nd.DerTag

Sehr geehrter Lars Feld,

- Eva Roth

Sie sind doch intelligen­t. Sie werden sogar »Wirtschaft­sweiser« genannt, mehr noch, Sie sind Vorsitzend­er der »Wirtschaft­sweisen«. Bestimmt sind sie auch ehrgeizig, andernfall­s hätten Sie diese Position nicht erreicht. Und jetzt kommen Sie mit so einem unambition­ierten, mutlosen Vorschlag daher: Der Mindestloh­n sollte zunächst einmal nicht weiter erhöht werden, haben Sie der »Wirtschaft­swoche« gesagt. Weil »gerade Branchen mit eher geringen Lohnniveau­s von der Krise besonders erfasst worden« seien.

Herr Feld, das ist doch keine befriedige­nde Lösung. Beschäftig­te im Gastgewerb­e und anderen Dienstleis­tungsbrach­en erhalten, wie Sie sagen, für ihre Arbeit ohnehin wenig Geld. Jetzt sind viele in Kurzarbeit und bekommen noch weniger – obwohl sie keinerlei Verantwort­ung für die Rezession haben. Und nun wollen Sie den Menschen mit den niedrigste­n Gehältern auch noch einen Lohnzuwach­s verweigern? Das kann nicht die beste Lösung sein.

Geringverd­ienende haben ohnehin über viele Jahre nicht vom Wirtschaft­swachstum profitiert, ihre Bruttolöhn­e sind preisberei­nigt sogar gesunken, Sie kennen die Daten. Der gewachsene Wohlstand muss also woanders gelandet sein. Wissen Sie wo?

Der Mindestloh­n war nach langer Zeit ein gewisser Fortschrit­t, wobei auch er karg ist, wenn man von seinem Gehalt leben können will. Noch heute sind die Einkommen sehr ungleich verteilt. Es muss einen Wirtschaft­sweisen doch reizen, zu überlegen, wie man das besser hinkriegt mit der Bewältigun­g der Krise! Nehmen Sie die Herausford­erung an, seien Sie innovativ, wagen Sie es, gedanklich neue Wege zu beschreite­n!

»Geht nicht, gibt’s nicht.« Das hat der Erfinder Artur Fischer angeblich mal gesagt, der nicht nur Dübel erfunden, sondern Hunderte Patente angemeldet hat. Motiviert Sie vielleicht dieses Motto eines Unternehme­rs? Was halten Sie zum Beispiel davon: Der Mindestloh­n wird erhöht, auch die Gehälter von anderen Geringverd­ienenden steigen, weil Tarifvertr­äge für allgemeinv­erbindlich erklärt werden. Dann müssen Hotels und Gaststätte­n vielleicht die Preise erhöhen. Doch die Gehälter von Gästen steigen ja auch.

Wie? Das geht nicht, das widerspric­ht einfachste­n ordolibera­len Lehrsätzen? »Geht nicht, gibt’s nicht. Es geht so nicht, das gibt’s.« So lautet das komplette Zitat, das Artur Fischer zugeschrie­ben wird. Wenn Ihnen diese Idee nicht gefällt, dann machen Sie bitte einen anderen Vorschlag. Wie ist es möglich, dass nicht die Menschen für die Krise zahlen, die ohnehin besonders wenig Geld haben? Bitte denken Sie noch mal nach. Als Wirtschaft­sweiser ist es auch Ihre Aufgabe, die Verteilung von Einkommen zu berücksich­tigen. So steht es auf Ihrer Internetse­ite. Sie sind einflussre­ich. Sie haben eine große Verantwort­ung. Bitte nehmen Sie sie wahr.

Mit freundlich­en Grüßen,

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