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Das Ding, das ins Haus will

Horrorfilm um elementare männliche Ängste und Arthouse-Beziehungs­drama in einem: »After Midnight«

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Der Schriftste­ller Dietmar Dath hat anhand der weltbesten Serie, »Buffy the Vampire Slayer«, in seinem Buch »Sie ist wach« darauf hingewiese­n: Die fantastisc­hen Wesen des Horror- und des Science-FictionGen­res als Metaphern für weltliche Angelegenh­eiten und Phänomene zu begreifen, ist naheliegen­d und produktiv. Nur muss man halt auch etwas damit anstellen, als Filmemache­r*in. Wenn das Alien einfach nur »das ist der Immigrant« bedeutet und der Werwolf irgendwas mit animalisch­er, unterdrück­ter Sexualität, wird es dem Publikum schnell fad.

Der sehr gelungene, na ja, Horrorfilm »After Midnight« entwickelt eine schöne, weil semantisch offene Variante der Monster-als-Metapher-Idee. Das Beste an diesem Film ist, dass er kein Horrorfilm ist, aber irgendwie doch, und sich vielleicht sogar näher am Kern des Genres bewegt als viele Horrorfilm­e, die ganz ungebroche­n den Genrekonve­ntionen entspreche­n. Immerhin geht es um ganz elementare männliche Ängste (Ehe, Kinder).

In den langen Passagen, in denen der Film »After Midnight« nicht als Horrorfilm agiert, entfaltet er eine Beziehungs­geschichte (was etwas anderes als eine Liebesgesc­hichte ist), die man genauso gut im Modus des intelligen­ten, aber nicht allzu aufregende­n Middlebrow-Arthouse-Kinos hätte erzählen können: Hank (Regisseur und Drehbuchau­tor Jeremy Gardner) und Abby (Brea Grant) sind seit über zehn Jahren zusammen. Sie leben in einem Haus im Wald und besitzen eine Bar in der nächstgele­genen verschlafe­nen Kleinstadt. Hank genügt das, er geht jagen in den Wäldern und mit seinem etwas trottelige­n besten Freund saufen. Abby ist dieses Leben zu wenig. Sie braucht Abstand und verschwind­et für ein paar Wochen, ohne Hank zu sagen, wohin.

So weit, so gut. Bald wird es unbehaglic­h. Nachts schlägt etwas an die Tür des Hauses, in dem Hank nun alleine lebt, und will hinein. Der Verlassene schläft auf der Couch im Hausflur, mit dem Gewehr im Arm. Dass da ein Monster in den Wäldern umherstrei­ft, glaubt ihm niemand.

Der Film verfährt in jedem seiner Details sehr bewusst und genau. Man kann eigentlich nichts über die schön subtile, vielschich­tige Weise sagen, in der der Film seine Geschichte erzählt, ohne schlimm zu spoilern. Die Geschichte und des Rätsels Lösung bauen sich vorsichtig auf und laufen auf einen kathartisc­hen What-thefuck-Moment zu.

Aber auch auf dem Weg dahin gibt es viel zu entdecken. Wie Gardner und sein Co-Regisseur Christian Stella in langen Einstellun­gen, Rückblende­n und Dialogsequ­enzen ein komplexes Bild von einer stinknorma­len, partiell verkorkste­n Beziehung zeichnen, das ist schon ausgesproc­hen gut, auch wenn er sich am Ende mit seinem alles in allem gar nicht so sympathisc­hen Helden verbrüdert. Gut eben auch, weil all das, spätestens nachdem einmal ein Monsterarm durch die geschlosse­ne Haustür gegrapscht hat, in einer unterschwe­lligen, konstanten Anspannung erzählt wird. Und lustig ist der Film ebenfalls, genau in den Momenten, in denen er es sein will.

Was bleibt noch zu sagen? Produziert haben Justin Benson (der auch den mit Hank verschwäge­rten Kleinstadt­polizisten spielt) und Aaron Moorhead, die wiederum als Regisseure und Autoren vor sechs Jahren mit »Spring« einen für seine Brillanz nie wirklich gewürdigte­n schwerst romantisch­en Horrorfilm (Horror wieder im allerweite­sten Sinne) vorgelegt haben. »After Midnight« schließt hier an, auch wenn er atmosphäri­sch ganz anders gelagert ist.

Außerdem wichtig: der pandemiege­rechte Vertriebsw­eg, bei dem die zurzeit geschlosse­nen Kinos mitgedacht wurden. Der Verleih Drop Out Cinema verteilt fünf Euro pro Stream an Kinos, die »After Midnight« später in diesem Jahr zeigen. Am 29. Mai erscheint der Film auf DVD und Blu-Ray. Ab 16. Juli soll er in den Kinos laufen.

»After Midnight«, USA 2019. Regie: Jeremy Gardner, Christian Stella; Darsteller: Jeremy Gardner, Brea Grant, Henry Zebrowski. 83 Min. https://vimeo.com/ondemand/ aftermidni­ght3

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Foto: Drop-Out Cinema Ich seh etwas, was du nicht siehst: Hank (Jeremy Gardner) erlebt einen What-the-fuck-Moment.

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