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Unamerikan­isch?

Schon Gerhart Eisler erlebte, was Assange droht.

- Von Ronald Friedmann

Am 19. Mai sollte vor einem Londoner Gericht das Auslieferu­ngsverfahr­en gegen Julian Assange fortgesetz­t werden. Coronabedi­ngt erfolgte dies nicht. Der ungeheuerl­iche Vorgang ist damit allerdings nur aufgeschob­en, vermutlich in den Herbst hinein, aber nicht aufgehoben. Es ist nicht das erste Mal, dass US-amerikanis­che Behörden versuchen, mit Hilfe der britischen Justiz einen politische­n Gegner in ihre Gewalt zu bekommen.

Im Juni 1941 befand sich der deutsche Kommunist Gerhart Eisler auf dem Weg ins mexikanisc­he Exil. Zwei Jahre war er in Frankreich interniert gewesen, bevor ihm die dortigen Behörden die Ausreise nach Mexiko gestattete­n, das ihm und vielen anderen deutschen Antifaschi­sten Zuflucht gewährt hatte. Doch seine Reise endete bereits bei einem planmäßige­n Zwischenst­opp in New York – die US-Regierung hatte als Maßnahme gegen Hitlers »Fünfte Kolonne« beschlosse­n, allen Deutschen und Österreich­ern, unabhängig von ihrer politische­n Haltung, die Weiterreis­e nach Lateinamer­ika zu untersagen. Eisler musste sich nun darauf einstellen, die Jahre des Exils in den USA zu verbringen.

Das war keine gute Nachricht für ihn. Denn er hatte bereits zwischen 1933 und 1936 illegal in den USA gelebt und dort unter dem Namen »Genosse Edwards« als Vertreter der Kommunisti­schen Internatio­nale bei der Führung der Kommunisti­schen Partei der USA gearbeitet. Im Sommer 1935 hatte er sogar als offizielle­r Delegierte­r der US-amerikanis­chen KP am VII. Weltkongre­ss in Moskau teilgenomm­en.

Bei seinem erzwungene­n zweiten Aufenthalt in den USA musste sich daher der Bruder des Komponiste­n Hanns Eisler und der zeitweilig­en KPD-Vorsitzend­en Ruth Fischer äußerste Zurückhalt­ung auferlegen. Zwar engagierte er sich in der New Yorker Parteiorga­nisation der deutschen Kommuniste­n. Und er spielte eine wichtige Rolle bei den Bemühungen, im US-amerikanis­chen Exil eine deutsche Volksfront gegen Krieg und Faschismus zu schaffen. Doch vermied er aus naheliegen­den Gründen jeden offensicht­lichen Kontakt zu führenden Vertretern der Kommunisti­schen Partei der USA.

Sofort nach Kriegsende bemühte sich Eisler bei den US-amerikanis­chen Behörden um eine Ausreisege­nehmigung, doch erst Ende Juli 1946 erhielt er die Erlaubnis, die USA zu verlassen. Kurz darauf wurde er vom FBI erstmals zu einem Verhör vorgeladen, das aus »Höflichkei­t« als »Gespräch« bezeichnet wurde und ihn – zu seiner bösen Überraschu­ng – mit seiner Vergangenh­eit als »internatio­naler Kommunist« konfrontie­rte. Doch nichts deutete darauf hin, dass seine Ausreise aus den USA in Gefahr sein könnte. Das ändert sich erst Mitte Oktober 1946: Ein früherer langjährig­er Redakteur der kommunisti­schen Parteizeit­ung »Daily Worker« hatte die Seiten gewechselt und war nun mit »sensatione­llen Enthüllung­en« an die Öffentlich­keit gegangen. Er erklärte Eisler zum allmächtig­en »Agenten der Komintern« und zum »Kommuniste­n Nummer 1 der USA«, der der wahre Chef der KP der USA sei. Dabei wurde sein »Kenntnisst­and« über die angebliche Rolle Eislers umso größer, je länger die Kampagne dauerte. Offensicht­lich wurde er vom FBI mit weiteren Informatio­nen »gefüttert«.

Die Ausreise Eislers hatte sich damit erledigt, schlimmer noch. In den folgenden zweieinhal­b Jahren wurde der Publizist zum Ziel einer permanente­n Hexenjagd, die in der öffentlich­en Feststellu­ng gipfelte, er sei der »Boss aller Roten in Amerika« und ein »Atomspion auf der Flucht«. Über Monate hinweg wurde er demonstrat­iv durch das FBI überwacht. Er wurde vom berüchtigt­en »Komitee für unamerikan­isches Verhalten« des USKongress­es vorgeladen, um dort gegen seine Genossen auszusagen. Als er vor seiner Vereidigun­g eine Erklärung abgeben wollte, wurde er wegen »Missachtun­g des Kongresses« kurzerhand vor Gericht gestellt und zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Es folgte eine weitere Verurteilu­ng zu einer Haftstrafe wegen »Steuerhint­erziehung«, da er die monatliche­n Zuschüsse, die er von einem Flüchtling­skomitee erhalten hatte, nicht deklariert hatte. Er blieb zunächst in Freiheit, weil seine Anwältin sofort in Berufung ging. Doch im Frühjahr 1949 wurde endgültig klar, dass er tatsächlic­h Gefahr lief, viele Jahre in einer US-amerikanis­chen Haftanstal­t zu verbringen.

Im Mai 1949 entschloss sich Eisler daher zur Flucht aus den USA. Auf abenteuerl­iche Weise gelangte er unerkannt an Bord des polnischen Passagiers­chiffes »Batory«, das im Linienverk­ehr zwischen den USA und Europa unterwegs war. Als das Schiff die Hoheitsgew­ässer der USA verlassen hatte, meldete sich Eisler beim Kapitän und bezahlte seine Überfahrt. Über Funk erhielt er von der polnischen Regierung die Zusicherun­g freien Geleites. Doch auch die US-Regierung hatte von Eislers Flucht erfahren und verlangte nun von der britischen Regierung, diesen bei einem geplanten Zwischenst­opp in Southampto­n zu verhaften und an die USA auszuliefe­rn. Tatsächlic­h wurde Eisler in Southampto­n gegen alle Regeln des Seerechts von der britischen Polizei mit Gewalt von Bord gebracht und nach London transporti­ert, wo das zuständige Gericht über die USamerikan­ische Auslieferu­ngsforderu­ng entscheide­n sollte.

Seine Vertretung übernahm Denis Nowell Pritt, ein bekannter britischer Kronanwalt, der fünfzehn Jahre zuvor den Londoner Gegenproze­ss zum Leipziger Reichstags­brandproze­ss geleitet hatte. Jahrzehnte später schrieb Pritt in seinen Memoiren: »Dieser ganze Vorfall war ein Höhepunkt der Unterwürfi­gkeit unserer Regierung gegenüber den USA. Es handelte sich nicht nur um eine ungesetzli­che Verhaftung, sondern auch um die Ingangsetz­ung eines unbegründe­ten Strafverfa­hrens in der Absicht, Eisler den Amerikaner­n auszuliefe­rn.« Pritt beklagte die »Arroganz und Unverblümt­heit der USA in jener Periode, ihre Überzeugun­g, dass die britische Regierung nichts weiter als ihr Lakai sei, der ihren Befehlen zu gehorchen habe.« So habe die USRegierun­g gedroht, dass »die Freilassun­g Eislers die künftige Marshallpl­an-Hilfe für Großbritan­nien gefährden würde.«

Dennoch war Pritt von Anfang an optimistis­ch gewesen. Seinen Mandanten hat er mit der Feststellu­ng begrüßt: »Endlich haben wir einen politische­n Prozess, den wir gewinnen können.« Eisler war skeptisch geblieben, doch Pritt behielt recht: Der Antrag des US-Vertreters hatte einen so offensicht­lich politische­n Charakter und stand so unbestreit­bar in Widerspruc­h zu den einschlägi­gen Bestimmung­en des bilaterale­n Auslieferu­ngsabkomme­ns, dass das Londoner Gericht keine andere Möglichkei­t hatte, als Eisler trotz des massiven Drucks aus Washington freizulass­en. Für diese Blamage rächten sich die US-Behörden in den folgenden Wochen und Monaten an der Besatzung und den Passagiere­n der »Batory«, die im New Yorker Hafen regelmäßig einer schikanöse­n Behandlung unterworfe­n wurden. Eisler aber gelangte an sein Ziel, die damalige Sowjetisch­e Besatzungs­zone Deutschlan­ds.

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 ?? Foto: Archiv ?? Verhör von Gerhart Eisler am 6. Februar 1947 vor dem Komitee für »unamerikan­ische Umtriebe« in Washington
Foto: Archiv Verhör von Gerhart Eisler am 6. Februar 1947 vor dem Komitee für »unamerikan­ische Umtriebe« in Washington

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