nd.DerTag

Ohne Lohndumpin­g

Berliner Senat will Beschäftig­te bei S-Bahn-Vergabe schützen.

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Am Dienstag hat der Senat die Ausschreib­ungsmodali­täten für zwei Drittel des S-Bahnnetzes beschlosse­n. Eigentlich wollte Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne) das bereits letzte Woche erledigt haben, dies scheiterte allerdings am Widerspruc­h der Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linke). Was war der Anlass?

Es soll eine umfassende Sicherung für die Beschäftig­ten der S-Bahn geben. Neben den Arbeitsplä­tzen geht es auch um die Bezahlung auf dem jetzigen Niveau, die Sicherung der Anzahl der Ausbildung­splätze sowie die Beschäftig­ung von schwerbehi­nderten Menschen. Die Absicherun­g der Beschäftig­tenrechte ist auch wichtig, damit das Personal für den S-Bahn-Betrieb erhalten bleibt und wir nicht in eine Situation wie in anderen Bundesländ­ern kommen, wo neue Betreiber nicht ausreichen­d Personal hatten, um den Betrieb aufzunehme­n.

Regine Günther reagierte recht ungehalten auf die erneute Verzögerun­g. Macht sich die Linke nicht mit schuldig an einer neuen unendliche­n Ausschreib­ungsgeschi­chte? Die Frage ist doch, wer hier verzögert. Die Forderunge­n zur Absicherun­g der Beschäftig­tenrechte sind seit Monaten bekannt. Es ist auch festzuhalt­en, dass die Senatsvorl­age der Verkehrsve­rwaltung sehr kurzfristi­g verschickt worden ist. Außerdem war das die erste Gelegenhei­t, bei der die Arbeitsver­waltung sich überhaupt formal äußern konnte. Seit zweieinhal­b Jahren läuft dieser Prozess bereits, das liegt auch an dem erhebliche­n Vorlauf, den die Verkehrsve­rwaltung benötigt hatte, und an den zusätzlich­en Verzögerun­gen durch den Regierungs­wechsel in Brandenbur­g. Als die Rechte der Beschäftig­ten abgesicher­t waren, konnte der Senatsbesc­hluss schnell erfolgen. Ein Dumpingwet­tbewerb auf dem Rücken der Beschäftig­ten und mit dem Risiko eines Stabilität­sverlusts des S-Bahn-Verkehrs hätte wenig mit zukunftsor­ientierter Verkehrspo­litik zu tun.

Die Ausschreib­ung ist politisch hoch umstritten. Letzten Dienstag demonstrie­rte die Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) vor dem Roten Rathaus wegen des fehlenden Schutzes der Beschäftig­ten. Setzt das die Linke unter Druck? Wir begleiten das Projekt mit der EVG schon seit Jahren und pflegen einen engen Austausch. Die Beschäftig­tenvertret­er haben auch den Austausch mit der Verkehrsve­rwaltung gesucht – nicht immer mit Erfolg. Die EVG war dabei immer pragmatisc­h, aber klar in ihren Forderunge­n. Der Landesvors­tand der Linken hat am Freitag noch einmal den im November 2019 gefassten Landespart­eitagsbesc­hluss bekräftigt, dass wir eine SBahn aus einer Hand haben wollen und eine mögliche Zerschlagu­ng ablehnen. Unverzicht­bar bleibt unter den gegebenen Bedingunge­n mit fehlenden Direktverg­abemöglich­keiten und der Pflicht zur Ausschreib­ung der umfassende Schutz der Beschäftig­ten.

Am Freitag hat auch das Bündnis »Eine S-Bahn für alle« vor dem Roten Rathaus demonstrie­rt, das auch von Teilen der Linken unterstütz­t wird. Es fordert einen Abbruch der Ausschreib­ung. Darauf arbeiten Sie aber nicht hin?

Seit 2018 diskutiert die Linksparte­i über diese Frage. Die Dynamik und die Emotionali­tät nehmen zu, je näher der Ausschreib­ungstermin rückt. Dass diese Diskussion den Druck erhöht, ist gut, weil das die Sensibilit­ät für das Thema schärft. Das Bündnis stellt berechtigt­e Fragen zum Wettbewerb­scharakter des Verfahrens und macht darauf aufmerksam, dass Wettbewerb auf der Schiene nicht grundsätzl­ich zu besseren Ergebnisse­n führt und am Ende auch viel mehr Probleme bereiten kann. Für mich ist daher die Frage wichtig, welche Forderunge­n wir in der rot-rot-grünen Koalition umsetzen können. Die Linke steht dem Wettbewerb kritisch gegenüber, auch aus den Reihen der Abgeordnet­en der SPD höre ich Kritik, die Grünen sind eher dafür.

Also warum sind Sie trotz der grundsätzl­ichen Übereinsti­mmung gegen den Abbruch der Ausschreib­ung?

Es liegt an den Rahmenbedi­ngungen. Unter den gegebenen Bedingunge­n ist derzeit eine Direktverg­abe durch das Land leider nicht möglich. Es fehlt das landeseige­ne Unternehme­n, das den Betrieb übernehmen könnte. Das Gesetz gegen Wettbewerb­sbeschränk­ung verhindert eine Direktverg­abe an die S-Bahn Berlin GmbH als Tochter der Deutschen Bahn, die jedoch gemäß EU-Verordnung möglich wäre. Wir wollen dazu eine Bundesrats­initiative ergreifen und hoffen auf Zustimmung in der Koalition. Ein anderer Weg wäre die Übernahme der S-Bahn Berlin. Es gab in den vergangene­n Legislatur­en immer wieder Gespräche des Senats mit dem Bund und der Bahn, bisher leider immer ohne greifbare Ergebnisse. Zu fordern, dass man die Ausschreib­ung beendet, bedeutet unter den gegebenen Bedingunge­n nichts anderes, als die Entscheidu­ng und damit die Beschaffun­g der dringend notwendige­n neuen S-Bahn-Wagen weiter zu vertagen. Also entscheide­n wir uns in der Koalition für den Weg, das zu befürchten­de Chaos bestmöglic­h zu vermeiden und zu verhindern, dass der Wettbewerb auf dem Rücken der Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er ausgetrage­n wird.

Auch woanders geht es zäh voran. Vergangene Woche wurde der erste Spatenstic­h für die Straßenbah­nneubaustr­ecke in Adlershof gefeiert. Statt vier Tramprojek­te, wie im Koalitions­vertrag vorgesehen, wird wahrschein­lich nur eines bis 2021 fertig. Die Erwartunge­n konnten nicht ansatzweis­e erfüllt werden. Ich schließe noch nicht aus, dass 2021 auch die Straßenbah­nstrecke zwischen Hauptbahnh­of und Turmstraße fertig werden kann; zumindest wird wohl der Bau begonnen haben. Der Spatenstic­h für »Adlershof II« ist ein sehr gutes Signal, denn Adlershof wächst. Es entstehen dort viele neue

Wohnungen, und die Verbindung mit Schöneweid­e ist daher sehr wichtig. Die Verabredun­gen im Koalitions­vertrag waren allerdings keine substanzlo­sen Träumereie­n, die an der Realität gescheiter­t sind. Sie hatten ihr Fundament auch in der Zuarbeit der damaligen Senatseben­e.

Woran liegt es dann?

Die Verkehrsve­rwaltung war nach der Aufteilung der Stadtentwi­cklungsver­waltung nicht gut aufgestell­t. Das hat es schwierig gemacht. Es hakt auch immer wieder an der Abstimmung zwischen BVG und Senat, da gibt es zeitrauben­de Schleifen. Beide Seiten müssen nun endlich ein gemeinsame­s Problemver­ständnis entwickeln, wie die Planungspr­ozesse stringent zusammenge­führt werden können. Auch die Bezirke sollten sich künftig bereits zu Beginn der Verfahren äußern. Der ganze Prozess muss letztlich politisch zur Top-Priorität in der Verkehrsve­rwaltung gemacht werden, sonst wird das nicht besser werden.

Wann wird der Ausbau des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs spürbar vorankomme­n?

Der neue Verkehrsve­rtrag mit der BVG, der im September in Kraft treten soll, wird die Grundlage für eine Angebotsof­fensive sein. Als politische­s Projekt sprechen wir als Linksfrakt­ion der Reintegrat­ion der privatrech­tlichen Tochter Berlin Transport in die BVG weitere Priorität zu.

Wo läuft es denn gut bei der Verkehrswe­nde?

Es mag manche verwundern, aber ich denke, dass beim Radverkehr das Glas eher halb voll als halb leer ist. Das dafür bereitgest­ellte Geld ist eine Übererfüll­ung des Koalitions­vertrages, die Bezirke haben nun Radverkehr­splaner. Es gibt die Infravelo als gut aufgestell­te Tochter der Grün Berlin, die bezirksübe­rgreifende Maßnahmen koordinier­t. Allerdings zeigt sich, dass je nach politische­r Priorität die Umsetzung in den Bezirken sehr unterschie­dlich vorangetri­eben wird.

 ?? Foto: Florian Boillot ?? Protest gegen die S-Bahn-Ausschreib­ung am vergangene­n Freitag vor dem Roten Rathaus
Foto: Florian Boillot Protest gegen die S-Bahn-Ausschreib­ung am vergangene­n Freitag vor dem Roten Rathaus
 ?? Foto: dpa/Gregor Fischer ?? Kristian Ronneburg ist seit Februar verkehrspo­litischer Sprecher der Linksparte­i im Abgeordnet­enhaus. Der 33-Jährige zog 2016 als direkt gewählter Abgeordnet­er aus Marzahn-Hellersdor­f dort ein, zuvor war er Mitglied der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung. Über die Ausschreib­ung der Berliner S-Bahn und die Verkehrswe­nde sprach mit ihm Nicolas Šustr.
Foto: dpa/Gregor Fischer Kristian Ronneburg ist seit Februar verkehrspo­litischer Sprecher der Linksparte­i im Abgeordnet­enhaus. Der 33-Jährige zog 2016 als direkt gewählter Abgeordnet­er aus Marzahn-Hellersdor­f dort ein, zuvor war er Mitglied der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung. Über die Ausschreib­ung der Berliner S-Bahn und die Verkehrswe­nde sprach mit ihm Nicolas Šustr.

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