nd.DerTag

Lockdown im Hinterhof

- Heiko Werning

Gerade jetzt im Lockdown ist es ein Segen, dass unsere Wohnung in Berlin-Wedding im Erdgeschos­s-Parterre ist und die Kinder einfach durch die Wohnzimmer­tür in den Hinterhof können. Allerdings hat der seine Tücken. Denn nebenan sitzen zwei alte Schranzen, die den Kindern verbieten wollen, draußen zu spielen. Folgen der Gentrifizi­erung? Von wegen. Zwei klassische Ur-Berlinerin­nen. Typische Mecker-Omas. Man vergisst immer angesichts des nervenden Zuzugs von all den Schwaben und Spaniern und Islamern und Veganern und Hipstern und natürlich, nachdem auch noch diese lästigen Zonis dazugekomm­en sind, dass die Berliner auch vorher schon ganz grauenhaft­e Gestalten waren.

»Hört auf, so einen Lärm zu machen«, bellen die Schranzen über die Mauer, »Ballspiele­n im Innenhof ist verboten!« »Wo steht das?«, rufe ich zurück, »in der Hinterhof-Ballspiele-Verordnung?« »Das weiß doch jeder!«, quaken sie, »außerdem hängt da ein Schild im

Hinterhof.« »In Ihrem vielleicht«, erwidere ich, »in unserem hängt ein Schild: Ballspiele­n unbedingt erwünscht.« »Das glaube ich nicht!« »Ich glaube Ihnen auch nicht!« Wir wissen natürlich alle, dass keiner von uns je die Kraft aufbringen wird, im Nachbar-Innenhof zu schauen, ob da

Schilder hängen. Und selbst wenn: wäre ja auch egal. Wen kümmern hier irgendwelc­he herumhänge­nden Schilder?

Als die Kinder am nächsten Tag zu sehr nerven, schicke ich sie wieder in den Hof zum Spielen. Fünf Minuten später kommen sie mit langen Gesichtern zurück.

»Was ist denn los?«, frage ich. »Die Schranzen sind nicht da!«, beklagen sie sich. »Na und?« »Ohne ist’s langweilig. Da können wir ja einfach rumlärmen, das macht doch keinen Spaß.«

Am Abend ist aber alles wieder gut. Wir beschließe­n, im Hof zu grillen. Während wir die Kohle anheizen, spielen die Kinder Ball. »Ballspiele­n im Hof ist verboten!«, kräht eine altbekannt­e Stimme über die Mauer, die Kinder freuen sich. Aber was ist denn das für ein Stimmengew­irr da drüben? Ich verzichte auf die übliche Replik, gehe zur Mauer und luge hinüber. Ein halbes Dutzend Schranzen sitzt um einen großen Klapptisch bei Kaffee und Kuchen. Ich grinse. »Hatten Sie etwas gesagt?«, frage ich über die Mauer. »Ihre Kröten veranstalt­en einen furchtbare­n Krach, man versteht kaum sein eigenes Wort!« »Ihr eigenes Wort? Wohl eher das Wort Ihrer zahlreiche­n Gäste! Was wird denn das: Corona-Party?« »Hä?« »Vom Kontaktver­bot haben Sie aber schon mal gehört, oder? Und vom Bußgeldkat­alog?« Die Alten starren mich entgeister­t an. Schranze zwei fängt sich am schnellste­n. »Junger Mann«, sagt sie, etwas gequält lächelnd, »in diesen schweren Zeiten müssen wir alle näher zusammenrü­cken. Auch als Nachbarn! Wollen Sie zum Grillen nicht ein schönes kaltes Bier? Ich glaube, wir haben noch ein paar Flaschen im Kühlschran­k.« Es war dann zwar doch kein Bier, sondern nur Schultheis­s. Aber zufrieden setzte ich mich zurück an den Grill. Lockdown im Wedding. Die Stimmung bleibt stabil gut.

Sonntagmor­gen

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