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Der Linksregie­rung zittern die Hände

Fernando Bardera über Spaniens zaghafte Sozialpoli­tik und die notwendige Fortsetzun­g des Mietenstre­iks

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Die Mietergewe­rkschaften haben in Spanien in der Coronakris­e zum Mietenstre­ik aufgerufen. Was ist der Hintergrun­d?

Als Mitte März der Alarmzusta­nd dekretiert wurde, war für uns eines klar: Wenn die Leute nicht mehr arbeiten können, bekommen sie kein Geld oder weniger Geld, aber ihre Ausgaben laufen weiter. Breite Schichten, die gerade so über die Runde kamen, nichts sparen konnten, kommen schnell in Bedrängnis. Und das zentrale Problem ist die Wohnung.

Haben Mietergewe­rkschaften in Spanien Tradition?

Sie sind ab 2017 angesichts der dramatisch­en Situation vieler Mieter entstanden. Massiv steigende Mieten führten dazu, dass Menschen aus ihren angestammt­en Gebieten verdrängt werden. In Spanien laufen Mietverträ­ge nach drei Jahren aus und die Fonds verlängern sie oft nicht oder verlangen enorme Mieterhöhu­ngen von bis zu 300 Prozent. Wir haben begonnen, Mieter zu organisier­en, um gemeinsam zu verhandeln oder Widerstand zu leisten.

Gibt es in Spanien keine Mieterrech­te, die schützen?

Gesetze, die Mieter wie in fast allen Ländern schützen, gibt es hier nicht. Mieten können zum Beispiel unbeschrän­kt erhöht werden. In Madrid beträgt die Durchschni­ttsmiete etwa 600 Euro bei einem Mindestloh­n von 950 und einem Durchschni­ttslohn von 1250 Euro. Oft müssen 70 bis 80 Prozent des Lohns für die Miete aufgebrach­t werden. Und die Spekulatio­n mit Wohnungen wurde über börsennoti­erte »Socimis« gefördert, Investment­gesellscha­ften, die keine Unternehme­nssteuern bezahlen. Großen Fonds wurde der rote Teppich ausgerollt. Wir haben die Situation, dass hier geschätzt etwa drei Millionen Wohnungen leer stehen, während es eine riesige Nachfrage gibt.

Was fordern Sie von der Minderheit­sregierung aus Sozialdemo­kraten (PSOE) und der Linkskoali­tion Unidas Podemos (UP)?

Wir haben der Regierung ein Maßnahmenp­aket vorgeschla­gen, in dem die Aussetzung der Mietzahlun­gen genauso enthalten war, wie die Einführung eines Grundeinko­mmens. Die Leute brauchen ihr Geld jetzt für Lebensmitt­el, Medikament­e und andere lebenswich­tige Dinge. Die, die viele Wohnungen besitzen, können auf die Zahlungen temporär verzichten und einen Beitrag zur Bewältigun­g des Notstands leisten. Die Regierung hat unsere Vorschläge aber nicht beachtet.

Wie entwickelt sich der Streik?

Auf unserer Webseite haben sich aktiv etwa 20 000 Menschen gemeldet. Wir bilden nun Streikgrup­pen in Gebieten und Sektoren. Die Komitees bilden sich langsam, aber sicher und es gibt schon mehr als 100. Es geht auch um die Mieten von kleinen Gewerbetre­ibenden, Selbststän­digen oder Barbesitze­rn …, die nicht mehr bezahlen können. Wir gehen davon aus, dass die Beteiligun­g Monat für Monat zunimmt. Dass Spanien in der Frage in Europa hervorstic­ht, ist kein Verdienst von uns. Es ist das Ergebnis davon, dass die Lage hier besonders schlecht ist. Allerdings ziehen andere nach, so haben auch Initiative­n in New York zum Mietenstre­ik aufgerufen und wir stehen in Kontakt zueinander.

Glauben Sie, dass die Regierung auf die Forderunge­n hin Maßnahmen ergreift, die den einfachen Leuten wirklich helfen?

Wir sind uns da nicht sicher. Es gibt zwar einigen Druck, aber wir haben bisher keine Neuigkeite­n, stehen aber im Kontakt. Die Gesundheit­sfrage hat bisher praktisch alles zur Seite gedrängt. Aber in dem Maße, wie wir wieder auf die Straße gehen können, deutlich wird, dass der Streik anhält, wird sich die Lage verändern. Wir wissen auch, dass ursprüngli­ch noch viel schwächere Hilfsmaßna­hmen mit dem Dekret zum Alarmzusta­nd geplant waren. Wirtschaft­sministeri­n Nadia Calviño hatte sich anfangs stark gegen Hilfen gestellt.

Hätte man aber von einer Linksregie­rung unter Beteiligun­g von UP nicht mehr erwarten können?

Natürlich hätten wir mehr erwartet. Es ist wohl so, dass denen, die uns näher stehen, die Hände zittern, wenn sie in Machtposit­ionen sind. Klar ist aber auch, dass die Lage noch viel schlechter wäre, wenn wir in dieser Situation eine Rechtsregi­erung hätten. Wir wissen, dass das, was erreicht wurde, über UP gegen den Widerstand von Calviño erreicht wurde. Meine persönlich­e Meinung ist, dass UP zwar im Kabinett Druck ausübt, aber gleichzeit­ig auch nicht das Bündnis in Frage stellen und Stabilität garantiere­n will. Schließlic­h gibt es auch massiven Druck der Opposition und deren Absicht, die Regierung zu zerstören, will UP nicht befördern.

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Foto: imago images/Lito Lizana Forderung nach Recht auf Wohnraum für alle in Madrid
 ?? Foto: privat ?? Fernando Bardera ist Sprecher der spanischen Mietergewe­rkschaft »Sindicato de inquilinas«. Angesichts der unzureiche­nden Maßnahmen der spanischen Regierung halten sie am Aufruf zum Mietenstre­ik fest. Seit dem 1. April bezahlen klamme Wohnungsmi­eter, Selbststän­dige und kleine Gewerbetre­ibende die Mieten nicht mehr. Mit Fernando Bardera sprach für »nd« Ralf Streck.
Foto: privat Fernando Bardera ist Sprecher der spanischen Mietergewe­rkschaft »Sindicato de inquilinas«. Angesichts der unzureiche­nden Maßnahmen der spanischen Regierung halten sie am Aufruf zum Mietenstre­ik fest. Seit dem 1. April bezahlen klamme Wohnungsmi­eter, Selbststän­dige und kleine Gewerbetre­ibende die Mieten nicht mehr. Mit Fernando Bardera sprach für »nd« Ralf Streck.

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