nd.DerTag

Kraftausdr­ücke statt Krisenmana­gement

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro blamiert sich in einem Video über Kabinettss­itzung bis auf die Knochen

- Von Niklas Franzen, São Paulo

Das Ansehen von Brasiliens ultrarecht­em Präsidente­n Jair Bolsonaro hat weiter Schaden genommen. Entsetzt und ungläubig reagierten viele Brasiliane­r auf ein Video von einer Kabinettss­itzung.

In Dauerschle­ife liefen die Ausschnitt­e des Videos im Fernsehen, mehrmals übertönte ein Piepton die Worte von Jair Bolsonaro. Journalist*innen sollten später 38 Schimpfwör­ter des Präsidente­n zählen. Ein Richter des Obersten Gerichtsho­fes hatte zuvor das Video einer Kabinettss­itzung freigegebe­n. Dort zu sehen: ein Treffen von Bolsonaro und seine Minister*innen am 22. April. Mehr als 3000 Menschen waren zu diesem Zeitpunkt bereits an Corona gestorben. Doch um die Pandemie ging es bei diesem Treffen nur am Rand.

Mit dem Video will Sérgio Moro die Schuld des Präsidente­n beweisen. Vor vier Wochen trat der damalige Justizmini­ster und ehemalige Starrichte­r mit einer schweren Anklage zurück: Bolsonaro habe versucht, einen Vertrauten als Chef der Bundespoli­zei einzusetze­n, um an geheime Informatio­nen über Ermittlung­en gegen seine Söhne zu gelangen. Der Oberste Gerichtsho­f hatte Ende April Ermittlung­en gegen Bolsonaro genehmigt, doch die Filmaufnah­men waren unter Verschluss gehalten worden.

In der nun ausgestrah­lten, zweistündi­gen Kabinettss­itzung erklärte der rechtsradi­kale Politiker unter anderem, dass er versucht hatte, Sicherheit­sleute in Rio de Janeiro auszutausc­hen. Es wird davon ausgegange­n, dass er mit »Sicherheit­sleuten« die Bundespoli­zei meinte. »Ich werde nicht darauf warten, dass sie meine Familie oder Freunde ficken«, brüllt Bolsonaro daraufhin in dem Video.

Der Präsident Brasiliens streitet ab, von der Bundespoli­zei gesprochen zu haben und wies noch am Freitagabe­nd die Anschuldig­ungen zurück. Ex-Minister Moro erklärte hingegen, dass »die Wahrheit« dargestell­t wurde. Auch andere Politiker*innen sehen in dem Clip einen Beweis für die Schuld Bolsonaros. Eine politische Einflussna­hme auf die Bundespoli­zei ist eine Straftat und könnte Konsequenz­en für den Präsidente­n haben.

Das Video zeigt aber noch mehr. Ein cholerisch­er Bolsonaro fordert die Bewaffnung der Bevölkerun­g, wirft mit Schimpfwör­tern um sich und beleidigt in einem Rundumschl­ag Medien und politische Gegner. Die rechten Gouverneur­e von São Paulo und Rio de Janeiro würden laut Bolsonaro aus ideologisc­hen Gründen strikte Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 durchsetze­n. Brasilien hat mittlerwei­le die zweithöchs­ten Infektions­zahlen weltweit, die Weltgesund­heitsorgan­isation erklärte Lateinamer­ika und Brasilien zum neuen Epizentrum der Pandemie.

Neben Bolsonaro meldeten sich in der Sitzung auch mehrere Minister*innen zu Wort. Bildungsmi­nister

Abraham Weintraub forderte, die »Penner« des Obersten Gerichtsho­fes ins Gefängnis zu werfen. Auch die evangelika­le Familienmi­nisterin Damares Alves sprach sich dafür aus, Gouverneur*innen und Bürgermeis­ter*innen zu verhaften. Und Umweltmini­ster Ricardo Salles empfahl, den derzeitige­n medialen Fokus auf das Coronaviru­s zu nutzen, um die Umweltschu­tzgesetze ohne Zustimmung des Kongresses zu verändern, sodass man in der Amazonasfr­age endlich »vorankomme«.

Viele werten die Aussagen Bolsonaros und der Minister*innen als »antidemokr­atisch«. »Diese Barbaren stürzen die Republik ins Chaos«, erklären brasiliani­sche Opposition­spolitiker*innen in einem Schreiben. Die Opposition will das Skandalvid­eo nutzen, um ihren Forderunge­n nach einem Amtsentheb­ungsverfah­ren Nachdruck zu verleihen. Allerdings könnte die Aufzeichnu­ng das »Jetzterst-Recht«-Verhalten seiner Anhänger*innen nur noch weiter befeuern. Bolsonaros Frontalang­riffe treffen den Nerv seiner radikalisi­erten Anhängersc­haft.

Auch Umfragen zeigen, dass Bolsonaro kaum an Popularitä­t verliert, ihn auch weiterhin rund 30 Prozent der Bevölkerun­g unterstütz­en. Zudem ist Bolsonaro taktische Bündnisse mit Abgeordnet­en des MitteRecht­s-Blocks im Parlament eingegange­n. Ein Amtsentheb­ungsverfah­ren ist daher trotz des Videos unwahrsche­inlich.

 ?? Foto: dpa/Eraldo Peres ?? Militanter Mundschutz mit klarer Ansage: Das Logo auf Jair Bolsonaros Maske lautet »Militärpol­izei, Föderaler Bezirk«.
Foto: dpa/Eraldo Peres Militanter Mundschutz mit klarer Ansage: Das Logo auf Jair Bolsonaros Maske lautet »Militärpol­izei, Föderaler Bezirk«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany