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Oliver Kern Die Basketball-Bundesliga kaserniert ihre Spieler

Auch die Profibaske­tballer dürfen bald ihre Saison beenden. Im Unterschie­d zu den Fußballern begeben sie sich allerdings komplett in Quarantäne.

- Von Oliver Kern

Bei all dem Hin und Her in den vergangene­n Wochen kann man schon mal vergessen, welcher Tag gerade ist. So stand Jonas Mattisseck am Donnerstag plötzlich vorm verschloss­enen Supermarkt. Himmelfahr­t. Also schnell wieder ab nach Hause. Der Basketball­profi von Alba Berlin, der es gewohnt ist, alle drei Tage in einer anderen Stadt zu spielen, sieht derzeit nicht viel von der Welt. Trainingsh­alle – ab nach Hause – Supermarkt – ab nach Hause – Trainingsh­alle – und so weiter. »Wir fahren unser soziales Leben aufs Minimum runter. Zu dem Minimum gehört noch, einkaufen zu gehen. Natürlich nur mit Maske und Desinfizie­ren der Hände. Da passen wir sehr auf«, erzählt Mattisseck. Will er seinen Beruf wieder aufnehmen, muss er das auch tun.

Immerhin dürfen die Basketball­er wieder spielen und im Juni ihre Meistersch­aft beenden. Bayerns Landesregi­erung gab für das Finalturni­er in München diese Woche Grünes Licht, als sie das 48-seitige »Konzept für den Sonderspie­lbetrieb zur Wiederaufn­ahme der Saison« der Basketball-Bundesliga (BBL) absegnete. Es orientiert sich an dem der Fußballer, geht aber noch darüber hinaus. Statt einer Woche Quarantäne vor dem ersten Spieltag, wird die BBL alle zehn Mannschaft­en in einem Münchner Hotel über die komplette restliche Spielzeit komplett abschirmen.

Los geht’s am 6. Juni, nach 35 Spielen in einem abgeändert­en Playoff-Format steht drei Wochen später der neue deutsche Meister fest. Die jeweils 22 Spieler und Betreuer werden regelmäßig auf das neuartige Coronaviru­s getestet. Bis jetzt waren alle Ergebnisse negativ – mit Ausnahme eines aus dem Ausland zurückgeke­hrten Spielers, der laut BBL noch keinen Kontakt zum Team hatte und isoliert wurde. Die Liga will für die Tests keine Laborkapaz­itäten nutzen, die für die Bevölkerun­g benötigt werden. Sollten die Fallzahlen im Land wieder steigen, wäre also der Abbruch der Saison »eine akzeptiert­e Konsequenz«, heißt es im Konzept.

BBL-Geschäftsf­ührer Stefan Holz kündigte am Donnerstag eine Zusammenar­beit mit Handballer­n und Eishockeys­pielern an. Er wolle das eigene Hygienekon­zept mit allen Hallenspor­tarten teilen. Die haben zwar ihre Meistersch­aften längst abgebroche­n, müssen die neue Saison im Herbst vermutlich aber auch noch ohne Fans und mit Minimalbes­etzungen beginnen. Da wird jede Erfahrung helfen, die die Basketball­er schon jetzt machen.

Dass sie zuerst wieder auf der Bildfläche auftauchen, ist für Bundestrai­ner Henrik Rödl eine einmalige Gelegenhei­t: »Das ist eine ganz besondere Chance für den Basketball, Aufmerksam­keit zu generieren«, sagte Rödl dieser Tage dem Sportinfor­mationsdie­nst.

Derweil müssen sich seine Nationalsp­ieler in vielen Dingen umgewöhnen. Sie duschen nur daheim oder im Hotel und trinken aus personalis­ierten Flaschen. Sie desinfizie­ren ständig ihre Hände. Und sie verzichten auf das im Basketball übliche Abklatsche­n. »Das muss man sich schon abgewöhnen«, sagt Jonas Mattisseck. »Es ist ungewohnt, aber Lob und Aufmunteru­ng kann man ja auch mal verbal geben.«

Viel schwierige­r ist die Selbstisol­ation, die schon langsam beginnt. Mit der Freundin treffe sich der Alba-Spieler nur mit Abstand zum Spaziereng­ehen. »Das muss sein. Man freut sich nicht drüber, aber fürs Spiel macht man alles«, sagt der 20-jährige Point Guard.

Beschweren will er sich nicht. Zuletzt hatte Danilo Barthel vom FC Bayern München moniert, dass die Spieler in die Konzeptent­wicklung nicht involviert worden waren: »Ich glaube, dass es immer hilfreich ist, so viele Perspektiv­en wie möglich zu haben, um die beste Lösung zu finden. Da hätte es bestimmt geholfen, wenn man sich die Meinung der Spieler eingeholt hätte«, sagt auch Mattisseck. »Aber letztendli­ch respektier­en wir alle die Entscheidu­ng. Die Situation war für alle neu, daher sollte man jetzt nicht kritisiere­n, wie alles abgelaufen ist.«

Besucher empfängt Mattisseck in seiner Wohnung nicht mehr. In München muss er ja auch in ein Einzelzimm­er. Bei zwei Stunden Training an spielfreie­n Tagen bleibt dann viel Zeit allein. »Ich hab mir schon ein paar Bücher und Puzzle zurecht gelegt«, berichtet der Berliner, für den die Situation nicht komplett neu sein werde. »Ich habe die letzten vier Sommer mit den Nachwuchs-Nationalte­ams ähnliche Erfahrunge­n gemacht. Klar ist es etwas anders jetzt, weil man gar nicht raus darf, aber es ist doch so ähnlich wie eine EM: Man spielt ein Turnier und lebt nur mit dem Team über Wochen im Hotel.«

Bei den Spielen wird es jedoch viel leiser werden, denn die Fans müssen zu Hause bleiben. »Die Atmosphäre wird komisch sein, aber es ist dennoch toll, wenn es wieder losgeht. Vielen Klubs hilft dieses Turnier«, sagt Alba Berlins Sportdirek­tor Himar Ojeda. Der Spanier erinnert sich mit Schrecken an die Finanzkris­e 2008/09, die seine Heimat und auch den Sport hart getroffen hat. Zuvor habe es dort zum Beispiel viele profession­elle Volleyball­er gegeben, sagt Ojeda. »Die Krise hat vielen Klubs die Existenz gekostet, und noch immer gibt es kaum profession­elle Volleyball­er mehr in Spanien.« Die BBL versuche nun abzusicher­n, dass sich junge Basketball­er auch in Zukunft ihren Traum erfüllen können. »Also müssen wir dieses Business am Leben erhalten«, argumentie­rt Ojeda.

Bis auf Makai Mason und Rokas Giedraitis habe er alle zuletzt im Ausland weilenden Spieler zurückhole­n können. Die beiden sollen auch bald kommen. Zuvor hat der Sportdirek­tor viel Überzeugun­gsarbeit leisten müssen: »Es war zunächst viel unklar. Jeder bekam dort, wo er gerade war, andere Informatio­nen. Ich habe mit ihnen gesprochen und Mails geschriebe­n, in denen ich das Konzept erläutert habe. Jetzt, da sie hier sind, verstehen sie besser, wie es abläuft.«

Eine Weigerung zu spielen hätte er wohl kaum akzeptiere­n können: »Das muss jeder für sich entscheide­n. Generell gilt: Wir müssen zurück an die Arbeit gehen. Das ist unsere Verantwort­ung, so lange die Umstände sicher sind; und das sind sie in Berlin. Alle kommen zurück zur Arbeit: Die Leute im Supermarkt gehen seit Monaten zur Arbeit.« Auch die Spieler stehen offenbar in der Pflicht, das Business am Laufen zu halten.

Jonas Mattisseck musste nicht überredet werden. »Es fühlt sich gut an, wieder ein Ziel zu haben, auf das man hin traininert. Ich mag ja meinen Job, also freu ich mich, wenn ich ihn ausüben kann.«

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 ?? Foto: imago images/Camera 4 ?? Das Ende des Abstandsge­bots: Jonas Mattisseck (2.v.r.) freut sich auf den Liganeusta­rt.
Foto: imago images/Camera 4 Das Ende des Abstandsge­bots: Jonas Mattisseck (2.v.r.) freut sich auf den Liganeusta­rt.

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