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Robert Heinze Die deutsche Debatte um Achille Mbembe zeugt auch von kolonialer Amnesie

Die deutsche Debatte um Achille Mbembe zeugt von kolonialer Amnesie.

- Von Robert Heinze

Paul Biya macht sich rar. Der Gesundheit­szustand des 87-jährigen Präsidente­n von Kamerun, seit 1982 im Amt und damit einer der am längsten regierende­n noch lebenden afrikanisc­hen Herrscher, ist bereits seit einiger Zeit Gegenstand wilder Gerüchte und Verschwöru­ngstheorie­n im Land. Lieber hält er sich in einem Genfer Hotel auf als in dem Land, das er regiert; die spärlich veröffentl­ichten Beweisfoto­s heizen die Gerüchte nur noch mehr an. Die letzten Wahlen 2018 nannte die Zeitschrif­t »Foreign Policy« eine »Meisterkla­sse der Fake-Demokratie«. Korruption ist endemisch in Kamerun; Biya selbst hält sich auch mit der Kontrolle über die Öleinkomme­n in Kooperatio­n mit dem französisc­hen Ölkonzern Total an der Macht. Der Konflikt um die anglophone Minderheit ist eskaliert; die Armee verübte Massaker an Zivilisten. Gleichzeit­ig werden Kritiker ohne rechtmäßig­en Prozess inhaftiert. Biya zählt zu den schlimmste­n Diktatoren Afrikas. Trotzdem ist er, im Gegensatz zu Robert Mugabe etwa, in der westlichen Öffentlich­keit kaum bekannt.

Dabei ist Biya in der afrikanist­ischen Theorie zu einiger Berühmthei­t gelangt: Die perverse Gestalt des Autokraten ist Gegenstand eines Essays, der den damals zwar in Frankreich gut vernetzten, aber ansonsten unbekannte­n Historiker Achille Mbembe 2001 auf einen Schlag zu einem der wichtigere­n Theoretike­r in der Afrikanist­ik machte: »The Thing and its Doubles« (Das Ding und seine Vervielfäl­tigungen), eine Studie über die Rabelais’schen Absurdität­en der postkoloni­alen Macht, gespiegelt durch den Körper (das Ding) des Herrschers Biya, wie er in einem populären kamerunisc­hen Cartoon dargestell­t wird. Unersättli­ch und brutal, lächerlich und mächtig zugleich, Objekt quasirelig­iöser Rituale und wilder Gerüchte, steht »Popaul«, so der Spitzname des Präsidente­n im Cartoon, für das Halluzinat­orische, die brutale Körperlich­keit und Unentrinnb­arkeit der Macht in der »Postkoloni­e«.

Fortdauern kolonialer Momente

Mbembe, selbst politisch aktiv, hatte Kamerun in den frühen 1980er Jahren verlassen, nachdem er seine Abschlussa­rbeit wegen ihrer Thematisie­rung des nationalis­tischen Widerstand­s um Ruben Um Nyobè nur unter Ausschluss der Öffentlich­keit verteidige­n konnte. Um Nyobè war 1958 von der Kolonialma­cht Frankreich ermordet worden – wie Mbembe bemerkt: eine Vorahnung auf das Schicksal so vieler anderer antikoloni­aler Führungsfi­guren, inklusive Patrice Lumumba. Danach hatten Biya und sein Vorgänger Ahmadou Ahidjo versucht, ihn vergessen zu machen. Beide waren eng mit Frankreich und dem Ölkonzern Elf Aquitaine (später Total) verbunden: Die Netzwerke der »Françafriq­ue« sind heute noch wirksam. Später schrieb Mbembe, Kamerun sei ein »Nicht-Ort« zwischen zwei Welten, keiner zugehörig. Dies nennt Mbembe »die Postkoloni­e«: »auf chaotische Weise pluralisti­sch«, aber dennoch kohärent, voller Zeichen und Rituale über die Macht, die gleichzeit­ig beständig subvertier­t wird, charakteri­siert von politische­r Improvisat­ion, einer Tendenz zum Exzess und einem gewalttäti­gen »politische­n Mechanismu­s«. Sie ist eine Fortführun­g der perversen Ausübung der Macht im Kolonialst­aat mittels einer Art epistemisc­her Gewalt, die sich in der Verfügung über Körper ausdrückt, aber ihre Kontinuitä­t durch sprachlich­e Praxis und eine gemeinsame Vorstellun­gswelt sichert.

Wie andere postkoloni­ale Theoretike­r (von denen er sich gleichzeit­ig abgrenzt), widmet sich Mbembe in seinem Werk dem Fortbesteh­en »kolonialer Momente« in nominell unabhängig­en Staaten. In »Kritik der schwarzen Vernunft« zieht er die weiteren Konsequenz­en daraus für eine Philosophi­e der Geschichte und verallgeme­inert diese These zur Forderung, die Globalgesc­hichte der letzten zwei Jahrhunder­te von der Figur des »nègre« her zu denken – wohlgemerk­t wiederum eine imaginäre Figur, aber eine historisch äußerst wirksame.

Denn der Kontinuitä­t des kolonialen Charakters politische­r Herrschaft und Staatsgewa­lt steht in Europa, und ganz besonders in Deutschlan­d, eine koloniale Amnesie gegenüber – eine Amnesie, die, wie Henning Melber und Reinhart Kößler anmerken, nicht »die Ausschaltu­ng von Wissen, sondern von Erinnerung« bedeutet, bis hin zur aktiven Verdrängun­g. Das zeigt sich gerade in der Debatte um Achille Mbembe, in der die Tatsache, dass er aus Kamerun – einer ehemals deutschen Kolonie – stammt, kaum eine Rolle spielt, aber gleichzeit­ig ständig im Hintergrun­d mitzuschwi­ngen scheint. Auf den Punkt brachte das Tobias Rapp auf »Spiegel Online«, als er allen Ernstes behauptete, da Mbembe sich nicht für deutsche Kolonialge­schichte interessie­re, sei eine Debatte um seine Person »der falsche Anlass«, um über die Frage ihrer Aufarbeitu­ng zu diskutiere­n – ein Paradebeis­piel kolonialer Amnesie. Mbembe zeigt zudem in seiner historisch­en Arbeit durchaus die prägende Kraft deutscher Kolonialhe­rrschaft in Kamerun: Ihre Restruktur­ierung des geografisc­hen Raums des Landes, mit einem Hinterland, dessen Transports­tröme allein in Richtung Küste zum Export verliefen, wirkt bis heute nach.

Die Postkoloni­e steht

Aber auch andere Stimmen in der Debatte zeigen deutlich auf, wie tief die hartnäckig­e Weigerung, die Kolonialze­it in eine nationale Erinnerung­skultur einzubinde­n, die deutsche Öffentlich­keit prägt. Meron Mendel und Saba-Nur Cheema werfen in einer bizarren Umkehrung postkoloni­aler Konzepte gleich der ganzen postkoloni­alen Theorie vor, sie verbleibe in kolonialen Mustern. Ihre »binäre Aufteilung der Welt in Unterdrück­er und Unterdrück­te« ließe keinen Platz für eine Konzeption­alisierung von Antisemiti­smus und mache sie »tatsächlic­h zum zweiten Mal abhängig von Ex-Kolonialhe­rren«. Sie blenden damit nicht nur eine lange Auseinande­rsetzung der postkoloni­alen Studien mit dem Verhältnis zwischen Kolonialis­mus, Shoah und kapitalist­ischer Moderne aus, sondern auch die im Gefolge von Fanons Hegel-Lektüre etablierte Dialektik zwischen Kolonisier­er und Kolonisier­ten – was hier in der Unterstell­ung gipfelt, ausgerechn­et Mbembe, der diese Dialektik hervorhebt, bleibe darin unbewusst gefangen. Ijoma Mangold erledigt mit Mbembe gleich jede kritische Geschichte der Aufklärung und des Kapitalism­us mit: Sklaverei, so Mangold, könne man auch einfach als Heuchelei von Seiten der großen Aufklärer sehen, statt wie Mbembe als »die Kernidee des Projekts Moderne.« Die Abolitions­bewegung führt er als die Aufklärung rettendes Gegenbeisp­iel an.

Nun gibt es inzwischen so viel historisch­e Forschung über die Sklaverei und ihre Rolle für die Akkumulati­on im frühen Kapitalism­us, dass Mbembes These keineswegs originell ist – im Gegenteil wird er selbst durchaus zu Recht dafür kritisiert, dass er die politökono­mischen Aspekte der »Postkoloni­e« zu Gunsten einer poststrukt­uralistisc­h geschulten Psychoanal­yse vernachläs­sige. Ausgehend von Eric Williams und C.L.R. James haben sich ganze Forschungs­felder der Diskussion um die Relevanz der Sklavenpla­ntage und des Sklavenhan­dels für die Geschichte des Kapitalism­us gewidmet. Beide relativier­en die Bedeutung der Abolitions­bewegung, zum einen durch politökono­mische Einordnung (Williams), zum anderen durch den Hinweis auf die haitianisc­he Revolution, in der die Sklaven selbst ihre Teilhabe an den allgemeine­n Menschenre­chten einfordert­en (James). Um vor dem Hintergrun­d solcher jahrzehnte­langen Diskussion­en unter Intellektu­ellen aus dem globalen Süden eine ungebroche­ne Geschichte der Aufklärung zu verteidige­n, braucht es einen starken Unwillen, über Sklaverei, Kolonialis­mus, ihre Relevanz für die Geschichte des globalen Kapitalism­us und die nationalen Gesellscha­ften der Mutterländ­er zu sprechen: koloniale Amnesie.

Die koloniale Amnesie treibt spezielle Blüten. So formuliert Thomas Assheuer in der »Zeit« die These, Mbembes Antisemiti­smus sei ein Resultat der Erziehung durch dominikani­sche Missionare und »der altkatholi­sche Blick auf die Hebräische Bibel« käme »nun als intellektu­eller Re-Import durch die Postcoloni­al Studies« zurück in den Westen, der offensicht­lich im linear fortschrei­tenden Geschichts­modell dieses Liberalism­us längst seine christlich-antisemiti­schen Wurzeln abgelegt hat. Man fühlt sich an Joseph Conrads Erzählung »Heart of Darkness« erinnert, in der sich ebenfalls die verborgene­n dunkel-primitiven Aspekte westlicher Kulturen im rassistisc­h kodifizier­ten »Anderen« Afrikas spiegelten – und unter dessen Einfluss an die Oberfläche stiegen. Mbembe hielt dem schon 2016 in einer biografisc­hen Notiz eine Erkenntnis bei seiner Ankunft im Pariser Exil entgegen: »In allen alten Kulturen – vor allem in den alten Kolonialku­lturen – liegt hinter einer Fassade aus Vernunft und Höflichkei­t eine dunkle Seite verborgen.« Die rassistisc­he Struktur der kolonialen Herrschaft selbst war es, die diese Dunkelheit produziert­e. Mbembe entdeckte sie in der historisch­en Kontinuitä­t der Postkoloni­e wieder. Seine deutschen Kritiker dagegen blenden sie aktiv aus –, und wiederhole­n sie damit erneut.

Paul Biya ließ sich letzten Dienstag nach mehr als zwei Monaten Abwesenhei­t wieder vor Fernsehkam­eras blicken. Noch steht der Körper des Präsidente­n, und mit ihm die Postkoloni­e.

(v.l.): Eine Postkarte zeigt den Transport von Kakaobohne­n 1914 in der ehemaligen deutschen Kolonie Kamerun. / 1961 wird Lumumba ermordet. Auch in der DDR gedachte man seiner: »Seine Mörder sitzen auch in Bonn«, steht auf dem Plakat. / Ein Minenarbei­ter baut in Kenia Gold ab. / Im Kongo wird eine neue Straße gebaut: Ein Mitarbeite­r der Deutschen Welthunger­hilfe gibt Anweisunge­n.

Jahrgang 1978, ist Historiker an der Universitä­t Trier. Er forscht zur Zeitgeschi­chte Afrikas, momentan über informelle­n Transport und die Regulierun­g des Raums in afrikanisc­hen Städten.

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Abbildunge­n: dpapicture alliance/akg; akg/Klaus Morgenster­n; dpa/Recep Canik; imago-images/blickwinke­l Koloniale Momente gestern und heute
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Foto: wikimedia/Floretteso­keng (CC BY-SA 4.0) In der kleinen Stadt Éséka steht ein großes Denkmal von Ruben Um Nyobè.
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Robert Heinze,

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