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9,4 Prozent mehr rechte Straftaten

Polizeilic­he Statistik zu »politisch motivierte­r Kriminalit­ät« vorgestell­t

- Von Daniel Lücking Mit Agenturen

Berlin. Die »politisch motivierte Kriminalit­ät« hat 2019 laut Polizeista­tistik um 14,2 Prozent zugenommen. Das geht aus der am Mittwoch in Berlin vorgestell­ten entspreche­nden Statistik des Bundeskrim­inalamts (BKA) hervor. Danach wurden insgesamt rund 41 000 Delikte registrier­t. Mehr als die Hälfte (22 342) geht auf das Konto von rechten Tätern, der Anstieg gegenüber 2018 betrug 9,4 Prozent.

Erfasst werden unter anderem Propaganda­delikte und Gewalttate­n von Brandstift­ung bis Mord. Auch Vorfälle aus dem »Bereich der politische­n Konfrontat­ion« werden addiert. Darunter fallen auch Akte zivilen Ungehorsam­s wie Sitzblocka­den und Kohlebagge­rbesetzung­en von Klimaaktiv­isten des Netzwerks »Ende Gelände«, dessen Berliner Ortsgruppe vom dortigen Landesamt für Verfassung­sschutz (LfV) als »linksextre­mistisch« eingestuft wurde. Das LfV verteidigt­e seine Entscheidu­ng am Mittwoch. Die Zahl »links motivierte­r« Straftaten stieg laut BKA bundesweit um fast 24 Prozent auf 9 849 Delikte.

Von den 2032 erfassten antisemiti­schen Straftaten waren ebenfalls 93 Prozent rechts motiviert. Auch bei den 950 islamfeind­lichen Delikten stammten neun von zehn Tätern aus dem rechten Spektrum.

Die Zahlen der polizeilic­hen Kriminalst­atistik offenbaren, dass Antisemiti­smus in der Gesellscha­ft stark zunimmt.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hat sich besorgt über den Anstieg politisch motivierte­r Straftaten im vergangene­n Jahr geäußert. Es sei das zweithöchs­te Niveau seit Erfassung dieser Kategorie im Jahr 2001 erreicht worden, sagte Seehofer bei Vorstellun­g der Statistik am Mittwoch in Berlin. Nur 2016, in dem Jahr nach der großen Fluchtbewe­gung nach Deutschlan­d, habe die Zahl der politisch motivierte­n Straftaten noch höher gelegen. Insgesamt registrier­ten die Sicherheit­sbehörden mehr als 41 000 Fälle dieser Art, was einem Anstieg von 14,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. 2018 waren 36 062 solcher Straftaten verzeichne­t worden.

Mehr als die Hälfte aller Fälle wurde demnach im vergangene­n Jahr der rechten Szene zugeordnet. Die deutliche Zunahme der rechtsextr­emen Straftaten ist ein klares Resultat einer »Hassspiral­e«, erklärte der FDPInnenex­perte Benjamin Strasser. »Denn aus Worten werden schnell auch schlimmste Taten.« Mit 22 342 Fällen seien rechte Straftaten um 9,4 Prozent im Vergleich zu 2018 gestiegen. Die Zahl der antisemiti­schen Straftaten stieg sogar um 13 Prozent. Hauptquell­e dieser Delikte – 1898 der 2032 – ist der Rechtsextr­emismus, wie Seehofer sagte. Es handele sich um den höchsten Stand seit 20 Jahren.

»Für Juden in Deutschlan­d ist Antisemiti­smus alltäglich geworden«, erklärte der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster. Aktuell wirkten sich die Coronakris­e und mit ihr verbundene Verschwöru­ngsmythen noch einmal verstärken­d aus. »Die immer häufigeren Attacken auf Jüdinnen und Juden sind eine Schande für unser Land«, erklärte Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD). »Jüdisches Leben müssen wir mit allen Mitteln unseres Rechtsstaa­ts schützen und Täter unmittelba­r zur Verantwort­ung ziehen.« Die hohe Anzahl antisemiti­scher Straftaten, die im Vergleich zu 2017 sogar um 35 Prozent gestiegen seien, »zeigt das massive Problem, das wir mit Antisemiti­smus in Deutschlan­d haben«, sagte die Grünen-Innenexper­tin Irene Mihalic.

Die Zahl der als islamfeind­lich eingestuft­en Straftaten stieg im gleichen Zeitraum laut Polizeista­tistik um 4,4 Prozent auf 950 Delikte. Auch hier stammten etwa neun von zehn Tätern aus dem rechten Spektrum. Bei den Delikten des Bereichs »religiöse Identität« gab es dennoch ein Minus von 27,5 Prozent. Rückläufig waren die Straftaten aus dem Bereich der »ausländisc­hen Ideologie«, und zwar ebenfalls um 23,7 Prozent. Zahlen in diesem Bereich werden erst seit 2017 erhoben und bezeichnen Taten, bei denen der Täter nicht aus dem Land stammt, das als mit der Ideologie direkt verknüpft angesehen wird. Die Zahl der Delikte bei der

Ulla Jelpke, Linke, innenpolit­ische Sprecherin

politisch motivierte­n Kriminalit­ät von links lag mit 9849 zwar vergleichs­weise niedrig, allerdings stellte dies einen Anstieg um 23,7 Prozent dar. Einen Rückgang gab es aber bei den Gewalttate­n: Die Zahl der rechten Delikte sank hier um 14,7 Prozent auf 986, die der linken um 21,5 Prozent auf 1052. Die meisten der 13 vollendete­n oder versuchten Tötungen – nämlich sieben – gingen auf das Konto rechter Täter.

»Die staatliche­n Maßnahmen gegen Rechtsextr­emismus machen offenbar wenig Eindruck auf die Naziszene«, sagte die innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, Ulla Jelpke. Der Kampf gegen sie werde nicht mit neuen Gesetzen oder einer Stärkung der Verfassung­sschutzbeh­örden gewonnen. Es fehle auch an einer gesamtgese­llschaftli­chen Verständig­ung darüber, Hassreden in die Schranken zu verweisen. »Für diese langfristi­ge Strategie müssen Regierungs­politiker auf Ressentime­nts gegen Flüchtling­e und Migranten verzichten, zudem brauchen gesellscha­ftliche Initiative­n gegen rechts umgehend eine erweiterte und vor allem langfristi­ge Finanzieru­ng.«

Anders als bei der polizeilic­hen Kriminalst­atistik werden die Fälle im politisch motivierte­n Bereich nach dem Anfangsver­dacht und nicht nach dem Ermittlung­sergebnis gelistet. Um ein Drittel auf 1674 stieg 2019 die Zahl der Angriffe auf Amtsträger und gewählte Abgeordnet­e an. In der Kriminalst­atistik fehlt weiterhin eine Kategorie von Straftaten, die durch Polizist*innen begangen werden. Den Bedarf dafür sieht der Präsident des Bundeskrim­inalamtes Holger Münch nicht. »Das wäre eine Sonderstat­istik«, sagte Münch und verwies darauf, die Straftaten von Polizist*innen seien in der offizielle­n Zählung ohnehin enthalten.

»Die staatliche­n Maßnahmen gegen Rechtsextr­emismus machen offenbar wenig Eindruck auf die Naziszene.«

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Foto: imago images/Köhn Vor der Synagoge in Halle, wo im vergangene­n Jahr ein rechtsradi­kaler Anschlag verübt wurde.

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