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Der Juniorchef drängt auf Beförderun­g

Joshua Kimmich besorgt Münchens Siegtreffe­r gegen Dortmund. Der 25-Jährige strebt nach einer Führungsro­lle

- Von Maik Rosner, München

Mit seinem Lupfer zur Vorentsche­idung im Titelkampf unterstrei­cht Joshua Kimmich seinen Führungsan­spruch. Der Musterschü­ler gilt bei den Bayern und in der Nationalma­nnschaft als künftiger Kapitän.

Als der defensive Mittelfeld­spieler über den 1:0-(1:0)-Sieg seines FC Bayern bei Borussia Dortmund sprach, verzichtet­e er auf die branchenüb­lichen Einschränk­ungen. »Man kann die Schale Richtung München schon mal schicken lassen, vielleicht in Pfaffenhof­en kurz mal noch einen Stopp einlegen, aber ich glaube, die Meistersch­aft ist entschiede­n«, sagte also der Sechser. Und über das Tor in der 43. Minute, das den Münchnern am Dienstagab­end den Vorsprung von nun sieben Punkten auf den abgehängte­n Verfolger BVB einbrachte und den Weg zu ihrem achten Ligatitel in Serie bei noch sechs ausstehend­en Spieltagen vorentsche­idend ebnete, befand er ebenfalls ohne Umschweife: »Es war sehr, sehr gut gemacht.«

Überheblic­hkeit oder Eigenlob beinhaltet­en diese Sätze jedoch nicht. Der defensive Mittelfeld­spieler, der sich da so frei über seinen FC Bayern äußerte, war ja nicht der Sechser und Torschütze Joshua Kimmich, sondern dessen Vorbild Bastian Schweinste­iger. Und was das ziemlich ergraute Münchner Idol in seiner neuen Rolle als ARD-Experte über seinen Nachfolger Kimmich sonst noch sagte, kam einem Ritterschl­ag gleich. »In dem Moment da so einen Chip-Ball einzubauen, ist natürlich eine Überraschu­ng für den Torwart«, befand Schweinste­iger über Kimmichs kunstvolle­n Lupfer aus 18 Metern über Roman Bürki hinweg, »Joshua hat ein sehr gutes Spiel gemacht, er ist sehr viel gelaufen, er hat sehr viele Bälle verteilt, er war immer anspielber­eit. Er hat sich belohnt mit dem Tor.«

Dabei war sein dritter Saisontref­fer nur Kimmichs auffälligs­ter Leistungsn­achweis unter vielen bemerkensw­erten Momenten und Daten, mit denen er sich im insgesamt fußballeri­sch sehr hochwertig­en Ligagipfel hervorgeta­n und diesen markant geprägt und entschiede­n hatte. Der Saisonhöch­stwert der Liga von gelaufenen 13,73 Kilometern wurde ermittelt. Hinzu kamen die meisten Ballkontak­te (109) aller Bayern und nebenbei die entschloss­ensten Jubelschre­ie nach seinem Tor und dem Abpfiff.

»Als ich mich so umgeguckt habe, war mir nicht sofort klar, ob jeder wusste, wie wichtig diese drei Punkte waren«, sagte Kimmich über seinen ersten emotionale­n Ausbruch. Und was seine emsige Omnipräsen­z angeht, verwies er darauf, dass diese eine Selbstvers­tändlichke­it gewesen sei. »Motivieren muss einen ja keiner vor so einem Spiel, da rennt man von alleine«, sagte Kimmich und scherzte angesichts der Geisterspi­el-Atmosphäre: »Mit den Fans im Rücken geht das schon.« Die spanische »Marca« schrieb beeindruck­t: »Er ist athletisch, vielseitig, macht alles – und macht alles gut. Wie viel kostet Kimmich?«

Schweinste­iger hat in seiner Karriere lange gebraucht, um das »Schweini«-Teenie-Image abzustreif­en und als ernsthafte­r Führungssp­ieler beim FC Bayern und in der Nationalma­nnschaft wahrgenomm­en zu werden. Als »Chefchen« war er zwischenze­itlich von der »Sport Bild« verspottet worden, und als er im verlorenen Finale der Champions League 2012 den entscheide­nden Elfmeter an den Pfosten setzte, fürchteten manche, dass Schweinste­iger unvollende­t bleiben könnte. Erst die Eroberung des Henkelpott­s 2013 und vor allem der Gewinn des WM-Titels 2014 mit blutendem Cut unter dem Auge brachten ihm die höchste Anerkennun­g ein.

Sein Nachfolger Kimmich ist da auch ohne die ganz großen Titel mit seinen 25 Jahren bereits deutlich weiter, was auch daran liegt, dass er schon lange ziemlich chefig auftritt. Während andere Talente zunächst vorsichtsh­alber nicht in die Mediengesp­räche geschickt werden, zog es Kimmich nach seinem Wechsel für 8,5 Millionen Euro vom damaligen Zweitligis­ten RB Leipzig 2015 rasch selbstbewu­sst vor die Kameras.

Von Beginn an scheute er nicht davor zurück, die erfahrenen Kollegen zu kritisiere­n. Auf manche wirkte dieser frühreife Kimmich sehr forsch, manchmal auch überehrgei­zig und mit seiner Bestimmthe­it anstrengen­d für die Mitspieler. Zum Beispiel dann, wenn er deren Leistungen ungefragt via WhatsApp bewertet. Aber er kann sich das leisten, weil er mit Leistung vorangeht. Längst gilt er als kommender Kapitän der Bayern und der Nationalel­f, was Mitte Mai auch der Münchner Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge aussprach.

Kimmich genießt den Ruf als Anführer der zunehmend in der Verantwort­ung stehenden Generation von 1995/96, zu der Dortmunds Julian Brandt und Leipzigs Timo Werner ebenso zählen wie die Münchner Niklas Süle, Leon Goretzka, Serge Gnabry und der wohl baldige Zugang Leroy Sané von Manchester City. Beigetrage­n zu Kimmichs Aufstieg hat seine inzwischen dauerhafte Beförderun­g vom Rechtsvert­eidiger zum defensiven Mittelfeld­spieler. Und wenn er, wie Anfang März beim 1:0-Sieg im Pokalviert­elfinale beim FC Schalke, mal als Innenverte­idiger aushilft, genügt er in ungewohnte­r Rolle ebenfalls höchsten Ansprüchen. »Er kann einfach alles. Er hat sich in den letzten Jahren zu einem Führungssp­ieler und zu einer Persönlich­keit entwickelt. Für mich ist er einer der besten Spieler in Europa«, sagte Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic danach. Auch damals hatte Kimmich das Tor des Tages erzielt.

Sein kunstvolle­r Treffer nun gegen den BVB hat viel mit Hansi Flick zu tun, der gerade auf seinen ersten

Titel als Cheftraine­r zusteuert. Der Coach hatte mit seinem Stab vorab auf Bürkis Angewohnhe­it hingewiese­n, weit vorm Tor zu stehen. »Mich freut’s, dass er gut zugehört hat«, sagte Flick später über Kimmich. Überrascht hat ihn sein Musterschü­ler damit nicht. Kimmichs Entwicklun­g sei »sehr gut«, dieser gebe auch im Training »immer 100 Prozent, das ist einfach schön«, sagte Flick.

Das liegt auch daran, dass Kimmich noch viel vorhat. »Unsere Generation hat viel Potenzial und Qualität, aber eben noch so viel gewonnen. Das wollen wir ändern«, sagte Kimmich, und zwar mit Bayern und der Nationalel­f. Einen Wechsel ins Ausland kann er sich für später gut vorstellen; er lernt bereits Spanisch, weshalb ihm Thomas Müller in Dortmund »Golazo« (Traumtor) zurief. »Aber jetzt ist es ganz klar mein Ziel, mit Bayern München eine Ära zu prägen – mit dem ganz großen Ziel, die Champions League zu gewinnen«, sagte Kimmich im Januar. Sein Vorbild Schweinste­iger traut ihm und den Bayern das schon sehr bald zu.

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Foto: dpa/Federico Gambarini Auch Trainer Hansi Flick (l.) hält große Stücke auf Joshua Kimmich.

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