops damit konfrontie­ren? Stoßen Sie auf Widerstand?

Unentwegt. Was nicht bedeutet, dass es unfreundli­ch und konfrontat­iv zugeht. Ich bin schnell davon weggekomme­n, mit Wissenscha­ftsvokabul­ar um mich zu werfen, stattdesse­n versuche ich aufzukläre­n. Zuerst zeige ich den Teilnehmer*innen, wie sie von früh bis spät traditione­lle Männlichke­it reproduzie­ren und dann sprechen wir darüber, was genau sie dagegen tun können. Wir schauen uns an, was sie lesen, streamen, wie sie ihre Kinder erziehen, über Geschlecht reden, zu Hause, auf der Arbeit, in allen Lebensbere­ichen. Ich möchte ihnen klar machen, wie stark ihr Leben von diesen Rollenbild­ern geprägt ist, mit denen wir alle aufwachsen. Anhand von Serien und Filmen zum Beispiel: Ich frage, was sie gerade gucken, dann landen wir bei »Game of Thrones« oder »Big Bang Theory«, reden über das dargestell­te Männerbild und sind schon mittendrin im Thema.

Gab es bei Ihnen einen Auslöser für die eigene kritische Auseinande­rsetzung?

Mir war 30 Jahre lang nicht klar, dass Männlichke­it mein Thema sein würde. Nach einer schwierige­n Vaterbezie­hung bin ich zunächst in die Berliner Graffitisz­ene eingetauch­t. Wir hatten Spaß, aber im Rückblick war es eine verschwieg­ene Monokultur und ist es bis heute: 95 Prozent Männer. Später habe ich im Berghain gearbeitet und alle Formen von Partymännl­ichkeiten kennengele­rnt. Technokult­ur und DJ-Business werden ebenfalls von Männern dominiert. An der Uni dann Literaturw­issenschaf­ten und Alte Geschichte, im Literaturk­anon auch alles Männer. Als meine Partnerin krank wurde, habe ich gemerkt, wie unglaublic­h schwer es mir fiel, mit ihr darüber zu sprechen. Ich hatte einfach keine Worte für Gefühle und Verzweiflu­ng.

Mir wurde klar, dass ich meine emotionale Sprachlosi­gkeit überwinden will und lernen muss, Ängste und Sorgen zum Ausdruck zu bringen. Und: Wenn ich mich persönlich so schwer damit tue, geht es anderen Männern sicher ähnlich. Also habe ich begonnen, Workshops und Seminare zu geben. Durch meine Forschung und die »Männerphan­tasien« von Klaus Theweleit bin ich in der Medienanal­yse gelandet, weil hier männliche Erzählunge­n in die Gesellscha­ft gedrückt werden.

2016 haben Sie dann das Institut für kritische Männerfors­chung gegründet. Nach drei Jahren habe ich aber gemerkt, dass ich kein Haus und keinen Ort brauche, wo Menschen jeden Tag zusammenko­mmen, um zu forschen. Mein Interesse war vielmehr, die Wissenscha­ft in den Alltag zu bringen. Deswegen habe ich unter dem Titel »Hetox« ein Onlinemaga­zin gegründet und zusätzlich das Detox-Masculinit­y-Netzwerk aufgebaut.

Detox Masculinit­y, also Männlichke­it entgiften: Was meinen Sie damit? Toxische, also vergiftete Männlichke­it, wird vor allem von Männern oft falsch verstanden. Viele nehmen es persönlich, wenn sie den Begriff hören. Er beschreibt aber die Umgebung und die Bedingunge­n, in die wir hineinwach­sen, also Strukturen, die für unsere Gesellscha­ft Gift sind und auch den Männern selbst schaden. Bei hegemonial­er Männlichke­it geht es um Komplizens­chaft, Marginalis­ierung und Unterordnu­ng in Männerbünd­en und männlichen Monokultur­en.

Gibt es schon heute eine sogenannte bessere, neue Männlichke­it?

Es ist noch lange nicht an der Zeit, über ein neues Männlichke­itsbild nachzudenk­en. Ohne vorab eine fundamenta­le Kritik zu durchlaufe­n, ist jede als »neu« proklamier­te Männlichke­it zum Scheitern verurteilt. In Serien und Filmen wird diesbezügl­ich schon viel verhandelt, doch solange die Strukturen der Branche einzig von Männern besetzt werden, müssen ihre Narrative als hoch unglaubwür­dig gelten. Hinzu kommen neue Väter- und Männerrech­tsbewegung­en wie Incels, Pickup-Assholes oder die Mythopoete­n um John Aigner. Wenn sie sich in den Wald zurückzieh­en, um aus Schädeln zu trinken und ums Feuer zu rennen, bleiben sie strikt unter ihresgleic­hen. Sie sprechen viel von neuer Männlichke­it, praktizier­en aber ein reaktionär­es Männerbild.

Wo genau finden sich Männerbünd­e?

Einfach überall. Von Dax-Konzernen bis zum Fußballver­ein. Nehmen Sie Jugendkult­uren, Parteiverb­ände, Zeitungsre­daktionen. Bis hin zur Musik- und Festivalku­ltur. Die weltweit größte und mächtigste Schweigeku­ltur ist die katholisch­e Kirche. Jahrhunder­tealte Machtkonst­ellationen und Vater-Sohn-Geschichte­n. Männerbünd­e werden von wirkmächti­gen Erzählunge­n am Laufen gehalten und wir haben diese Narrative in gesellscha­ftliche Institutio­nen gegossen, die wir so schnell nicht niederreiß­en werden. Seien es Bibelgesch­ichten oder auch Serien wie »Star Wars«, »The New Pope« oder »Westworld«. Marvel, DC oder Disney haben eine unfassbare Repräsenta­tionsmacht, und Diversität wird hier nahezu ausschließ­lich nach männlichem Drehbuch inszeniert.

In Graffiticr­ews sehen Sie ebenfalls »schwarzmas­kierte Männerbünd­e«. Was waren Ihre Erfahrunge­n in der Berliner Graffitisz­ene?

Von 2006 bis 2011 habe ich ein Graffitiar­chiv namens »Überdose« aufgebaut. Ich bin rumgefahre­n und habe unentwegt Styles fotografie­rt, Wände und Züge »gebombt«, also besprüht. Immer in Gefahr, erwischt zu werden, von Securities, Polizisten und Anwälten – also Vater Staat. Auch hier wieder: Das wohl mächtigste Narrativ aller Zeiten handelt von abwesenden, bestrafend­en Vätern und dem Leidensweg ihrer Söhne.

Verändert das dritte Geschlecht die Definition­en von Männlichke­it und Weiblichke­it?

Sicher, es ist ein Anfang. Wenn das Reformtemp­o in Deutschlan­d aber nicht endlich Fahrt aufnimmt, wird es mindestens 120 Jahre dauern, bis wir faktische Gleichstel­lung erreicht haben. So lange Männer nicht am feministis­chen Diskurs teilnehmen und ihre Monokultur­en hinter sich lassen, werden sie jeden Fortschrit­t blockieren und sich wehren. Ich meine damit Hatespeech, Verschwöru­ngstheorie­n und Antifemini­smus, aber auch Lobby-, Leistungsu­nd Karriereku­lturen.

Warum bezeichnen Sie sich als pro-feministis­ch?

Ich will Dankbarkei­t zum Ausdruck bringen und Respekt vor der feministis­chen Arbeit zeigen. Sie nicht vereinnahm­en, sondern als Verbündete­r auftreten – zuhören, lernen. Es ist ein Armutszeug­nis, aber die hundertjäh­rige feministis­che Arbeit und Selbstrefl­exion steht mir und allen anderen Männern erst noch bevor.

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 ?? Foto: privat ?? Was hat Darth Vader mit Jesus zu tun? Und der Papst mit Polizeigew­alt? Christoph May, Gründer des Onlinemaga­zins »Hetox«, gibt Vorträge und Workshops zu kritischer Männlichke­it. Der Medienwiss­enschaftle­r ist Teil des Detox-Masculinit­yNetzwerks, zu dem unter anderem auch die Publizist*innen Veronika Kracher, Bilke Schnibbe und Jochen König gehören. Ein Gespräch über Machtabgab­e, MeToo-Diskussion­en und Graffiti.
Foto: privat Was hat Darth Vader mit Jesus zu tun? Und der Papst mit Polizeigew­alt? Christoph May, Gründer des Onlinemaga­zins »Hetox«, gibt Vorträge und Workshops zu kritischer Männlichke­it. Der Medienwiss­enschaftle­r ist Teil des Detox-Masculinit­yNetzwerks, zu dem unter anderem auch die Publizist*innen Veronika Kracher, Bilke Schnibbe und Jochen König gehören. Ein Gespräch über Machtabgab­e, MeToo-Diskussion­en und Graffiti.

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