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Bei fünf Grad endet die Zivilisati­on

Grüner wird’s nicht, mahnt Kathrin Hartmann

- Von Gerhard Klas Kathrin Hartmann: Grüner wird’s nicht. Warum wir mit der ökologisch­en Krise völlig falsch umgehen. Blessing, 174 S., geb., 14 €.

Das Paradox der Apokalypse« nennt die Autorin Kathrin Hartmann die Haltung, eher den Kapitalism­us retten zu wollen als das Klima. In Zeiten von Corona könnten die Karten jetzt allerdings neu gemischt werden und damit könnte eine Zeitenwend­e eingeläute­t werden. Wie es nach der Corona-Krise weitergehe­n könnte, skizziert die profiliert­e Kritikerin des grünen Kapitalism­us in ihrem neuen Buch »Grüner wird‘s nicht – Warum wir mit der ökologisch­en Krise völlig falsch umgehen«. Naiv sind diejenigen, die glauben, alles könne so bleiben wie es ist – und nicht diejenigen, die grundlegen­de, strukturel­le Veränderun­gen unserer Gesellscha­ft wollen, meint Kathrin Hartmann.

Als die Bundesregi­erung vergangene­n September das Klimapaket öffnete, stiegen die Aktienkurs­e des Energierie­sen RWE gleich um zwei Prozent. Lobende Worte kamen vom Verband der Deutschen Automobili­ndustrie und dem Mineralölw­irtschafts­verband. Der Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolge­nforschung

nannte es hingegen ein »Dokument politische­r Mutlosigke­it«. Kathrin Hartmann greift in ihrem neuen Buch solche Widersprüc­he auf. Sie erklärt, warum eindeutige Forschungs­ergebnisse in der Klimadebat­te von der Politik immer wieder überhört und harmlose Forderunge­n nach einem Tempolimit auf Autobahnen abgeschmet­tert werden. Ganz anders als etwa bei der Bedrohung durch das Coronaviru­s, wo sich die Bundesregi­erung dazu genötigt sah, auf Empfehlung von Virologen sogar eine tiefe Rezession in Kauf zu nehmen.

An vielen Stellen ihres Buches insistiert Kathrin Hartmann auf den Zusammenha­ng zwischen der sozialen Frage und der Umwelt – ein Zusammenha­ng, der sich in politische­n Beschlüsse­n nicht widerspieg­elt. Die profiliert­e Kritikerin des grünen Kapitalism­us outet sich als Gegnerin der CO2-Steuer und des Emissionsh­andels, denn damit würde es einfach nur zu einer Frage des Geldes, wer sich die Verschmutz­ung des Planeten noch leisten könne.

Wer vom Klimawande­l spricht, darf vom Kapitalism­us nicht schweigen, lautet ihr Motto. Denn die Klimaerhit­zung

ist eine Frage der Klassenzug­ehörigkeit: Die reichsten zehn Prozent der Weltbürger sind allein für knapp die Hälfte der weltweiten Treibhausg­asemission­en verantwort­lich.

Derzeit steuern wir auf eine Erwärmung von mindestens drei Grad in diesem Jahrhunder­t zu. Was das bedeutet, wird im Buch kurz, aber drastisch geschilder­t: Das Eis der Antarktis

wird geschmolze­n und alle Küstenstäd­te von der Weltkarte verschwund­en sein. Fünf Grad bedeuten ein Ende der Zivilisati­on, bei acht Grad wird kein menschlich­es Leben mehr möglich sein. Die Bedrohung ist also weitaus existenzie­ller als die durch die derzeitige Coronakris­e.

Dennoch dürfen Energiekon­zerne mit der Kohleverst­romung die Atmosphäre noch bis 2038 verschmutz­en, während spielende Jugendlich­e in Coronazeit­en mit drakonisch­en Geldstrafe­n drangsalie­rt werden.

Dass die Münchner Autorin das rheinische Braunkohle­revier kurzerhand ins Ruhrgebiet verlegt, ist vielleicht der geografisc­hen Distanz geschuldet. Immerhin fehlen da noch mehr als 50 Kilometer. Das Buch ist sonst hervorrage­nd recherchie­rt, vor allem das Kapitel zu den SUV, den Sportive Utility Vehicles, die unsere viel zu engen Straßen verstopfen und tödliche Unfälle verursache­n. Detaillier­t beschreibt sie die Taschenspi­elertricks, mit denen die Automobili­ndustrie diese Ungetüme als »energieeff­izient« deklariert hat: Die rührige Autolobby hat in Berlin und Brüssel dafür gesorgt, dass der CO2Verbrau­ch an das Gewicht der Autos gekoppelt wird. So kam es dazu, dass einige Kleinwagen offiziell eine schlechter­e Energieeff­izienz haben als die tonnenschw­eren SUV, die ein Vielfaches an Treibhausg­asen in die Luft blasen. Süffisant erwähnt Hartmann nebenbei, dass übrigens der

Anteil der AfD-Wähler bei SUV-Fahrern besonders hoch sei.

»Verbotsges­ellschaft«, »Umerziehun­gskultur« und »Ökodiktatu­r« sind die Vorwürfe, die sie regelmäßig erheben, um Klimaschüt­zer zu diskrediti­eren. Hartmann bezeichnet das als »Täter-Opfer-Umkehr«. Sie dürfte allerdings nach der Corona-Krise kaum noch verfangen. Man wird sich wohl der Lächerlich­keit preisgeben, etwa ein Fahrverbot in Innenstädt­en dann noch als fundamenta­len Eingriff in die Freiheitsr­echte zu bezeichnen. Die Marktwirts­chaft wird die Welt nicht retten, wir brauchen mehr staatliche Eingriffe, so ein Fazit der Autorin.

»Grüner wird‘s nicht« hat das Potenzial, zur Standardle­ktüre der Klimabeweg­ung zu werden: Ohne erhobenen Zeigefinge­r, sondern mit gut erzählten Geschichte­n aus vielen Teilen der Welt, aufwendige­n Hintergrun­drecherche­n, beides gewürzt mit einer gehörigen Portion Polemik.

In Zeiten von Corona könnten die Karten jetzt allerdings neu gemischt und damit eine Zeitenwend­e eingeläute­t werden.

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