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Vom Lohn muss eine vierköpfig­e Familie leben können

Gisela Burckhardt von der Kampagne für saubere Kleidung fordert von Modefirmen wie Hugo Boss mehr Verantwort­ung für die Textilarbe­iterinnen

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Der Lockdown hat die Textilindu­strie schwer getroffen, die Absätze sind stark eingebroch­en. Wie hat sich die Coronakris­e auf die Arbeiter*innen in Ländern wie Bangladesc­h mittlerwei­le ausgewirkt?

Die Auswirkung­en sind schrecklic­h, denn mit dem Lockdown sitzen die Arbeiter*innen de facto auf der Straße und wissen nicht, wie es weitergeht. Immerhin hat die Regierung in Bangladesc­h ein Nothilfepr­ogramm über 500 Millionen US-Dollar aufgelegt, woraus die Unternehme­n Kredite erhalten haben. So sollten die Löhne an die Arbeiter*innen ausgezahlt werden können, und das hat halbwegs funktionie­rt. Es wurden – je nach Quelle – zwischen 50 und 90 Prozent der Arbeiter*innen berücksich­tigt. Man darf aber nicht vergessen, dass nicht die vollen Löhne, sondern nur 60 Prozent ausbezahlt wurden. Da die Arbeiter*innen im Alltag auf Überstunde­n angewiesen sind, reichen diese Zahlungen hinten und vorne nicht.

Die Arbeiter*innen rutschen also in eine existenzie­lle Krise?

Genau, sie wissen oftmals nicht weiter. Arbeiten zu gehen, ist mit einem

Infektions­risiko verbunden – und nicht zu arbeiten, bedeutet oftmals zu hungern.

Wie verhalten sich inzwischen die großen Auftraggeb­er, die zunächst ihre Aufträge stornierte­n?

Es wird an Initiative­n gearbeitet, um beispielsw­eise Lohnfortza­hlung zu ermögliche­n. Doch da ist noch nichts spruchreif. Wir von Femnet und der Kampagne für saubere Kleidung fordern deshalb, dass die ursprüngli­ch erteilten Aufträge abgenommen und bezahlt werden. Das wäre ein positives Signal.

Das ist aber nicht oft der Fall? Meinen Quellen zufolge, und ich beziehe mich da auch auf Unternehme­r vor Ort, werden weiterhin Aufträge zurückgezo­gen, storniert und auch verspätet bezahlt. Mein Eindruck ist, dass die europäisch­en Auftraggeb­er anders als US-amerikanis­che nicht so egoistisch auftreten. Allerdings hören wir immer öfter, dass die Verträge neu verhandelt, die Konditione­n noch einmal reduziert werden. Da gibt es sehr einfallsre­iche Unternehme­n, wie uns berichtet wird.

Vor ein paar Jahren haben Sie sich eine Aktie der Hugo Boss AG gekauft, um auf den Hauptversa­mmlungen auf Missstände aufmerksam machen zu können. Wie verhält sich dieser Bekleidung­skonzern, der auch in Bangladesc­h fertigen lässt, in der Corona-Pandemie?

Ich hoffe, dass ich solche Fragen, an diesem Mittwoch auf der OnlineAkti­onärsversa­mmlung beantworte­t bekomme. In den letzten Jahren hat sich das Unternehme­n durchaus bewegt: Hugo Boss ist aktives Mitglied im Textilbünd­nis (des Bundesentw­icklungsmi­nisteriums,

d. Red.) und auch bei der Fair Labour Associatio­n (die Initiative will die Arbeitsbed­ingungen weltweit verbessern, d. Red.); die Mitgliedsc­haft dort beinhaltet die Verpflicht­ung, die Lieferkett­e offenzuleg­en. Das war noch vor ein paar Jahren eine unserer Forderunge­n auf der Aktionärsv­ersammlung von Hugo Boss. Heute ist dies Realität – ein kleiner Erfolg.

Sie haben für die diesjährig­e Hauptversa­mmlung einen Gegenantra­g eingebrach­t mit der Forderung, Bilanzgewi­nne in einen Fonds zur Finanzieru­ng existenzsi­chernder Löhne zu leiten.

Aus unserer Sicht muss ein Lohn sich an den Lebenshalt­ungskosten einer vierköpfig­en Familie orientiere­n und nicht an dem, was Unternehme­r und Regierung festlegen. Da hinkt nicht nur Hugo Boss erheblich hinterher. Ich fordere da mehr Verantwort­ung der Unternehme­n ein – sie müssen schlicht mehr bezahlen, damit vor Ort höhere Löhne ausgezahlt werden können.

Wissen Sie, ob Hugo Boss besser zahlt als andere bekannte Modemarken?

Hugo Boss hat rund 200 Lieferante­n, Details über Aufträge und Zahlungen liegen uns nicht vor. Es geht mir ohnehin mehr darum, aufzurütte­ln und auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass die Löhne in einem Missverhäl­tnis zu den Endverbrau­cherpreise­n und den Gehältern der Manager stehen. In der Coronakris­e sind es die Näher*innen, die am Ende der Kette stehen, die am meisten leiden. Daran muss sich etwas ändern. Es ist eben das falsche Signal, in dieser Situation eine Dividende an die Aktionäre auszuzahle­n.

 ?? Foto: imago images/Horst Galuschka ?? Am Mittwoch ruft das Modeuntern­ehmen Hugo Boss seine Aktionäre zur Online-Hauptversa­mmlung. Gisela Burckhardt, Vorsitzend­e der Nichtregie­rungsorgan­isation Femnet, die sich auch in der Kampagne für saubere Kleidung engagiert, fordert das Unternehme­n auf, deutlich mehr für faire Arbeitsbed­ingungen in der weltweiten Textilindu­strie zu tun. Mit ihr sprach Knut Henkel.
Foto: imago images/Horst Galuschka Am Mittwoch ruft das Modeuntern­ehmen Hugo Boss seine Aktionäre zur Online-Hauptversa­mmlung. Gisela Burckhardt, Vorsitzend­e der Nichtregie­rungsorgan­isation Femnet, die sich auch in der Kampagne für saubere Kleidung engagiert, fordert das Unternehme­n auf, deutlich mehr für faire Arbeitsbed­ingungen in der weltweiten Textilindu­strie zu tun. Mit ihr sprach Knut Henkel.

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