Warten auf den großen Plan
Coronakrise verlangt einheitliches Handeln – die EU-Kommission soll es nun richten
Berlin. An diesem Mittwoch will die EU-Kommission ihren lang erwarteten Plan vorstellen, wie die durch die Coronakrise angeschlagene EU wieder auf die Beine kommen kann. Der als »Wiederaufbauinstrument« angekündigte Vorschlag folgt nach dem von Deutschland und Frankreich unterbreiteten Vorstoß, der einen 500-Milliarden-Hilfsfonds in Form von Zuwendungen an bedürftige Staaten vorsieht. Dagegen sprachen sich Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande für rückzahlbare EU-Mittel aus, also Kredite statt nicht rückzahlbare Hilfen. Welchen Weg die EUKommission wählt, wird nun mit Spannung erwartet – doch die Rede ist bereits von einem Mittelweg, auf den der Plan hinauslaufen könnte.
Abseits dieser Debatten über das große Geld, das vor allem Impulse für die Konjunktur geben soll, werden die Nöte vieler Millionen Menschen EU-weit ignoriert. Was reale Hilfen angeht, sind sie allein Sache der einzelnen, mehr oder weniger potenten Länder und vom guten Willen der dortigen Regierungen abhängig. In Spanien bilden sich derzeit Hungerschlangen, in denen Bedürftige stundenlang auf eine Tüte mit Lebensmitteln warten. Die Interessen dieser Menschen, die es nicht nur in Spanien gibt, zur Geltung zu bringen, ist Aufgabe der Linken. Doch diese hat derzeit mit einer weitgehenden »Unsichtbarkeit« zu kämpfen, wie Heinz Bierbaum im nd-Gespräch einräumt. »Das gilt national, das gilt europäisch – es ist leider nicht die Stunde der linken und progressiven Kräfte«, konstatiert der Präsident der Europäischen Linken, der das Amt vor einem halben Jahr von Gregor Gysi übernahm. In den Mitgliedsparteien der Europäischen Linken habe sich aber die Überzeugung durchgesetzt, dass man nicht nur in den eigenen Ländern, sondern europäisch wirksamer werden müsse.
Spanien hofft nicht nur auf einen wirtschaftlichen Neuanfang nach der Krise, sondern auch auf eine soziale und ökologische Wende. Von links wird die Forderung nach einer Reichensteuer erhoben. Konservative und Unternehmerverbände warnen davor, das Kapital scheu zu machen. Und die EU ist weiter uneins darüber, ob Hilfen für Mitgliedsländer als Zuschüsse oder Kredite bereitgestellt werden.
Die Corona-Epidemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung haben Spaniens Wirtschaft und Gesellschaft hart getroffen. Linkskräfte wollen Kapital zur Kasse bitten.
Unendlich scheinende »Schlangen des Hungers« sind derzeit vor den Geschäften in vielen spanischen Städten zu sehen. Manchmal stundenlang müssen die Menschen anstehen, um eine Tüte mit Lebensmitteln zu bekommen. Die wochenlangen Ausgangssperren zur Verhinderung einer ungebremsten Ausbreitung des Coronavirus haben viele Menschen an die Grenze ihrer Kräfte gebracht – und um ihre Ersparnisse. Vor allem, wenn sie ihre Arbeit verloren haben: In nur zwei Monaten wurden Hunderttausende ihren Job los. Und Millionen bekommen derzeit lediglich Kurzarbeitergeld. Wenigstens sorgte die Regierung dafür, dass während des Notstands Strom- und Wasserabschaltungen wegen unbezahlter Rechnungen ebenso verboten sind wie Zwangsräumungen von Mietern.
Die Not lindern könnte das geplante neue Mindesteinkommen, eine Art Armenrente, das die Koalitionsregierung aus sozialdemokratischer PSOE und dem Linksbündnis Unidas Podemos (UP) am Freitag präsentieren will. Vorstellen soll das Projekt der Vizepremier und Podemos-Generalsekretär Pablo Iglesias. Ab Juli soll demnach Geld an mittellose Menschen ausgezahlt werden. Die Hilfe würde 850 000 Familien zugute kommen, insgesamt 2,3 Millionen Menschen hätten darauf Anspruch. »Ich musste richtig Druck machen, doch kann stolz darauf sein«, sagte Iglesias kürzlich dem privaten TV-Sender La Sexta. Schließlich seien viele Leute auf diese Unterstützung angewiesen.
Ein Ausbau der Arbeitslosenhilfe gehörte zu den Versprechen von Podemos und PSOE in ihren jeweiligen Wahlprogrammen. Die konservative Volkspartei PP wiederum schlug eine Mindestrente vor. Unter den entwickelten Industrieländern in Europa zählte Spanien hier bisher zu den wenigen Ausnahmen ohne entsprechende soziale Leistungen.
Vorgezogene Reform
Vor der Coronakrise war die Einführung des Mindesteinkommens für Januar 2021 geplant, um Familien aus der Situation extremer Armut zu holen. Die ursprüngliche Forderung von Podemos war ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1 000 Euro pro Person. Mit der linkssozialistischen Vereinigten Linken (IU) stimmte man sich intern in der Richtung ab, dabei Renten anzurechnen. Die PSOE, die mit Pedro Sánchez den Ministerpräsidenten stellt, ließ sich letztlich nur auf eine Höhe von exakt 461,53 Euro ein. Der UN-Sonderberichterstatter für Armut Philip Alstom begrüßt die »gute Richtung«, bemängelt aber eine »niedrige Abdeckung« sozialer Risiken durch die Hilfe. Erst im Februar hatte Alstom Spanien besucht und Alarm geschlagen. Er kritisierte die Lage der Landarbeiter und das Ausmaß an Kinderarmut. Sollte sich an der Situation nichts ändern, prognostizierte Alstom ähnliche Proteste, wie sie Chile zuletzt erlebte.
Die Mitte-links-Koalition hatte den Spaniern ein besseres Leben versprochen. Anfang des Jahres brachte sieden Unternehmerverband dazu, eine
Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns zu akzeptieren. Wichtigen Anteil daran hatte Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Die Kommunistin und galizische IU-Chefin ragt aus dem Kabinett von Pedro Sánchez heraus. Als politischen Erfolg verbucht sie auch die Einführung des Kurzarbeitergelds zum Erhalt von Arbeitsplätzen.
Erschwerte Bedingungen
Im Koalitionsvertrag vereinbart ist, dass die 2012 von der PP durchgesetzte Reform des Arbeitsrechts wieder rückgängig gemacht wird. Dadurch wurde Prekarisierung von Arbeit vorangetrieben, bis hinein in den öffentlichen Dienst erleichterte es Kündigungen. Das Unternehmerlager
ist strikt gegen eine Rücknahme von Regeln. Sein Verband brach jetzt alle Verhandlungen mit der Regierung ab und warnt davor, dass noch mehr Firmen pleite gehen würden. Der Zeitpunkt sei für einen solchen Schritt völlig ungeeignet.
Die spanische Zentralbank sagt voraus, dass das Bruttoinlandsprodukt des Landes in diesem Jahr um zwölf Prozent schrumpfen wird. Viele Faktoren tragen zum Minus bei: Ein Viertel der ökonomischen Aktivitäten entfällt auf Handel und Tourismus. Die Hälfte der spanischen Firmen hat weniger als fünfzig Mitarbeiter und gehört damit zu den kleineren und mittleren Unternehmen, denen heute finanziell das
Wasser oft bis zum Hals steht. Hilfsankündigungen der Europäischen Union bemängelt die Zentralbank als »ungenügend«. Von der Regierung fordert sie wirtschaftsfreundliche Reformen.
Streit um Steuerpolitik
Diese Reformen könnten anders ausfallen als sie Bankern gefallen. Podemos möchte in der Regierung die Einführung einer Reichensteuer auf große Vermögen durchsetzen. 11 Milliarden sollen dadurch in die öffentlichen Kassen fließen. Von rechts erntet Podemos für solche Pläne erwartungsgemäß scharfe Kritik: Wohlhabende zur Kasse bitten zu wollen erzeuge nur Kapitalflucht, heißt es. Pablo Echenique, Sprecher der Podemos-Fraktion im Parlament in Madrid, hält an der Idee fest. »Die Erholung meines Landes von der Coronakrise müssen diejenigen finanzieren, die das auch bezahlen können«, schrieb er in einem Gastbeitrag für den britischen »Guardian« vom vergangenen Montag. Bedauerlicherweise habe Spanien die Pandemie getroffen, bevor es sich nach der 2008er Finanzkrise »von dem gescheiterten und grausamen Austeritätsprogramm erholt hatte, dass die europäische Troika uns aufgezwungen hatte«. Ob sich Pedro Sánchez zu einer Reichensteuer bewegen lässt, bleibt abzuwarten. Für den Politikwissenschaftler Jaime Pastor hängt das von der Reaktion der Gesellschaft ab: »Gibt es keinen sozialen Druck, wird sich Sánchez der europäischen Technokratie beugen.«
Die PSOE setzt auf einen immer unwahrscheinlicher werdenden nationalen Pakt der Parteien zur Wiederbelebung von Wirtschaft und Tourismus. Probleme bereitet die Finanzierung geplanter Maßnahmen. Bereits vor der Krise entsprach Spaniens Staatsverschuldung knapp der Höhe seines jährlichen Bruttoinlandsprodukts.
Die Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für einen 500 Milliarden schweren EUHilfsfonds zur Unterstützung besonders von der Krise betroffener Länder der Eurozone begrüßte Sánchez. Allerdings stehen die konkreten Bedingungen längst nicht fest. Letztlich, das weiß man auch in Madrid, wäre auch dieses Geld kein Geschenk, sondern eine Investition in den gemeinsamen Markt und die Abnehmer von Exporten. Spaniens progressive Regierung hingegen möchte es nutzen, um dem sozialökologischen Umbau – einem »Green New Deal« – eine echte Chance zu geben.