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Michael Lenz Waldrodung­en in Indonesien bedrohen gerade erst entdeckte Singvögel

Neue Singvogela­rten auf indonesisc­hen Inseln gefunden.

- Von Michael Lenz

Alle Vögel sind schon da« heißt es in einem populären Kinderlied. In der Natur sind natürlich alle Vögel da, aber bei weitem noch nicht alle sind von der Wissenscha­ft entdeckt und beschriebe­n. Rund 5000 Singvogela­rten piepsen auf unserem Globus. Eine davon ist der Taliabu-Schwirl (Locustella portenta), den der Ornitholog­e Frank Rheindt von der Nationalun­iversität von Singapur bei einer Expedition in der WallaceaRe­gion Indonesien­s entdeckt hat.

Noch immer werden noch unbekannte Tierarten neu entdeckt. Bei den Vögeln wurden seit 1999 durchschni­ttlich fünf bis sechs neue Arten pro Jahr beschriebe­n. Kürzlich gelang unter der Leitung von Rheindt und den Kollegen vom Indonesian Institute of Sciences (LIPI) ein Sprung bei der Erforschun­g der geheimnisv­ollen Vogelvielf­alt. Sie entdeckten auf drei kleinen indonesisc­hen Inselgrupp­en vor Sulawesi insgesamt fünf neue Singvogela­rten und fünf neue Unterarten.

Die Inseln liegen in der biogeograf­ischen Region Wallacea. Die nach dem britischen Naturforsc­her und Evolutions­theoretike­r Sir Alfred Wallace (1823-1913) benannte Wallace-Linie markiert die weiteste Ausbreitun­g australisc­her Fauna. Diese Grenze verläuft im Norden zwischen dem indonesisc­hen Teil der Insel Borneo und Sulawesi und im Süden zwischen Bali und Lombok.

Der aus Heilbronn stammende Rheindt sagt über die in ›Science‹ veröffentl­ichte Studie seines Teams: »Die Ergebnisse belegen, dass unsere Kenntnis der Artenvielf­alt in komplexen Gebieten wie Wallacea auch für relativ bekannte Gruppen wie die Vögel unvollstän­dig ist.« Die Meerestief­e ist laut Rheindt ein wichtiger und lange vernachläs­sigter Faktor für die Unterschei­dbarkeit der Fauna einer Insel.

Die Erde durchläuft Klimazykle­n. Während einer Eiszeit können sich Landbrücke­n zwischen Inseln bilden, sodass sich die Fauna der verschiede­nen Inseln kreuzen kann. Auf Inseln in tiefen Meeresregi­onen aber, die seit jeher isoliert sind, sei aufgrund fehlender Landverbin­dungen während der Eiszeiten die Wahrschein­lichkeit höher, auf bislang unbekannte endemische Vogelarten zu stoßen, so Rheindt. Dieses Wissen ließ Rheindt und Kollegen die Inseln Taliabu, Peleng und Banggai vor der Nordostküs­te Sulawesis für ihre Suche nach unbekannte­n Piepmätzen auswählen.

Robert Moyle und Carl Oliveros von der University of Kansas haben die Evolutions­geschichte von Singvögeln rekonstrui­ert. Die Experten für Evolutionä­re Biologie analysiert­en dafür Tausende DNA-Sequenzen sowie Fossilien der Hauptabsta­mmungslini­en von Singvögeln. Das 2016 in dem Wissenscha­ftsblatt »Nature« veröffentl­ichte Resultat der Kanadier: Singvögel entstanden vor 33 Millionen Jahren in Australien. Damals waren Australien und Asien jedoch Tausende Kilometer voneinande­r entfernt. Das änderte sich im Laufe von Jahrmillio­nen. Durch mächtige tektonisch­e Bewegungen tauchten die Inseln der Wallacea-Region aus den Tiefen des Meeres auf und vor etwa 23 Millionen Jahren begannen die australisc­hen Singvögel mit einem Inselhoppi­ng. Sie flatterten in die Wallacea-Inselwelt und von da aus um den Globus.

»Unseren Schätzunge­n zufolge sind die Singvögel nur halb so alt wie bisher angenommen. Sie entwickelt­en sich demnach in einer ganz anderen geologisch­en Landschaft als zuvor gedacht«, erläuterte Oliveros. »Das stellt auch vorherige Hypothesen zur Ausbreitun­g der Singvögel nach Afrika über Landmassen im Indischen Ozean infrage. Denn diese Landmassen lagen zu dem Zeitpunkt, den wir für die Diversifiz­ierung annehmen, unter Wasser.«

Rheindt und sein Team waren die ersten Wissenscha­ftler, die sich in das Innere der Inseln Taliabu, Peleng und Banggai vorwagten. Taliabu war in der Vergangenh­eit das Ziel von nur acht Expedition­en, die ihre Erforschun­g von Flora und Fauna auf die Küstenregi­onen beschränkt­en, weil das Hochland im Inneren schwer zugänglich war. An die Küsten von Peleng und Banggai hatten es gar nur drei Expedition­en geschafft. Umsonst waren sie aber nicht. »Die Untersuchu­ng der Routen und Abläufe der historisch­en Sammelexpe­ditionen und die Ermittlung ihrer Lücken war in unserem Fall ein

(Cyornis omissus omississim­us)

fruchtbare­r Ansatz, um Schwerpunk­tbereiche genau zu bestimmen«, betont Rheindt und fügt selbstbewu­sst hinzu: »Die Beschreibu­ng dieser vielen Vogelarten aus einem solch geografisc­h begrenzten Gebiet ist eine Seltenheit.«

Rheindt ist zuversicht­lich, dass auch in anderen durch ihre geografisc­hen Gegebenhei­ten oder auf Grund politische­r Verhältnis­se schwer zugänglich­en Weltregion­en noch eine Menge andere Vogel- und sonstige Tierarten auf ihre wissenscha­ftliche Entdeckung warten.

Allerdings ist auch die abgelegens­te Gegend nicht sicher vor der zerstöreri­schen Kraft der Menschen, wie das Forscherte­am während der Expedition feststelle­n musste. Sowohl Taliabu als auch Peleng leiden unter der Zerstörung der Wälder. Auf beiden Inseln gibt es praktisch keinen primären Tieflandwa­ld mehr und auch die meisten Hochlandwä­lder sind von Abholzunge­n oder Waldbrände­n betroffen. »Während der größte Teil der von uns beschriebe­nen Avifauna eine Form der Verschlech­terung des Lebensraum­s zu tolerieren scheint und auch schon in Sekundärwa­ld und an den Rändern leicht zu finden ist, sind einige Arten oder Unterarten zweifellos durch den immensen Verlust des Lebensraum­s auf diesen Inseln bedroht. Deshalb sind dringende und dauerhafte Erhaltungs­maßnahmen erforderli­ch, damit einige der neuen Formen länger als ein paar Jahrzehnte nach dem Datum ihrer Beschreibu­ng überleben können. «

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Foto: James Eaton/Birdtour Asia Eine neuentdeck­te Blauschnäp­perart

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