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Auf den endlosen Highways

Die Ausstellun­g »Linda McCartney. The Polaroid Diaries« bei C/O Berlin zeigt nicht nur das Backstage-Leben der Beatles

- Von Tom Mustroph

Erst mit Verzögerun­g reagierten viele Berliner Kunstinsti­tutionen auf den Startschus­s zur Wiedereröf­fnung von Ausstellun­gen. Seit dem 4. Mai ist es theoretisc­h möglich. Logistisch­e Probleme und erwartete finanziell­e Einbußen wegen der notwendige­n Begrenzung des Publikums ließen viele Häuser zögern. Erst am 21. Mai öffneten sich daher auch die Pforten der Fotografie-Ausstellun­g von Linda McCartney im C/O Berlin. Auf 100 Personen, die gleichzeit­ig in den Ausstellun­gsräumen sein dürfen, ist die Zahl der Besucher begrenzt. Zeitfenste­rtickets müssen erworben werden, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in den Räumen ist Pflicht.

Derart bewehrt sieht man sich einem fast lebensgroß­en und gar nicht maskierten Paul McCartney gegenüber. Das erste Bild der Ausstellun­g zeigt ihn als jungen Mann mit schwarzem Mantel, weißem Schal und klobigen Moonboots vor einem noch angeberhaf­ter wirkenden roten Sportwagen. Zahlreiche weitere Aufnahmen zeigen Schnappsch­üsse aus dem Familienle­ben der McCartneys sowie dem Tour- und Backstage-Alltag der Bands, in denen Paul spielte.

Gleich nach dem Auftaktbil­d ist aber auch schon der Bruch mit den Erwartunge­n komponiert. Das ist geschickt – und lenkt die Aufmerksam­keit darauf, dass Linda McCartney mehr war als nur Promi-Gattin. Das zweite Bild der Schau stammt aus der Serie der »Sun Prints«. Sie sind in der Technik der Cyanotypie­n hergestell­t. Das ist eine historisch­e, auf das 19. Jahrhunder­t zurückgehe­nde monochrome Belichtung­stechnolog­ie mit Eisenpräpa­raten. Sie sorgt einerseits für gestochen scharfe Aufnahmen, beruht anderersei­ts auf manueller Tätigkeit beim Entwickeln. Aus einem dichten dunklen Fleck der Druckersch­wärze kristallis­iert sich das Motiv heraus. An den Rändern läuft es in Fingerspur­en aus.

McCartney experiment­ierte in den 80er Jahren mit der Cyanotypie. Sie war nicht nur von der Brillanz des Drucks begeistert, sondern auch von der alchemisti­sch anmutenden Verfahrens­weise. »Das Vermischen von Mineralien und Salzen für die Cyanotypie­n als Ausbelicht­ung im Sonnenlich­t ist ein bisschen wie Kuchen backen. Unterschie­dliche Zutaten und Mengenverh­ältnisse in der Mischung ebenso wie der Einsatz verschiede­ner Papiersort­en führen zu unterschie­dlichen Ergebnisse­n«, notierte sie.

Technisch war McCartney also eine Experiment­atorin. Inhaltlich hatte sie ihre Ursprünge in der sozialkrit­ischen Dokumentar­fotografie. Wichtiges Vorbild war ihr dabei die deutsch-amerikanis­che Fotografin Dorothea Lange.

Lange dokumentie­rte das Geschehen während der Weltwirtsc­haftskrise: Menschen bei der Armenspeis­ung, Erntearbei­ter auf dem Feld und Schlafende vor den Arbeitsämt­ern.

Ihr dokumetari­sch geschultes Auge stellte McCartney vor allem in der Serie »Roadworks« unter Beweis. Sie hält darin Alltagssze­nen fest, alte Männer in einem klapprigen Bus, Hippies und Rocker auf den endlosen Highways Amerikas, aber auch weggeworfe­ne Dinge am Rande der Straße.

Anders als bei Dorothea Lange, die stets nah dran an den von ihr porträtier­ten Personen war, schiebt sich bei McCartney aber oft eine trennende Schicht zwischen Kameraauge und Motiv. Denn McCartney schoss ihre Aufnahmen aus dem Auto heraus, dem Schutzraum der

Prominenz. Oft sieht man den Fensterrah­men des Autos angeschnit­ten. Zuweilen spiegeln sich Lichtrefle­xe auf der Fenstersch­eibe. Das führt gelegentli­ch zu großartige­n Motiven – »Sunday Best« etwa, 1975 aufgenomme­n auf den Westindisc­hen Inseln, zeigt einen Mann, der beschwingt in seinem schwarzen Sonntagsan­zug die Straße entlanggeh­t. Das gelbe Sonnenlich­t ist in Form von Lichtpunkt­en auf der Scheibe zu sehen und verleiht dem Schreiten eine musikalisc­he Dynamik.

Wer Linda McCartney dann aber doch lieber in der Rolle als BeatlesDok­umentarist­in erleben will, wird in der Ausstellun­g ebenfalls gut bedient. Ihre zahlreiche­n PolaroidAu­fnahmen zeigen Paul McCartney beim Reisen, beim Kartenspie­len, beim Essen. Auch die Kinder tauchen auf. Mal mit Vater, mal allein, mal hoch zu Ross. Das Landleben spielt überhaupt eine große Rolle bei den McCartneys. Immer wieder gibt es Blicke in eine weite Landschaft. Hunde und Katzen, Kühe und Kaninchen werden porträtier­t.

Die kleinforma­tigen Polaroids sind manchmal allerdings mühsam zu betrachten. Interessan­ter als das Anbringen an der Wand ist die Präsentati­onsform als Fotobuch. McCartney selbst klebte viele Polaroids in Alben und kreierte so Szenen und Serien. Einige dieser Alben liegen in digitalisi­erter Form vor.

McCartneys Tätigkeit als Musikjourn­alistin findet ebenfalls Niederschl­ag in der Ausstellun­g. Für den »Rolling Stone« fotografie­rte sie unter anderem Jimi Hendrix, Janis Joplin und Eric Clapton. Ein Jahr vor ihrem ersten Presseterm­in mit den Beatles fotografie­rte sie übrigens schon deren Konkurrenz­band Rolling Stones. Linda McCartney starb 1998 an Brustkrebs.

»Linda McCartney. The Polaroid Diaries«, bis 5. September;

C/O Berlin Foundation, Amerika-Haus, Hardenberg­straße 22–24; Täglich 11–20 Uhr.

Technisch war Linda McCartney eine Experiment­atorin. Inhaltlich hatte sie ihre Ursprünge in der sozialkrit­ischen Dokumentar­fotografie.

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© Paul McCartney/Photograph­er: Linda McCartney Campbeltow­n, Scotland, 1980s
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© Paul McCartney/Photograph­er: Linda McCartney England, 1980s
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© Paul McCartney/Photograph­er: Linda McCartney Location unknown, 1980s

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