»Bild« macht den Virologen Drosten zur Zielscheibe
Robert D. Meyer hält den Umgang der »Bild« mit Wissenschaftlern in der Coronakrise für grob fahrlässig
»Wo Bild als Zeitung durchgeht, gelten Frisöre als Hirnforscher. Und führen sich auch so auf«, erklärte der Autor und Sänger Wiglaf Droste 2010 in einen Interview in der »Süddeutschen Zeitung«. Wie das Boulevardblatt mit echten Wissenschaftlern umgeht, musste gerade Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin, erfahren. Im Gegensatz zu vielen anderen »Opfern« der »Bild«-Methoden machte der Wissenschaftler nicht den Fehler, die Angelegenheit auf sich bewenden zu lassen, sondern veröffentlichte den Vorgang.
Am Montagnachmittag teilte Drosten auf Twitter den Screenshot einer Anfrage des »Bild«-Reporters Filipp Piatov, der den Virologen mit vier Zitaten anderer Wissenschaftler zu einer kürzlich unter der Leitung des Charité-Virologen veröffentlichen Studie konfrontierte. Wie aus der Mail hervorgeht, erhielt Drosten die Anfrage um 15 Uhr, Piatov forderte eine »kurzfristige Stellungnahme« bis 16 Uhr ein. Was diesen Zeitdruck journalistisch begründete, ist unklar. Die Studie ist bereits seit dem 29. April öffentlich.
Professor Drosten ließ sich auf diese dreiste Manöver nicht ein und machte die Anfrage öffentlich. »Interessant: die Bild plant eine tendenziöse Berichterstattung über unsere Vorpublikation zu Viruslasten und bemüht dabei Zitatfetzen von Wissenschaftlern ohne Zusammenhang. Ich soll innerhalb von einer Stunde Stellung nehmen. Ich habe Besseres zu tun«, kommentierte er den Screenshot der Mailanfrage.
»Bild« ließ es sich dennoch nicht nehmen, am Montagnachmittag um 16.34 Uhr einen Artikel unter der Überschrift »FRAGWÜRDIGE METHODEN. Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch« zu
publizieren. Natürlich erwähnt Piatov in seinem Beitrag, dass Drosten eine Stellungnahme ablehnte, spart dabei aber sowohl die extrem knappe Fristsetzung als auch den Vorwurf verkürzt wiedergegebener Zitate aus.
Wenig überraschend folgt der Beitrag dem typischen »Bild«-Muster: Piatov suggeriert nicht nur, andere Forscher hätten »zentrale Schwachpunkte« in der Charité-Studie gefunden, der Text ist gespickt mit
Alarmismus und der angeblichen Enthüllung, nach »Bild-Informationen« würde es sogar innerhalb von Drostens Forscherteam Kritik geben. Bedeutungsschwer heißt es: »StarVirologe Christian Drosten (48) lag mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben.«
Ist einem »Bild«-Reporter ein wissenschaftsjournalistischer Scoop gelungen? Selbstverständlich nicht. Der Artikel krankt schon daran, dass er eine wichtige Information unterschlägt: Bei der Studie handelt es sich um eine sogenannte Vorpublikation, eine wissenschaftliche Begutachtung fand vor der Veröffentlichung nicht statt. Drosten hatte in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen. Gleichzeitig forderte er
die internationale Forschergemeinde auf, ihm kritische Anmerkungen zu seiner Studie zu schicken, um diese einarbeiten zu können. Ein in der Forschung absolut übliches Vorgehen, auch und gerade jetzt in der Coronakrise, weil die Wissenschaft weltweit händeringend nach Antworten auf das Virus sucht.
»Bild«-Reporter Piatov sprach dann auch mit den angeblichen Drosten-Kritikern nicht selbst, sondern zitierte lediglich einige für seine These passende Passagen aus wissenschaftlichen Arbeiten. Die vorgeschobenen Kronzeugen gegen die »Drosten-Studie« fanden ihre Instrumentalisierung dann auch überhaupt nicht in Ordnung.
»Ich will nicht Teil einer AntiDrosten-Kampagne sein. Ich stand und stehe in keinerlei Kontakt zur Bild. Natürlich habe ich höchsten Respekt vor Christian Drosten«, twitterte der Statistiker Jörg Stoye, Wirtschaftswissenschaftler an der Cornell University. In einem weiteren Tweet erklärt Stoye, er habe zwar »kritische Anmerkungen zur statistischen Auswertung in der Studie«, sieht dies aber wie Drosten im Sinne einer wissenschaftlichen Meinungsbildung.
Auch der von »Bild« zitierte Statistiker Dominik Liebl meldete sich zu Wort: »Ich wusste nichts von der Anfrage der BILD und distanziere mich von dieser Art Menschen unter Druck zu setzen auf das schärfste«, so Liebl. Ähnlich äußerte sich Christoph Rothe, Professor für Statistik an der Universität Mannheim.
Keine Ahnung vom wissenschaftlichen Diskurs, kein Kontakt mit den angeblichen Drosten-Kritikern – diese »Bild«-Geschichte ist wie aus dem Lehrbuch für miesen Boulevard, der den Zusatz »Journalismus« nicht verdient hat.