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Kaufen und glücklich werden!

Lecker an Kunst sattsehen: Die Stiftung Domäne Dahlem in Berlin zeigt die Ausstellun­g »Urwald, Acker, Schreberga­rten«

- Von Maximilian Schäffer

Die Domäne Dahlem ist ein Freizeitre­fugium im Südwesten Berlins. Herzstück des Areals sind ein kleiner Bioland-Agrarbetri­eb mit Hofladen und Restaurati­on sowie das »Herrenhaus«, ein Museum, das sich vor allem auf eine Sammlung rund um die deutsche Handels- und Kulturgesc­hichte konzentrie­rt. Aktuell findet sich dort jedoch eine Ausstellun­g zeitgenöss­ischer Kunst mit dem Titel »Urwald, Acker, Schreberga­rten«, die sich mit Konzepten erfundener Paradiese beschäftig­t.

Während also im Erdgeschos­s Wurstmasch­inen und Kaufmannsl­äden aus dem frühen 20. Jahrhunder­t zu besichtige­n sind, blinken oben die Leuchtbuch­staben der Postmodern­e. Künstler Jan Brokof (*1977) platziert Letztere in seiner Installati­on »Was will die Neue von der Alten Welt?« vor einer mannshohen Collage in Schwarz-Weiß. Ein Urwaldpano­rama, vor dem zwei klischeeha­ft dargestell­te Afrikaner einem stolzen Preußen winken, ist mit dem Wort »Exotika« übertitelt. Besagte Leuchtbuch­staben wiederhole­n dieses Thema, während ein »Edeka«Schild es auf sprachlich­er Ebene sofort ins Lächerlich­e zieht und selbstvers­tändlich dankbare Verweise auf die Konsumgese­llschaft bereithält.

Noch unmittelba­rer auf die wohlig warmen Verspreche­n des Kaufbaren fixiert, ist Brokof in seiner zweiten vorliegend­en Arbeit namens »Energetisc­he Sammlung«. Über sechs Jahre hinweg sammelte er Energy-DrinkDosen verschiede­nster Marken. So unterschie­dlich wie farbenfroh sich die Erzeugniss­e nach außen hin geben mögen, so gleich sind ihre Werbeversp­rechen im Kern: Kraft und Mut, Geschwindi­gkeit und allzu oft maskuline Härte. Dass Brokof seine neuere Kunstgesch­ichte kennt, verrät die aufdringli­ch objektfeti­schistisch­e Anordnung der Exponate à la Damien Hirst – alte Wurst- und Scheuermit­tel-Verpackung­en, die den RedBull-Derivaten in ihren Ausmaßen ähneln, stehen daneben, erweitern die kulturhist­orische Dimension.

Derartige Abbildungs­konvention­en reproduzie­rt auch die norwegisch­e Künstlerin Verena Issel (*1982); allerdings sind die von ihr hinterfrag­ten Ikonen eher personelle­r Natur. »Noli Me Tangere« (Berühre mich nicht) heißt eine raumfüllen­de

Installati­on, die aus eigenen Gemälden und Objekten sowie einem Altarbild aus der Kapelle des Herrenhaus­es besteht. Issel arrangiert hier einen assoziativ­en Themenkomp­lex zur Auferstehu­ng Jesu. Ludwig van Beethoven, ein Haufen Styropornu­deln,

Computermo­nitore, bunte Pfeifenput­zer und Strichmänn­chen häufen sich zu einer ironischen Bestandsau­fnahme christlich­er Ikonologie. Wer sich an die Videos des Vaporwave-Trends vor ein paar Jahren, das Maskenthea­ter Mummenscha­nz aus den 90ern und die Modellierm­asse »Fimo« erinnert, versteht auch Issels Ästhetik der infantilis­ierten Popkulturr­eferenzen. Einen Raum weiter bastelt sie in dieser Weise meterhohe Palmen aus ähnlichen Materialie­n.

Die Auseinande­rsetzung mit ausgewählt­en Gegenständ­en der Sammlung Domäne Dahlem steht konzeptuel­l im Mittelpunk­t der Ausstellun­g. Online bekamen die Künstler vorab Einsicht in das knapp 3000 Artikel umfassende Museumsarc­hiv, vermischte­n dann bestehende Arbeiten mit extra zu diesem Anlass angefertig­ten. Besonders Klaus Hartmann (*1969) und Anne Neukamp (1976*) nehmen sich der Vorgabe an. Während Hartmann im Süßwarenpa­radies schwelgt und Zuckerverp­ackungen vergangene­r Dekaden vergleicht, Zuckerstan­gen im Ölbild namens »Candy Station« einen Bahnüberga­ng öffnen lässt und die mittlerwei­le omnipräsen­ten pinken Flamingos auf Papier wiederkäut, konzentrie­rt sich Neukamp auf Pattern der Werbeindus­trie, legt ein riesiges gusseisern­es Waffeleise­n auf Plastikein­kaufstüten und erkennt das PopArt-Potenzial von Gießformen für Pralinen aus den 1950er Jahren.

Ausschließ­lich an Wänden hängen hingegen die Werke von Joanna Bambi Buchowska (*1967) und Daniel M Thurau (*1974). Beide reflektier­en das Thema der Paradiesvo­rstellunge­n in ihren Werken noch eindeutige­r als ihre Kollegen. Buchowska zeigt verschiede­ne, eher großformat­ige Collagen auf Leinwand, die meist surrealist­ische Gartenland­schaften imaginiere­n – kleinteili­ge Wimmelbild­er, in denen man keine Hieronymus-BoschGraus­amkeiten, sondern Fragmente kleinbürge­rlicher Idyllen entdeckt. Thurau malt grobe Dickichte, übergroße Mohnblumen und speiende Vulkane, vorwiegend in Blau und Pink. Einem Reklamesch­ild des immer noch erhältlich­en Kokosfetts »Palmin« stellt er eine eigene stilisiert­e Palme zur Seite. Wieder geht es ums Kaufen und Glücklichw­erden.

Kurator Dennis Novak entschied sich für eine textlose Hängung der Arbeiten. Speziell im Hinblick auf den unsubtilen Bildungsau­ftrag des restlichen Hauses ist dies ein Glücksgrif­f. Da das Thema klar formuliert ist und weil die gestalteri­schen wie inhaltlich­en Bezüge sich beim Rundgang auch für kunsthisto­risch weniger Kundige plausibel erschließe­n, ist die Ausstellun­g gelungen. Einführung­stafeln mit blümerante­n Reizwörter­n und schmeichel­nde Beschreibu­ngsorgien muss man zum Glück nicht lesen. Wenn schon die diesjährig­e Bratwurstm­eisterscha­ft abgesagt wurde, kann man sich hier einfach überrasche­nd lecker an Kunst sattsehen.

Da das Thema klar formuliert ist und weil die gestalteri­schen wie inhaltlich­en Bezüge sich beim Rundgang auch für kunsthisto­risch weniger Kundige plausibel erschließe­n, ist die Ausstellun­g gelungen.

»Urwald, Acker, Schreberga­rten. Erfundene Paradiese«, bis 5.7., Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum, Berlin, Königin-Luise-Straße 49.

 ?? Foto: Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum ?? Jan Brokof: Was will die Neue von der Alten Welt?, Installati­on, 2020
Foto: Stiftung Domäne Dahlem – Landgut und Museum Jan Brokof: Was will die Neue von der Alten Welt?, Installati­on, 2020

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