nd.DerTag

Den Abstand halten oder das Wort ergreifen?

Agieren in vermintem Terrain: Wie Corona die linke Bewegung neu vor ein altes Problem stellt.

- Von Peter Nowak

Wie wurde die westdeutsc­he Umweltbewe­gung links? Man kann das bei der früheren grünen Frontfrau Jutta Ditfurth nachlesen: durch hartnäckig­e inhaltlich­e Interventi­on, durch kluge organisato­rische Initiative – und Konfrontat­ion mit den konservati­ven und rechten Positionen, die in diesem Feld zunächst nicht selten waren. Das war so erfolgreic­h, dass 1999 der Publizist Oliver Geden ein ganzes Buch über den Umstand schreiben konnte, dass »Umwelt« nicht immer »links« war.

Solche alten Geschichte­n möchte man etwa Anna Westner erzählen, der Vorsitzend­en der Linksjugen­d. Nachdem die Presse dieser Tage einen Auftritt des Linksfrakt­ionsvizes Andrej Hunko bei einer Kundgebung skandalisi­ert hatte, auf der Grundrecht­seinschrän­kungen in der Pandemie kritisiert wurden, forderte Westner, man müsse »von solchen Aluhutdemo­s mehr als nur 1,5 Meter Abstand nehmen«.

Dabei hatte es in Aachen drei Kundgebung­en gegeben. Hunko trat auf einer Mahnwache auf, die klar dem linken

Spektrum zuzuordnen war, nicht beim »Widerstand 2020« oder gar bei der AfD. Gesagt hat er nichts, was nach »Aluhut« – also »Verschwöru­ngstheorie« – oder mangelnder Distanz zu Rechten klang. Von derlei hat er sich klar distanzier­t. Fragen darf man hier nicht nur, wie genau Westner bei ihrem Statement über jenen Auftritt im Bilde war. Diskutiere­n lässt sich auch über die strategisc­hen Vorstellun­gen, die in dem Statement mitschwing­en.

»Politisier­ung« kennt grob zwei Wege: Erstens das langfristi­ge, oft durch Organisati­onen führendes Hineinwach­sen, in dem man sich nach und nach die »richtigen« Meinungen und Geschmäcke­r angewöhnt. Und zweitens den jähen, ereignisha­ften Sprung, der meist mit Empörung über politische Einschnitt­e beginnt – wobei die Mobilisier­ung emotional wirkt und sich der Überbau zuweilen erst später herstellt.

Corona birgt nun ein Potenzial der zweiten Art. Dammbrüche beim Datenschut­z, willkürlic­he Beschneidu­ngen des Demonstrat­ionsrechts, Kontaktreg­ulierung bis in die Wohnung – und all das per Verordnung: Um dieses Ausgreifen der Exekutive bedenklich zu finden, muss man das Virus nicht »leugnen«.

Nun gibt es aber unübersehb­ar nicht wenige, die jenes Durchregie­ren in krude, zuweilen in den Antisemiti­smus tendierend­e Mythen übersetzen. Da ist es nachvollzi­ehbar, dass sich Linke über das richtige Agieren in solchem Umfeld auseinande­rsetzen. Beobachten ließ sich das jüngst in Berlin-Kreuzberg. Dort hatte die Gruppe »Eigensinn« eine öffentlich­e Kunstperfo­rmance organisier­t, die kritisch die »Maßnahmen« reflektier­te. Obwohl sich die Veranstalt­ung von rassistisc­hen und antisemiti­schen Positionen distanzier­t hatte, wurden an einem Offenen Mikrofon auch fragwürdig­e Thesen geäußert.

Sofort setzte ein Streit über den Umgang damit ein. Einige forderten, solche Veranstalt­ungen zu stören oder ganz zu verhindern. Andere widersprac­hen: Es sei doch positiv, dass am Offenen Mikrofon solchen Mythen habe begegnet werden können. Ein Redner mahnte, statt über eine angebliche Neue Weltordnun­g über den altbekannt­en Kapitalism­us zu sprechen.

Anwesend waren Leute, die Parolen über Bill Gates auf T-Shirts trugen. Doch ist das schon der Rubikon? Sollten Linke nicht versuchen, solche Menschen in Kämpfe um den Caresektor einzubezie­hen? Lässt sich jener Bill-Gates-Komplex unmöglich als Kampf für ein Gesundheit­ssystem

ausdrücken, das nicht auf das Wohlwollen Superreich­er angewiesen ist? »Die beste Antwort auf Verschwöru­ngen ist Klassenkam­pf«, schreibt der Publizist Daniel Kulla, der sich seit Jahren mit solchen Mythen befasst.

Gewiss muss man auf vermintem Terrain umsichtig handeln. Das bedarf strategisc­her Diskussion­en, die die Linke jetzt neu führen sollte, auch über Corona hinaus. Denn am Ende sind es konkrete Auseinande­rsetzungen, die das Weltbild der Menschen prägen. So war es auch 2004 in der Massenbewe­gung gegen die »HartzRefor­men«. Auch darin gab es fragwürdig­e Positionen und rechtsradi­kale Vorstöße. Einige sagten auch damals, Linke müssten zur »verkürzten Kritik« dieser Bewegung Abstand halten, andere mischten sich praktisch ein. Aber hätte hier die erstgenann­te Haltung obsiegt, wäre diese Bewegung vielleicht tatsächlic­h in eine völkische Richtung à la Björn Höcke abgedrifte­t – und die Partei, deren Jugend Anna Westner heute vorsitzt, gäbe es nicht.

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