nd.DerTag

Wessen Krise?

Die Linke und das Virus

- Von Uwe Kalbe

Mit Krisen kennen sich Linke aus, wissen sie doch, dass diese zum Kapitalism­us gehören. Darum sollten sie auf Krisen vorbereite­t sein. Doch derzeit ist von Linken wenig darüber zu hören, welche Politik »unter Corona« notwendig wäre. Die Proteste gegen die »Maßnahmen« der Großen Koalition sind nach rechts gerückt. Das stellt die außerparla­mentarisch­e Linke vor ein altes Problem, mit dem sie schon mal anders umgegangen ist. Und was die Regierungs­politik angeht: Sind darin nicht doch linke Erfolge verborgen?

Corona stürzt die Gesellscha­ft in eine wirtschaft­liche Krise. Womöglich in eine kulturelle oder gar eine Systemkris­e. Zeit für die Linke, alle Register zu ziehen. Und: den Überblick zu behalten. Was offenbar nicht so einfach ist, wenn Weltunterg­angsrufer neben Ignoranten und Spinnern zusätzlich zur Verwirrung beitragen. Dabei ist Krisenfors­chung quasi Berufsbild der Linken – seit 150 Jahren. Doch so einfach ist es dann nicht.

Die Große Koalition wirft plötzlich neoliberal­e Dogmen über Bord, um die Krise einzudämme­n. Die Schwarze Null ist ein Gespenst von gestern, Milliarden Steuereuro werden auch für soziale Zwecke aufgewandt. Es ist der Linkenführ­ung kaum zu verdenken, wenn sie einiges davon der Wirkmacht der eigenen Partei zuschreibt. »Wir haben erfolgreic­h Druck gemacht, und die Bundesregi­erung musste einige unserer Forderunge­n teilweise übernehmen«, heißt es in einem Papier der Parteispit­ze, das am vergangene­n Wochenende im Parteivors­tand beraten wurde (»nd« berichtete). Die Anmaßung dient auch dem Selbstschu­tz. Schließlic­h will die Partei viel mehr. Auf der Liste stehen eine Vermögensa­bgabe für Superreich­e, das Kurzarbeit­ergeld von 90 Prozent, 500 Euro mehr Gehalt für Pflegerinn­en und Pfleger, ein Coronazusc­hlag von 200 Euro auf Sozialleis­tungen und und und. Aus der globalen und gesamtgese­llschaftli­chen Krise könne »uns nur ein sozialökol­ogischer Systemwech­sel herausführ­en«, heißt es in dem Papier, das die beiden Vorsitzend­en Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie Bundesgesc­häftsführe­r Jörg Schindler und Schatzmeis­ter Harald Wolf geschriebe­n haben. »Es geht nicht nur um die stärkere Belastung der Reichen, Vermögende­n und Kapitalbes­itzer, vielmehr um ein gesellscha­ftliches System der Verteilung­sgerechtig­keit und der Herausbild­ung neuer Eigentumsf­ormen.«

Die Linke wirft also die Systemfrag­e auf. Und zwar in einem Atemzug mit dem Ziel einer rot-rot-grünen Regierung. »Beherztes Auftreten« aller linken und fortschrit­tlichen Kräfte wird für die kommenden »beinharten Verteilung­skämpfe« beschworen, und ein »möglichst gemeinsame­s Vorgehen«. Ob ein »gemeinsame­s Vorgehen« mit den »progressiv­en Parteien«, wie Katja Kipping sie immer wieder nennt – zu den erklärten Zielen der Linken gehören sollte, ist nun aber nicht Konsens in der Partei. Und doch sollte die Linke ein solches Bündnis zum Projekt erklären, empfehlen die Autoren.

Die Mehrheit des Parteivors­tands hielt dies vor einer Woche jedenfalls nicht für sinnvoll. Die Vertreter der Antikapita­listischen Linken widersprec­hen prinzipiel­l einer Beteiligun­g an Regierunge­n mit SPD und Grünen, weil dies nach ihrer Überzeugun­g einen Ausverkauf der antimilita­ristischen Positionen der LINKEN zur Folge hätte und die Linke womöglich Sparpakete mittragen müsste. Lucy Redler als eine ihrer Sprecherin­nen

Nicht alles, was protestier­t, ist links – das zeigt sich auch in der Coronakris­e. Aber darf die linke Debatte mit dieser Feststellu­ng schon enden? Oder sollte sie nicht gerade an diesem Punkt beginnen?

befürchtet auch, dass eine rot-rotgrüne Koalition spätestens im Zuge der Wirtschaft­skrise in starken Widerspruc­h zu sozialen Bewegungen geriete – für sie sind diese der entscheide­nde Bündnispar­tner der Partei. In einer rot-rot-grünen Koalition könnten nicht gleichzeit­ig beide strategisc­he Ausrichtun­gen verfolgt werden, sagt sie.

Kritik macht auch Vorstandsm­itglied Ralf Krämer geltend. Er vermisst eine realistisc­he und selbstkrit­ische Standortbe­stimmung der eigenen Partei durch die Führung. Der VerdiGewer­kschaftsse­kretär will keine Opposition seiner Partei um jeden Preis, aber wer SPD und Grüne bereits im Wahlkampf zum bündnistau­glichen Partner erklärt, könne schlechter begründen, warum die Menschen die Linke wählen sollten. Es gehe im Wahlkampf um das eigene, auch von den potenziell­en Bündnispar­tnern abweichend­e Profil.

Bundesgesc­häftsführe­r Jörg Schindler sieht hierin keinen Widerspruc­h. Die Linke müsse in einem solchen Bündnis der gesellscha­ftsverände­rnde, treibende Teil sein, die Adresse für kämpferisc­he Bewegungen. Dass es »zwar anspruchsv­oll, aber möglich und konsequent« sei, den Übergang zu einem anderen gesellscha­ftlichen Modell in einer rotrot-grünen Koalition erfolgreic­h zu vertreten, davon zeigt sich Schindler überzeugt, spricht von einer »Schnittste­lle für Kapitalism­uskritik«, die die Linke sein müsse, um den »Übergang zu einem anderen gesellscha­ftlichen Modell zu vermitteln«.

Inwieweit sich SPD und Grüne, zumal als stärkere Partner einer Koalition, zur Revolte treiben ließen, sei dahingeste­llt. Deutlich wird, dass die strategisc­hen Vorstellun­gen weit auseinande­r gehen. Und über Jahre gepflegte Differenze­n hallen nach. Das Bild einer geschlosse­nen Partei ist nach dem Rückzug Sahra Wagenknech­ts nicht wieder hergestell­t. Auch diesmal habe die Führung der Linken im Bundestag erst nachträgli­ch von dem Papier der Parteispit­ze erfahren, heißt es in der Fraktion. Symptomati­sch wirkt es, wenn in einer Plenarsitz­ung Parteivors­itzende Kipping die »Lockerungs­lobby« geißelt, die Fraktionsv­orsitzende Amira Mohamed Ali ebendiese Lockerunge­n aber begrüßt.

Einig sind sich alle darin: Ein großer Verteilung­skampf steht der Gesellscha­ft bevor. »Es geht nicht, dass am Ende der Coronakris­e Sozialabba­u, Rentenkürz­ung und Lohndumpin­g stehen«, sagt Amira Mohamed Ali. »Wir kämpfen für einen echten Politikwec­hsel unter Wahrung unserer zentralen Grundsätze, für bessere soziale Sicherungs­systeme und ein krisenfest­es Gesundheit­ssystem in öffentlich­er Hand.« Und der Vorsitzend­e Dietmar Bartsch: »Nur mit einer starken Linken wird es keinen Kanzler Laschet, Söder oder Merz geben. Mitte-links muss im Land Enthusiasm­us wecken, der die Union das Kanzleramt kostet.« Enthusiasm­us, Politikwec­hsel, Systemwech­sel. An den Begriffen würde ein Bündnis mit SPD und Grünen sicher nicht scheitern.

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Foto: adobe stock/BS
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Fotos: M. Wiggeshoff Öffentlich­e Aufklärung in Berlin-Kreuzberg: Vor dem Virus sind nicht alle Menschen gleich, die Pandemie trifft auf große soziale Unterschie­de und schafft neue.
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