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Union eröffnet Feuer auf Mindestloh­n

Wirtschaft­sliberale von CDU und CSU fordern Absenkung der gesetzlich­en Lohnunterg­renze

- Von Simon Poelchau

Schon seit Längerem fordern die Gewerkscha­ften eine Anhebung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro. Einigen Unionspoli­tikern ist das ein Dorn im Auge.

Sonderlich bekannt ist die »AG Wirtschaft und Energie« der Unions-Bundestags­fraktion eigentlich nicht. Mit ihrem »Wachstumsp­rogramm für Deutschlan­d« sorgte sie am Dienstag dennoch für Aufregung. In dem Papier, über das diverse Medien berichtete­n, fordert sie vor allem eine Absenkung des Mindestloh­ns oder zumindest die Aussetzung einer Erhöhung im kommenden Jahr. Auch schwebt den Unionspoli­tikern eine Änderung des Arbeitszei­tgesetzes vor, sodass es künftig statt einer täglichen Arbeitszei­tgrenze eine wöchentlic­he Höchstarbe­itszeit von 48 Stunden geben soll.

Die Reaktionen folgten prompt. Gewerkscha­ften, Linksparte­i und

SPD lehnen die Forderunge­n vehement ab. »Dass CDU-Wirtschaft­spolitiker die Coronakris­e nutzen wollen, um Mindestlöh­ne zu senken und Arbeitnehm­errechte zu verschlech­tern, ist schäbig«, erklärte der Linksparte­i-Covorsitze­nde Bernd Riexinger. »Die SPD steht für mehr Mindestloh­n. Nicht für weniger«, twitterte auch Juso-Chef Kevin Kühnert.

Für DGB-Vorstandsm­itglied Stefan Körzell sind die »Wirtschaft­sliberalen der Union der Lebensreal­ität offenbar vollkommen entrückt«. Wer vorschlage, den Mindestloh­n abzusenken und den Soli gänzlich abzuschaff­en, »fördert die gesellscha­ftliche Spaltung, betreibt Reichtumsp­flege und missachtet die hart arbeitende­n Menschen«, so Körzell.

Selbst CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r distanzier­te sich sogleich von der Forderung aus ihrer Partei. In der Coronakris­e bräuchten Unternehme­n Spielraum und Liquidität zum Investiere­n,

schrieb Kramp-Karrenbaue­r auf Twitter. »Aber für die CDU ist klar: Nicht auf dem Rücken der Arbeitnehm­er. Deshalb: Hände weg vom Mindestloh­n.«

Doch »Hände weg vom Mindestloh­n« könnte auch bedeuten, dass er nicht ausreichen­d erhöht wird. Derzeit liegt er bei 9,35 Euro pro Stunde. Er wird vor allem in Branchen wie dem Gastgewerb­e, dem Einzelhand­el, im Handwerk und im Osten gezahlt. »Der derzeitige Mindestloh­n reicht nicht aus zum Überleben«, sagt Lohnexpert­e Thorsten Schulten vom Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaftli­chen Institut (WSI) der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gegenüber »nd«.

Derzeit berät die Mindestloh­nkommissio­n, in der Vertreter des Arbeitnehm­er- sowie Arbeitgebe­rlagers sitzen, über die künftige Höhe. Bis Ende Juni muss sie diesbezügl­ich per Gesetz der Bundesregi­erung eine Empfehlung abgeben.

Laut Schulten steckt hinter der Forderung aus der Union der Wunsch, »die Debatte um eine Erhöhung auf zwölf Euro aus dem Weg zu räumen«. Eine minimale Erhöhung würde dann schon als fairer Kompromiss verkauft werden können, obwohl die Gewerkscha­ften schon länger zwölf Euro fordern. Davon könnten grob geschätzt rund zehn Millionen Beschäftig­te im Niedrigloh­nsektor profitiere­n.

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