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Tory-Minister tritt zurück – aber der falsche

25 Mitglieder der konservati­ven Fraktion verlangen den Rücktritt des Richtigen: Regierungs­berater Dominic Cummings

- Von Ian King, London

In der Affäre um den britischen Regierungs­berater Dominic Cummings gibt es einen ersten Rücktritt: Der für Schottland zuständige Staatssekr­etär Douglas Ross nahm am Dienstag seinen Hut.

Douglas Ross, die 37-jährige ToryNachwu­chshoffnun­g muss Kritik gewohnt sein, im Nebenberuf ist er Fußballsch­iedsrichte­r. Aber die beharrlich­e Weigerung des Regierungs­beraters von Premiermin­ister Boris Johnson, Dominic Cummings, wegen unerlaubte­r Reisefreud­igkeit während der Coronakris­e selber den Hut zu nehmen, gab Ross den Rest. »Ich kann meinen Wählern, die die Regeln des Lockdown befolgten, nicht sagen, ihr habt alle falsch gehandelt, nur ein einziger Regierungs­berater richtig«, brachte es Ross auf den Punkt. Am Dienstag trat er aus Protest gegen Cummings Verhalten in der Coronakris­e zurück. Weitere 25 Mitglieder der Londoner Konservati­venfraktio­n verlangen Cummings’ Abgang.

Cummings, Stratege und Sloganlief­erant der Brexit-Kampagne und des Johnson-Wahlsiegs im vergangene­n Dezember, hatte am Montag noch gehofft, durch eine Pressekonf­erenz im Rose Garden am Regierungs­sitz der Downing Street seine Kritiker zu entwaffnen. Der Federführe­nde des strengen LockdownPl­ans, der Britannien vor CoronaAnst­eckungen schützen sollte, fühlte sich Mitte März krank, seine Frau ebenfalls, wollte den vierjährig­en

Sohn aber nicht bei Freunden in London in Obhut geben und sich isolieren, wie in den Regeln vorgeschri­eben. Stattdesse­n fuhr er 400 Kilometer mit Kind und Kegel zur Residenz seiner Eltern im nordosteng­lischen Durham. Diese sind über 70 Jahre alt, gehören also einer besonders gefährdete­n Gruppe an. Damit nicht genug: Zu Ostern machte Cummings eine Spritztour ins 50 Kilometer entfernte Touristens­tädtchen Barnard Castle. »Weil ich nach dem Virus Augenprobl­eme hatte und entdecken wollte, ob ich sicher nach London fahren konnte.« Wenn man schlecht sehen kann, darf man gar nicht fahren, Punkt. Aber die Glockenblu­men waren so schön, wie der Erkannte einem Passanten gegenüber beteuert haben soll.

Ein Sturm der Entrüstung brach los. Die kostenlos verteilte Londoner Zeitung »Metro«, in der politische Themen eher durch Abwesenhei­t glänzen, glossierte Johnsons und Cummings’ Slogan »Stay alert« als »Stay elite«. Das war das Fazit von Cummings’ Verteidigu­ng bei der Pressekonf­erenz: Ihr dummen Proleten habt zu gehorchen, für mich gelten andere Regeln. Auch wenn er versuchte, sich als treu sorgender Vater auszugeben und der Presse nach Trump-Manier Lügen vorzuwerfe­n. Pikant: Nicht nur links stehende und liberale Zeitungen wie »Daily Mirror« und »Guardian«, auch der sonst stockkonse­rvative »Daily Mail« verlangen die sofortige Entlassung des Beraters. Denn die Demoskopen­zahlen sprechen für sich: YouGov entdeckt einen Popularitä­tsschwund von 20 Prozentpun­kten für Johnson, weil er an Cummings festhalten will, die Zahl der Entlassung­sbefürwort­er ist nach der misslungen­en Pressekonf­erenz von 52 auf 59 Prozent gestiegen.

Einerseits will der Premier den kompromitt­ierten Lügner Cummings halten, weil er selber bequem ist und schon als Londoner Oberbürger­meister wichtige Entscheidu­ngen delegierte. Johnson zitiert gern lateinisch­e Brocken, um mangelnde Intelligen­z zu verstecken und fühlt sich wohl vom klügeren Cummings abhängig. Anderersei­ts hat er laut dem Journalist­en Andrew Rawnsley vom »Observer«, nie gezögert, unbequem gewordene Helfer plötzlich aufzuopfer­n, um die eigene Haut zu retten.

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