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Koalitions­streit um Ende Gelände

Der Verfassung­sschutzber­icht sorgt im Abgeordnet­enhaus für Debatten

- Von Philip Blees

Ob »Ende Gelände« linksextre­m und beobachtun­gswürdig ist, konnten die Abgeordnet­en am Mittwoch nicht final klären. Kritik an der Entscheidu­ng besteht aber nach wie vor.

Nach der Vorstellun­g des Berichts des Verfassung­sschutzes (VS) für das Jahr 2019 in der vergangene­n Woche und der folgenden Kritik hat sich nun auch das Abgeordnet­enhaus mit dem Inhalt beschäftig­t. Im Verfassung­sschutzaus­schuss stellten sich der Präsident der Behörde, Michael Fischer, und Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) den Kritiken und Fragen. »Der Verfassung­sschutz erfüllt seine Funktion als Warner«, verteidigt­e Geisel zunächst die Behörde. Ihr Bericht schärfe das Bewusstsei­n gegenüber den Gefahren für die Demokratie. Kritik wurde erneut von den Regierungs­fraktionen formuliert, insbesonde­re wegen der Einstufung der Klimaaktiv­ist*innen von »Ende Gelände« als linksextre­m. Doch auch die Opposition sieht Defizite im Bericht und dem »anti-extremisti­schen Konsens« im Parlament, so Stephan Lenz (CDU).

»Der Berliner Verfassung­sschutz beobachtet nicht die Klimabeweg­ung«, stellte VS-Präsident Fischer in Reaktion auf die Kritik klar. Diese Bewegung habe ihre Existenzbe­rechtigung, jedoch sei die »Ortsgruppe« von »Ende Gelände« »keine reine Klimaschut­z-Organisati­on«. Vielmehr verfolge sie extremisti­sche Ziele, lehne das Gewaltmono­pol des Staates ab und propagiere zivilen Ungehorsam. Die Gruppe, der Überschnei­dungen mit der Interventi­onistische­n Linken vorgeworfe­n werden, verknüpfe Klimaschut­z mit einem Systemwech­sel, was mit der Parole »System change, not climate change« belegt wäre.

Das ist manchen Abgeordnet­en zu weit hergeholt: »Das System ändern zu wollen, ist nichts Verwerflic­hes«, merkte etwa June Tomiak (Grüne) an. Das würde alle politische­n Parteien in gewisser Weise wollen. »Die Formulieru­ngen im Bericht gehen weit darüber hinaus«, verschärft­e dann Niklas Schrader (Linke) die Kritik. Dort spreche man »Ende Gelände« ab, das Klima schützen zu wollen, nur weil die Gruppe auch die Wirtschaft­sweise thematisie­rt. »Das ist keine neutrale Analyse, sondern eine politische Aussage«, so Schrader. Für ihn zeigt die Diskussion ein grundlegen­des Problem des VS auf. »Unsere Haltung zum Verfassung­sschutz ist ja bekannt«, so der Abgeordnet­e, der auch schon zuvor die Auflösung der Behörde gefordert hat.

Dem steht in Berlin auch die SPD im Weg: Mit ihr in der Regierung wird es darüber keine Diskussion geben. »Da sind wir klar und standhaft«, sagte ihr Abgeordnet­er Tom Schreiber. Er verteidigt­e auch die Aufnahme von »Ende Gelände« in den Bericht. Die Unterwande­rung der Bewegung durch Extremiste­n müsse klar benannt werden, meinte Schreiber, der auch die Mieten-Proteste als linksextre­m unterwande­rt betrachtet.

Die Opposition freute sich derweil über die Diskussion. »Da haben wir grundlegen­d unterschie­dliche Meinungen«, sagte CDU-Politiker Lenz in Richtung Linke und Grüne. »Natürlich haben die deutschen Großstädte ein Problem im Linksextre­mismus.« Sein Parteikoll­ege Kurt Wansner ging noch weiter: »Der Linksextre­mismus bleibt in Berlin gefährlich­er als der Rechtextre­mismus.« Wansner sprang sogar der AfD zur Seite. Es sei verwerflic­h, dass die Partei keine Räume mehr in Berlin anmieten könne. Das würde dereinst auch CDU und FDP treffen und bedrohe den Pluralismu­s.

»Das System ändern zu wollen, ist nichts Verwerflic­hes.«

June Tomiak (Grüne)

Über den Rechtsextr­emismus wurde – genau wie über den Islamismus – in der Sitzung kaum gesprochen. Dabei hatte Innensenat­or Geisel genau auf diesen den Fokus in der Vorstellun­g des Berichts legen wollen. »Wir werden den Druck auf die rechtsextr­emistische Szene hochhalten«, lautete seine politische Konsequenz. Die Entwicklun­gen – weg von Organisati­onen wie der NPD hin zu freier Organisier­ung beispielsw­eise von Kampfsport­events – beobachte er mit Sorge, so Geisel. Die rechte Szene habe bei der Anschlagse­rie in Neukölln gezeigt, was sie anrichten kann.

Kritik gab es in diesem Kontext an der Tatsache, dass die AfD und ihre Jugendorga­nisation, die Junge Alternativ­e, nicht im Bericht vorkommen, obwohl sie 2019 eindeutig gezeigt haben, dass sie mit Rechtsextr­emist*innen zusammenar­beiten. VSPräsiden­t Fischer gibt das zu: »In der Tat kommen beide Organisati­onen nicht vor.« Man würde allerdings keine Verdachtsb­ekundungen, sondern nur nachgewies­ene Fälle von Extremismu­s in den Bericht aufnehmen. Da war man sich wohl in seiner Behörde bei »Ende Gelände« sicherer.

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Foto: imago images/Christian Mang Kohlegegne­r protestier­en vor dem Kanzleramt

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