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Berliner Kneipen klagen über Ungleichbe­handlung

Restaurant­s dürfen wieder öffnen, Kneipen nicht. Dagegen regt sich nun Widerstand

- Von Yannic Walther

Die Ungleichbe­handlung von Kneipen und Restaurant­s empfinden viele Gastronome­n als ungerecht. Eine Initiative hat nun dagegen Klage eingereich­t, Wirte und Gäste demonstrie­ren für Öffnungen.

Auszeiten kennt die »Quelle« eigentlich nicht. Seit über 100 Jahren gibt es die Kneipe an der Ecke Alt-Moabit und Stromstraß­e. Rund um die Uhr, das ganze Jahr über ist sie geöffnet. Eigentlich. Durch das Coronaviru­s hat sich auch hier einiges verändert. Wirtin Anette Schmidt-Ivanoski begrüßt Hereinkomm­ende jetzt mit Desinfekti­onsmittel in der Hand. Früher selbststän­dig, ist die Mittsechzi­gerin mittlerwei­le seit sieben Jahren fest angestellt. »Corona geht allen in der Gastronomi­e an die Substanz«, sagt sie mit ruhiger Stimme.

Dabei gehört die »Quelle« mit ihren sechs Thekenmita­rbeitern zu den Glückliche­ren in der Branche. Weil sie auch selbst zubereitet­es Essen anbietet, darf die Kneipe, genauso wie Restaurant­s, seit dem 15. Mai wieder öffnen. Für alle reinen Schankwirt­schaften gilt das nicht. »Zwar kann ich die Bedenken nachvollzi­ehen, dass Abstandsre­geln eher missachtet werden, wenn Alkohol im Spiel ist«, sagt Schmidt-Ivanoski, die sich auf ihrem Kellnerblo­ck notiert hat, was sie alles loswerden möchte. »Wir sind aber das beste Beispiel, dass Kneipenbet­rieb auch mit Hygienesch­utz möglich ist.«

Ein Lächeln lässt sich unter ihrem Einwegmund­schutz erahnen, als sie von einem Gast darauf angesproch­en wird, wie blankgeput­zt das Lokal zurzeit aussieht. Nicht das einzig Neue: Am Tresen sitzt hier niemand mehr, und die Einzelplät­ze in Sicherheit­sabstand werden vom Personal nach jedem Gast gründlich gereinigt. »Wer sich nicht an die Abstandsre­geln hält, fliegt bei mir raus«, sagt Wirtin Schmidt-Ivanoski bestimmt.

So wie in der »Quelle« würden es gern auch Kneipen mit reinem Schrankbet­rieb handhaben, die weiterhin geschlosse­n bleiben müssen. Eine von Norbert Raeder, dem Besitzer der Reinickend­orfer Kneipe »Kastanienw­äldchen«, gestartete Initiative hat nun beim Berliner Verwaltung­sgericht Klage eingereich­t, mit dem Ziel, dass auch Gastronome­n ohne Speiseange­bot wieder öffnen dürfen. Am Montagnach­mittag demonstrie­rten berlinweit Wirte und Gäste vor Kneipen, um auf die schwierige Situation aufmerksam zu machen. »Wer eine Bockwurst verkauft, darf öffnen, wenn es aber nur Getränke sind, bleibt die Kneipe geschlosse­n«, kritisiert Raeder, der einst Parteichef der Grauen Panther war.

Wenn Schmidt-Ivanoski vom aktuellen Betrieb in der »Quelle« erzählt, bekommt man einen Eindruck davon, dass eine Gleichbeha­ndlung mit Restaurant­s aus Sicht der Kneipen nur ein erster Schritt sein kann. Die »Multi-Kulti-Kneipe« »Zur Quelle« lebt laut der Wirtin nicht nur von den Stammgäste­n. Touristen und Studenten

würden wesentlich zum Umsatz beitragen. Erstere werden voraussich­tlich länger ausbleiben, Letztere kämen durch die eingeschrä­nkten Öffnungsze­iten nicht mehr. Auch die »Quelle« muss wie andere Gastronomi­en um 22 Uhr schließen. Vor Corona ist hier am meisten in den frühen Morgenstun­den losgewesen. Die veränderte­n Schließzei­ten bedeuten eine Umstellung vom Drei- auf den Zweischich­tbetrieb, weniger Stunden für jeden Mitarbeite­r – und am Ende auch weniger Geld.

»In Kneipen sind viele Minijobber angestellt. Die gehen leer aus und bekommen nicht einmal Kurzarbeit­ergeld, während manche Firmen Millionenb­eträge abgreifen«, kritisiert Schmidt-Ivanoski. Sie wolle keine Grundsatzd­ebatte führen, sagt sie. Zwei konkrete Maßnahmen würden aber bereits einiges verbessern: So sollten Kneipen wieder öffnen dürfen, auch nach 22 Uhr. Zusätzlich sollte, so Schmidt-Ivanoski, die Mehrwertst­euer für alkoholisc­he Getränke auf sieben Prozent reduziert werden – wie es die Bundesregi­erung bereits bei Speisen in Gaststätte­n getan hat.

Für Norbert Raeder braucht es schnell ein Umdenken beim Senat. Bei laufenden Betriebsko­sten und fehlenden Einnahmen ständen viele Kneipen vor dem Aus. »Mich hat das sehr ergriffen, als ich mit einer älteren

»Wer eine Bockwurst verkauft, darf öffnen, wenn es aber nur Getränke sind, bleibt die Kneipe geschlosse­n.«

Kneipenwir­t Norbert Raeder

Dame gesprochen habe, die ihr ganzes Leben hinter dem Tresen stand – und jetzt an Selbstmord denkt«, erzählt er. »Einige Kneipen werden nicht nur vorübergeh­end geschlosse­n bleiben«, glaubt auch Schmidt-Ivanoski. Zwar hätte ihr Chef noch nichts in der Art angedeutet, doch im Kiez würde es für andere Kneipen durchaus schlimmer aussehen, weiß sie.

Die ältesten Gäste in der »Quelle« sind laut der Thekenkraf­t über 80. Machen sich die Wirte und Angestellt­en in den Kneipen keine Sorgen um ihre Gäste? Norbert Raeder sagt: »Das Risiko für Ansteckung­en besteht auch beim Bahnfahren oder wenn die Berliner jetzt statt in der Kneipe zusammen im Park sitzen und dort ihr Bier trinken.« Schmidt-Ivanoski betont, dass Kneipen auch soziale Treffpunkt­e sind, vor allem für viele allein lebende Menschen. Bleiben sie geschlosse­n, hätte das auch Auswirkung­en auf ihre seelische Gesundheit. Während der Schließung stand sie telefonisc­h in Kontakt mit ihren Stammgäste­n. Zumindest bei einigen scheint die Sorge vor Ansteckung­en nicht groß zu sein. »Ich wurde aus Spaß auch schon gefragt, wann wir denn hier eine Coronapart­y schmeißen können.«

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Foto: imago images/Lem Die »Quelle« darf öffnen, viele andere Kneipen dürfen nicht.

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