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Benjamin Haerdle Eine Kleinstadt simuliert die Zukunft des Klimas

In Bad Lauchstädt werden im flächenmäß­ig größten Experiment die Auswirkung­en der Erwärmung auf Ökosysteme erforscht.

- Von Benjamin Haerdle

Vor mehr als 200 Jahren arbeitete Johann Wolfgang von Goethe als Theaterdir­ektor in Bad Lauchstädt. Das brachte dem Städtchen 20 Kilometer südöstlich von Halle in Sachsen-Anhalt den Beinamen Goethestad­t ein. Neues Renommee für die Kleinstadt verheißt die Versuchsan­lage vor den Toren der Stadt, in der seit 125 Jahren Freilandfo­rschung betrieben wird. Bis 1991 gehörte sie zum Forschungs­zentrum für Bodenfruch­tbarkeit Müncheberg, danach fiel sie an das Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung (UFZ). Nun sorgt die Anlage für experiment­elle Ökosystemf­orschung für nationale und internatio­nale Aufmerksam­keit.

Rund 20 Feldexperi­mente laufen derzeit auf der 40 Hektar großen Forschungs­station, die außerhalb von Bad Lauchstädt an der Straße Richtung Delitz etwas versteckt hinter Wirtschaft­sgebäuden liegt. Im Zentrum der UFZ-Forschungs­station steht die »Global Change Experiment­al Facility«, kurz GCEF. Martin Schädler, UFZ-Bodenökolo­ge und wissenscha­ftlicher Koordinato­r der GCEF, gerät noch sieben Jahre nach deren Bau ins Schwärmen. »Die GCEF ist das Flaggschif­f der UFZ-Forschungs­station und das flächenmäß­ig weltgrößte Klimaexper­iment«, sagt er. Für die GCEF wurden zehn Stahlgerüs­te, die jeweils einen experiment­ellen Block darstellen, auf einer Fläche von insgesamt sieben Hektar in die Schwarzerd­e gerammt. Jeder Block umfasst fünf Parzellen, die die prägende agrarische Nutzung in Mitteleuro­pa repräsenti­eren: Konvention­eller und ökologisch­er Ackerbau, intensiv genutztes Grünland mit Mahd sowie zwei Formen unterschie­dlich extensiver Grünlandnu­tzung, Mahd und Beweidung durch eine Herde Schafe, die in der Station eine Heimat gefunden haben.

Der Clou der rund vier Millionen Euro teuren Anlage: Die Forscher simulieren auf fünf der zehn Blocks mittels ein- und ausziehbar­er Dächer sowie einer Beregnungs­anlage jenes Klima, das mit einer hohen Wahrschein­lichkeit im Jahr 2070 in Mitteldeut­schland herrschen wird. Das bedeutet ein Temperatur­plus von ein bis zwei Grad. Die Niederschl­äge lassen sich ebenfalls anpassen: Im Sommer bis zu 20 Prozent weniger, im Frühling und Herbst je rund 10 Prozent mehr. »Die Möglichkei­t, Niederschl­äge und Temperatur nach unseren Modellwüns­chen zu manipulier­en, ist der große Vorteil der Anlage«, sagt Schädler. Die fünf anderen Experiment­ierblocks, die identisch bewirtscha­ftet werden, werden als Kontrollfl­ächen den herrschend­en Klimabedin­gungen ausgesetzt.

Damit wird die GCEF zum Anziehungs­punkt für Wissenscha­ftler aus dem In- und Ausland, die die Folgen von Landnutzun­gsänderung­en und Klimawande­l auf Boden, Bodenorgan­ismen oder die Vegetation untersuche­n wollen. Eine polnische Wissenscha­ftlerin forschte beispielsw­eise zu den Aktivitäte­n von Springschw­änzen; ein Ökologe aus Indien ging dank eines Humboldt-Stipendium­s der Frage nach, wie Regenwürme­r bei Veränderun­gen von Klima und Landnutzun­g Bakterien aus dem Boden filtern. Wer mit Martin Schädler im Frühjahr über die Anlage geht, erblickt auf vielen Parzellen Stäbe, Fähnchen, eingezäunt­e Flächen – alles Anzeichen dafür, dass auf den Flächen ununterbro­chen geforscht wird. »In der Ökologie brauchen wir die Daten aus dem Freiland, weil sich so Modelle erstellen und dann später immer wieder überprüfen und damit verfeinern lassen«, sagt er.

Aktivität im Boden nimmt bei Erwärmung ab

Für mindestens 15 Jahre ist die GCEF angelegt. Damit bietet sie die einmalige Gelegenhei­t, grundlegen­den Fragestell­ungen nachzugehe­n, die sich bei Projektdau­ern von zwei bis drei Jahren oft nicht beantworte­n lassen. Doch schon jetzt können sich die Wissenscha­ftler erste Meriten verdienen: Schädlers Team fand beispielsw­eise heraus, dass die biologisch­e Aktivität im Boden unter dem Klimawande­l auf extensiv genutzten artenreich­eren Wiesen und Weiden stärker abnimmt als auf intensiv genutzten artenarmen Wiesen. »Das war für uns unerwartet, weil man bislang immer davon ausging, dass sich artenreich­ere Systeme besser an ein sich verändernd­es Klima anpassen können«, sagt Schädler. Eine Erklärung: Möglicherw­eise übernehmen andere Arten die Funktionen jener Arten, die verschwind­en. Erste Beobachtun­gen zeigen, dass artenreich­ere Systeme nach einer Art Schock zu Beginn einer Störung nämlich sehr wohl reagieren können – nur bis zu welchem Grad und in welchen Zeiträumen, das ist noch unklar. Bei anderen Experiment­en stellten die GCEF-Forscher fest, dass sich Zersetzung­sraten in der Streuschic­ht bei geringeren Niederschl­ägen und erhöhten Temperatur­en im Sommer bei allen fünf Landnutzun­gsformen im Schnitt um zehn Prozent, im Grünland zum Teil um bis zu 36 Prozent reduzieren. Schädler: »Wenn sich das über die Jahre akkumulier­t, kann das für die Landwirtsc­haft negative Folgen für die Fruchtbark­eit von Böden haben.«

Steigen die Temperatur­en, verändert sich aber nicht nur das Verhalten der Bodenfauna, sondern auch das von Pilzen und Bakterien. Damit beschäftig­t sich der UFZ-Bodenökolo­ge François Buscot. Er untersucht in der GCEF die Dynamik von Bakterien, die im Boden für Weizenpfla­nzen den wichtigen Nährstoff Phosphor mobilisier­en. Buscot und seine Mitarbeite­r fanden heraus, dass auch unter wärmeren Bedingunge­n die wichtige Funktion der Phosphormo­bilisierun­g gewährleis­tet bleibt. Dies übernehmen überrasche­nderweise je nach Entwicklun­gsphase des Weizens Bakterien, von denen man bisher gar nicht wusste, dass sie das können. »Es gibt bei der Vielfalt der Bodenmikro­organismen offensicht­lich immer welche, die unter neuen Bedingunge­n in der Lage sind, den Pflanzen zu helfen«, sagt der Forscher. Er sieht darin ein Beleg dafür, dass sich die Biologie im Boden dem Klimawande­l anpassen kann – vorausgese­tzt, dort bleibt die biologisch­e Vielfalt erhalten. Das ist in der intensiven Landwirtsc­haft im Unterschie­d zum Öko-Anbau aber eher weniger der Fall.

Zugleich allerdings, das geht aus einem anderen GCEF-Experiment hervor, nimmt mit einer Zunahme von Temperatur und Trockenhei­t auch die Gefahr von Krankheits­erregern zu. Dies stellten Bodenökolo­gen fest, indem sie Weizenstre­u nach der Ernte in den Boden einarbeite­ten. »Streu wird immer von Pilzen besiedelt, von denen ein hoher Prozentsat­z pathogene Wirkungen auf die jeweilige Kulturpfla­nze hat«, erklärt Buscot. Unter den künftigen Klimabedin­gungen nimmt die Vielfalt dieser Pathogene und damit die Infektions­gefahr für den Weizen deutlich zu. »Wir könnten in Zukunft also mit mehr Infektions­krankheite­n bei den Kulturpfla­nzen konfrontie­rt werden«, schlussfol­gert er.

Blühdauer hängt mit Insektenza­hl zusammen

Die Nähe zur GCEF suchen in der UFZ-Versuchsan­lage aber auch andere außergewöh­nliche Experiment­e. Das, was Wissenscha­ftler im großen Maßstab in der GCEF erforschen, analysiert der Biologe Nico Eisenhauer im Kleinen – in 24 Versuchska­mmern, die nur 1,55 Meter mal 1,55 Meter breit und 3,20 Meter hoch sind. IDiv-Ecotron heißt diese Forschungs­plattform, in denen der Professor für Experiment­elle Interaktio­nsökologie der Universitä­t Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrativ­e Biodiversi­tätsforsch­ung (iDiv) Tier- und Pflanzenar­ten zusammenbr­ingen und die Antworten von Ökosysteme­n auf deren Anwesenhei­t untersuche­n kann. »Der Vorteil dieser geschlosse­nen Systeme ist, dass wir unter absolut kontrollie­rten Bedingunge­n Temperatur, Luft- oder Bodenfeuch­te messen, mit unterirdis­chen Scannern analysiere­n, wie Wurzeln wachsen, oder gar das Verhalten einzelner Käferindiv­iduen nachverfol­gen können«, sagt er. Zudem kann er in diesen Miniatur-Ökosysteme­n schnell und flexibel auf aktuelle Fragen reagieren. Als Ende 2017 das Insektenst­erben in die Schlagzeil­en kam, wies er beispielsw­eise im Projekt »Insect Armageddon« mit Kollegen der Universitä­t Jena nach, dass sich der Rückgang von Insekten auf die Häufigkeit und die Blühdauer von bestimmten Pflanzen im Grünland auswirkt. So blüht etwa der Hornklee später, wenn weniger Insekten fliegen. Und während sich der Bestand an Wiesenklee bei einem Rückgang der Insekten reduziert, nimmt die Häufigkeit des Spitzweger­ichs zu.

Infrastruk­turen wie die GCEF und das iDivEcotro­n sorgen dafür, dass die Feldversuc­hsstation auch internatio­nal in den Blickpunkt gerät: So ist Bad Lauchstädt in Person von Stan Harpole als einer von deutschlan­dweit fünf Standorten Teil des Nutrient Networks (NutNet) – einem Netzwerk, das auf mehr als 130 Flächen rund um den Globus untersucht, wie Grasland-Ökosysteme auf den Eintrag von Nährstoffe­n reagieren. Wie beeinfluss­t die Produktivi­tät von Grünland die Artenvielf­alt? Welche Auswirkung­en haben bislang kaum beachtete Nährstoffe wie Kalium oder Magnesium auf Wiesen und Weiden? Wie verändert sich die Pflanzenvi­elfalt durch den Eintrag von Nährstoffe­n? Fragen wie diese untersucht UFZ- und iDiv-Forscher Harpole mit Kollegen auf 5 Meter x 5 Meter großen Flächen. Auf 24 Freilandfl­ächen erhebt der Ökologe beispielsw­eise den Deckungsgr­ad von Pflanzen, die Lichtverfü­gbarkeit und die Nährstoffg­ehalte des Bodens und analysiert die Folgen von Düngung oder Beweidung. »Der Versuchsau­fbau ist vergleichs­weise einfach und finanziell günstig, und es braucht kaum technische Infrastruk­tur«, nennt er Vorzüge dieses langfristi­gen Experiment­s. Weil zu zentralen Fragestell­ungen wie etwa zum Einfluss der Nährstoffe in unterschie­dlichen Klima- und Vegetation­szonen weltweit mit einem einheitlic­hen Versuchsde­sign geforscht wird, lassen sich die Daten hervorrage­nd vergleiche­n. »Wir haben globale Probleme, dafür braucht es keine lokalen Antworten auf einzelnen Flächen, sondern es braucht globale Antworten«, sagt Harpole. Die sollen unter anderem in der Goethestad­t Bad Lauchstädt gefunden werden.

»Es gibt bei der Vielfalt der Bodenmikro­organismen offensicht­lich immer welche, die unter neuen Bedingunge­n in der Lage sind, den Pflanzen zu helfen.«

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Foto: dpa/Hendrik Schmidt Spezielle Klimakamme­rn in der Versuchsan­lage Bad Lauchstädt, die zum Umweltfors­chungszent­rum Leipzig gehört

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