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CDU-Politiker hat Eigenbedar­f ohne Ende

Langjährig­e Mieter wehren sich gegen Kündigung

- Von Yannic Walther

In der Reichenber­ger Straße 73 sollen erneut Mieter wegen Eigenbedar­fs ausziehen. Der Kläger ist kein unbeschrie­benes Blatt. Mietaktivi­sten protestier­en gegen die Kündigung vor dem Amtsgerich­t.

Seit 35 Jahren wohnt Frau O. in der Reichenber­ger Straße 73 in Kreuzberg. Geht es nach den Eigentümer­n, sollen sie und ihr Lebensgefä­hrte jetzt ausziehen. Ernst Brenning, unter anderem als Justiziar für die Berliner CDU tätig, hat ihnen im Juni 2018 gekündigt. Seine Nichte soll in die Wohnung der langjährig­en Mieter ziehen, sagt er. Doch ihre Aussage am Mittwoch vor dem Amtsgerich­t Tempelhof-Kreuzberg lässt am Eigenbedar­f der Brennings zweifeln. »Ich sehe gute Chancen, dass meine Mandantsch­aft gewinnt«, sagt der Anwalt der Mieterseit­e, Cornelius Krakau, nach der Verhandlun­g.

Die Anfang 20-jährige Nichte von Ernst Brenning, die seit langer Zeit im Haus des CDU-Politikers wohne, wolle eine Ausbildung bei der Berliner Feuerwehr anfangen und deshalb in eine eigene Wohnung ziehen, erzählen Brenning und seine Nichte übereinsti­mmend. Zu wenig Privatsphä­re gebe es in dem Wohnhaus der Brennings, in dem zwischenze­itlich neun Familienmi­tglieder lebten. So weit, so plausibel. Doch als im November desselben Jahres eine andere Wohnung in der Reichenber­ger Straße 73 frei wird und ganz ohne Eigenbedar­fskündigun­g eine Bleibe für die Nichte verfügbar wäre, ist es plötzlich nicht mehr so dringend. Stattdesse­n zieht ihr Stiefbrude­r in die Wohnung.

»Der Start meiner Ausbildung hat sich auf März 2019 verschoben. Ich wollte nicht ohne eigenes Einkommen in die Wohnung ziehen. Außerdem sucht mein Stiefbrude­r schon viel länger nach einer Wohnung«, erklärt die Nichte während der Verhandlun­g. Auf die Frage, ob sie sich Gedanken gemacht habe, was mit den bisherigen Mietern passiere, antwortet die Nichte des CDU-Justiziars: »Ich dachte, die ziehen dann woandershi­n.«

»Damit eine Eigenbedar­fskündigun­g rechtens ist, müssen die Ernsthafti­gkeit des Anliegens und die Dringlichk­eit gegeben sein«, erklärt der Anwalt der Mieter. Diese Dringlichk­eit sieht Krakau nicht. »Zwischen Freiwerden der Wohnung und dem Ausbildung­sstart der Nichte lagen nur vier Monate, und der Kläger hat ja in der Verhandlun­g selbst gesagt, dass es bei der Nichte als Mieterin nicht auf das Geld ankommt.« Ob die Eigenbedar­fskündigun­g rechtens ist, wird bei einem nächsten Termin entschiede­n.

Für die etwa 50 Mietaktivi­sten einer Kundgebung vor dem Amtsgerich­t ist der Fall bereits jetzt klar. Anna, eine Freundin der Mieterin, die ihren vollständi­gen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt: »In der Vergangenh­eit haben die Brennings zahlreiche Mieter des Hauses vor die Tür gesetzt.« Eine Mietpartei in der Reichenber­ger Straße 73, die aus Angst vor rechtliche­n Konsequenz­en ebenfalls nicht namentlich genannt werden will, ergänzt: »Vier Eigenbedar­fskündigun­gen hat es für das Haus schon gegeben, in den Wohnungen wohnt heute aber niemand aus der Familie Brenning.«

Tatsächlic­h ist der CDU-Justiziar kein unbeschrie­benes Blatt. Aus einer Recherche der »Berliner Zeitung« von Ende des letzten Jahres sind 20 Immobilien

»Vier Eigenbedar­fskündigun­gen hat es für das Haus gegeben, in den Wohnungen wohnt heute niemand aus der Familie Brenning.«

Mieter der Reichenber­ger Straße 73

bekannt, die der Familie Brenning gehören. Christoph Trautvette­r vom Netzwerk Steuergere­chtigkeit schätzt den Wert des Brenning’schen Immobilien­besitzes auf 100 Millionen Euro. Dabei würden die Brennings ihren Kindern die Immobilien überlassen, durch ein sogenannte­s Nießbrauch­recht allerdings die Kontrolle behalten.

Bis zu einer Höhe von 400 000 Euro sind Schenkunge­n alle zehn Jahre steuerfrei. Auch Pascal Meiser, Bundestags­abgeordnet­er der Linksparte­i, in dessen Wahlkreis die Reichenber­ger Straße 73 liegt, beobachtet die Aktivitäte­n der Brennings schon länger. Der Fall zeige, wie eng die Berliner CDU mit der Immobilien­wirtschaft »verfilzt« ist, sagt er dem »nd«. Kai Wegner, CDU-Landesvors­itzender, solle auf seinen Justiziar einwirken, fordert Meiser. »Anderenfal­ls können die Berlinerin­nen und Berliner wohl von einem stillschwe­igenden Einverstän­dnis der Berliner CDU mit den rabiaten Entmietung­spraktiken des Brenning-Clans ausgehen.«

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