… als sei Gefährt ich und auch Fahrer
1896 in Breslau geboren, entschied sich Lessie (Valeska Luise) Sachs früh dazu, ein Kunststudium aufzunehmen und zog nach München, die damalige deutsche Kunstmetropole. Während der sich überschlagenden Ereignisse der Novemberrevolution 1918/1919 engagierte sich Lessie Sachs politisch, trat der KPD bei und arbeitete für die Räteregierung. Im Zuge der Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurde sie verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, danach stand sie jahrelang unter Beobachtung. Nach ihrer Ausweisung aus Bayern zog sie zunächst zurück nach Breslau. Ab 1930 veröffentlichte Lessie Sachs Gedichte und Kurzprosa in renommierten Zeitungen wie der Vossischen oder dem Simplicissimus. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten setzte der Karriere der jüdischen Schriftstellerin ein Ende. 1937 konnte sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Pianisten und Komponisten Josef Wagner, und ihrer Tochter nach Amerika emigrieren, wo sie 1942 starb. »Das launische Gehirn« ist der Titel eines der unveröffentlichten Gedichte von Lessie Sachs. Schon lange hatten wir die Idee, eine Auswahl der Gedichte und Prosatexte von Lessie Sachs mit einem biografischen Porträt der 1896 in Breslau geborenen und 1942 in New York verstorbenen Schriftstellerin zu verbinden. Dieses Vorhaben wurde von Dorothy Plaut Wagner, der inzwischen ebenfalls verstorbenen Tochter von Lessie Sachs, unterstützt.
Dieser Band umfasst im ersten Teil neben zahlreichen unveröffentlichten Gedichten aus dem Nachlass von Lessie Sachs, der sich heute im »Leo Baeck Institute« in New York befindet, Gedichte, die in Zeitungen und Zeitschriften sowie in dem posthum von Lessie Sachs’ Ehemann Josef Wagner mit einem Vorwort von Heinrich Mann herausgegebenen Band »Tag- und Nachtgedichte« veröffentlicht wurden. Bereits zu Sachs’ Lebzeiten wurden einige der Gedichte von Josef
Wagner vertont.
Im zweiten Teil findet sich der bislang unveröffentlichte, undatierte autobiografische Text »Ein Buch gibt Antwort« über Lessie Sachs’ Gefängnisaufenthalt sowie in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte Kurzprosa und Feuilletons, die teils aus ihrer Zeit in Deutschland, teils aus dem amerikanischen Exil stammen.
Ein ausführliches biografisches Porträt von Lessie Sachs und deren Leben zwischen politischem Engagement und emotionaler Weltschau, zwischen bürgerlicher Konvention und künstlerischer Emanzipation, bildet den Schluss dieses Bandes, mit dem wir zur Wiederentdeckung dieser weitgehend vergessenen Schriftstellerin beitragen möchten.