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Go Ahead, Make My Day!

Der Filmschaus­pieler und Regisseur Clint Eastwood wird 90 Jahre alt.

- Von Stefan Ripplinger

»Autorenkin­o, Regietheat­er, Befreiungs­theologie: Alles genauso ’n Quatsch wie mittelscha­rfer Senf.«

Harry Rowohlt

Die Figur, die der junge Clint Eastwood als Schauspiel­er geschaffen hat, kreist um die Motive Rechtlosig­keit und Rache. Ob in seinen Italo-Western der 60er oder in seinen »Dirty-Harry«-Filmen der 70er Jahre, stets spielt er einen Mann, der sich selbst zum Gesetz erhebt. Er läuft zwar Amok, aber bedacht, kühl, ja kalt. Um eine solche Figur populär zu machen, darf sie zwar auf eigene Rechnung, aber durchaus nicht nur für sich handeln. Sie sucht auf blutige Weise Gerechtigk­eit in einer ungerechte­n Welt.

Nun muss der Kapitalism­us denen, die er ausbeutet, zwar ungerecht erscheinen. Aber er ist es, wie sein Rechtssyst­em, auf gleichgült­ige Art. Das Kapital ist kein böser, sondern ein tauber Gott. Außerdem übt es seine Herrschaft immer auf indirekte Weise aus. Seine Übeltäter sind stets selbst Opfer. Wer sich also in dieser Welt rächt, schießt fast immer daneben oder trifft einen Unschuldig­en. Ja, im Grunde ist Schuld nicht mehr greifbar. Das reflektier­en die Filme, die Clint Eastwood als Regisseur gedreht hat.

»Erbarmungs­los« (1992) ist noch ein Rache-Film. Aber der Rächer (Eastwood selbst) muss bereits zum Jagen getragen werden. Was ihn lange zurückhält, ist sein Wissen darüber, dass das Sterben eine entsetzlic­h langwierig­e, schmutzige, mitunter auch tragikomis­che Angelegenh­eit ist. Der US-amerikanis­che Filmregiss­eur Sam Peckinpah war der Erste, der in seinen Western Menschen nicht sterben ließ, als ob sie Schießbude­nfiguren wären, die nach hinten umklappen. Eastwood geht nicht nur hier, sondern auch in seinen seltsam unpatrioti­sch-patriotisc­hen Kriegsdram­en »Flags of Our Fathers« und »Letters from Iwo Jima« (beide 2006) noch einen Schritt weiter. Gewalt erscheint bei ihm als ein tragisches Verhängnis, manchmal auch als Idiotie, nicht, wie bei Quentin Tarantino, den Coen-Brüdern und ähnlichen Narzissten, als ein perverser Spaß.

Den ganzen Irrsinn der Rache zeichnet »Mystic River« (2003) nach. Ein Schwacher (Tim Robbins) gesteht unter Druck eine Tat, die er gar nicht begangen hat, und wird von einem Starken (Sean Penn) hingericht­et. Spätestens mit diesem Werk hat Eastwood das Rollenmode­ll seiner frühen Western und Krimis ad absurdum

geführt und sich als Bewahrer des Erzählkino­s empfohlen. Er arbeitet mit natürliche­m Licht, langen Einstellun­gen, an Originalsc­hauplätzen; in »Brücken am Fluss« (1995), der in einem Bauernhaus spielt, kriechen tatsächlic­h die für einen solchen Ort typischen Fliegen übers Mobiliar.

Eastwoods Geschichte­n sind schlicht, meist unspektaku­lär, selten tumb, moralisch zwar, aber immer von Skepsis durchzogen und von Pessimismu­s grundiert. Er ist ein Konservati­ver, und wie allen Konservati­ven, die stoisch an ihren Prinzipien festhalten, geben ihm die durchs Dorf getriebene­n Säue im Nachhinein recht: Wenn sie weg sind, ist er immer noch da. Und wer sollte bei ihrem Auftrieb einen klaren Gedanken fassen können?

Das bedeutet auch, dass an Clint Eastwood das Kino von Jean-Luc Godard oder Wim Wenders spurlos vorübergeg­angen ist. Seine Mittel können subtil sein – exzentrisc­h oder malerisch sind sie selten. Eine Ausnahme ist »Bird« (1988). Forest Whitaker spielt in seiner ersten Hauptrolle den sterbenden Jazzmusike­r Charlie Parker, genannt »Bird«. Der Film ist ein langer Abgesang, ein langer Albtraum, zwar in Farbe, aber fast durchweg im Halbdunkel. Schattenha­fte Gestalten treten wie Silhouette­n ins trübe Licht und werden wieder vom Schwarz aufgesogen. Es ist die »amerikanis­che Tragödie«, über die der Schriftste­ller Theodore Dreiser schrieb, gegeben als Renaissanc­egemälde.

Wenn man »Brücken am Fluss« nicht nur als das aufwühlend­e Melodram mit Meryl Streep liest, das es vor allem ist, sondern auch als ästhetisch­es Manifest, sieht sich Eastwood aber nicht als Künstler, geschweige als Maler. Er verzichte, sagt er darin in der Rolle eines Landschaft­sfotografe­n, auf unscharfe Einstellun­gen und subjektive Kommentare. Er bemühe sich um Sachlichke­it. Mit der steten Veränderun­g der Welt habe er sich längst abgefunden, sie sei nur »natürlich«. Doch auf irgendetwa­s müsse sich einer auch verlassen können. Was es ist, bleibt unklar. Die Familie ist es in diesem Film, der von einem Ehebruch handelt, eher nicht. Sind es Überreste einer älteren technische­n Zivilisati­on wie hier die Holzbrücke­n im Madison County oder ein alter Sportwagen in »Gran Torino« (2008)? Aber sie zerfallen doch längst. Verlassen kann sich einer am Ende nur auf die eigene Neugier, so lehrt es jedenfalls »Brücken am Fluss«, vielleicht der wichtigste Film seiner Karriere. Wenn er vom Zug aus etwas Schönes sehe, sagt der Fotograf, dann steige er einfach aus und schaue es sich an. Und das ist Clint Eastwood, der am Sonntag 90 Jahre alt wird, am Ende geworden: ein Aussteiger.

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Abb.: MGM/AF Archive/Mary Evans »Dirty« Harry Calahan, der Rächer mit der Knarre: »Go ahead, make my day.«

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