nd.DerTag

Investoren­schreck

Bewohner eines Hüttendorf­s wollen in Hessen Ackerland erhalten.

- Von Stefan Otto

Vor Ort werden sie oft gemieden, aber sie haben ohnehin Größeres vor: Die Bewohner des Hüttendorf­s von Neu-Eichenberg verlangen, dass der Raubbau an der Natur gestoppt wird.

Nichts ist offiziell geduldet auf dem Domänenack­er in Hebenshaus­en, weder die Holzhütten noch die Bauwagen oder das Gewächshau­s neben den Beeten. »Das Camp ist illegal«, erklärt die Hessische Landgesell­schaft, die den Acker verwaltet. Seit Generation­en ist er im öffentlich­en Besitz und wird verpachtet. Jahrein, jahraus haben die Bauern dort ihre Ernte eingebrach­t. Der Lößboden ist ausgesproc­hen fruchtbar. An einigen Stellen kommt er an die 90 Bodenpunkt­e heran, erzählte der Landwirt Philipp Kawe vor zwei Jahren, als er dort vorerst ein letztes Mal Weizen und Zuckerrübe­n angebaut hatte. Ihm wurde gekündigt, weil das Land veräußert werden und dort ein großes Logistikge­biet auf einer Fläche von rund 100 Fußballfel­dern entstehen soll.

Wieder einmal soll dafür beinahe jeglicher Umweltschu­tz den Interessen der Wirtschaft geopfert werden. Dagegen haben sich die Campbewohn­er aufgelehnt. »Den Boden wollen wir für den Ackerbau erhalten«, erklärt Luca Rosenberg, einer der Besetzer. Die Gruppe entstammt dem Umfeld der Universitä­t im acht Kilometer entfernten Witzenhaus­en. Mittlerwei­le haben sich ihr zahlreiche Umweltakti­visten angeschlos­sen. Einige bleiben für ein paar Tage, andere für Monate. Unterstütz­t werden sie auch von der örtlichen Bürgerinit­iative »Für ein lebenswert­es Neu-Eichenberg«.

Vor einem Jahr kamen sie im morgendlic­hen Nieselrege­n und fingen an, Zelte aufzubauen, Bretterhüt­ten zu zimmern und zogen einen Wohnwagen her. Der Tag war ein Happening. Sie warfen Flyer in die Briefkäste­n, auf denen sie sich als neue Nachbarn vorstellte­n. Doch wer sich hinter der Gruppe verbirgt, daraus machen die Aktivisten ein Verstecksp­iel. Auch die Namen, die in den Medien auftauchen, sind fiktiv – weil sie mit der Besetzung die Grenze des Erlaubten überschrei­ten. Trotzdem sind sie nahbar. Jeder, der möchte, kann vorbeikomm­en. Das inzwischen entstanden­e Hüttendorf ist keine Trutzburg, sondern Anlaufpunk­t für einen Protest gegen den Raubbau an der Natur geworden, der mittlerwei­le bundesweit Beachtung gefunden hat.

Stetig streicht der Wind übers Feld. Keine Hecke bietet Schutz. Die Äcker in Neu-Eichenberg sind groß, wie so oft, wenn die Böden fruchtbar sind. Das Camp wenige Meter vor dem Ortseingan­g von Hebenshaus­en selbst strahlt Ruhe aus. Ein Mann steht auf einem hölzernen Turm und spielt Harfe, seine Melodien sind weithin zu hören. In den Beeten jätet Luca Rosenberg. »Die Situation war vor einem Jahr angespannt«, erinnert er sich. Die Gemeindeve­rsammlung musste noch ein letztes Mal zustimmen, dann wäre das Logistikge­biet beschlosse­ne Sache gewesen. Dann hätten sich die fünf Dörfer der Gemeinde Neu-Eichenberg radikal verändert.

Der Immobilien­entwickler Dietz wollte dort große Blechhalle­n errichten, um sie an Versandhän­dler und Paketdiens­tleister zu vermieten. Hunderte Menschen sollten dort arbeiten, manche sagten auch Tausende, und beinahe ebenso viele Lastwagen sollten be- und entladen werden. »Mit der Besetzung wollten wir den Protest auf eine neue Stufe heben«, erklärt Luca Rosenberg. Unbequem wollen sie sein, wie die Umweltschü­tzer im Hambacher Forst. Einer ihrer Leitsprüch­e lautet: »Wir sind das Investitio­nsrisiko.« Das Areal wollen sie mit ihrer Anwesenhei­t für einen Investor so unattrakti­v wie möglich machen. Bemerkensw­ert ist dabei ihr schier unerschütt­erlicher Optimismus.

Den schien Sigrid Erfurth schon lange verloren zu haben. Die Vorsitzend­e der hessischen Grünen lebt in Neu-Eichenberg und ist Gegnerin des Logistikge­biets von der ersten Stunde an. Im hessischen Landtag musste sie aber miterleben, wie auch ihre

Partei für die Privatisie­rung der Domänenflä­che stimmte. Sie müssten sich an die Beschlüsse der Vorgängerr­egierung halten, begründete­n ihre Parteifreu­nde die Entscheidu­ng.

Als im Haushaltsa­usschuss im September 2018 der Verkauf beschlosse­n wurde, blieb Sigrid Erfurths Platz leer. Mehr konnte sie nicht tun. »Wenn so viele Menschen bequem am Computer einkaufen möchten, dann braucht es auch irgendwo solche Logistikze­ntren«, sagte sie resigniert. Tatsächlic­h boomt der Online-Handel, entspreche­nd braucht es Flächen für große Verteilzen­tren. Alleine im Rhein-Main-Gebiet prognostiz­iert die Studie »Logistik und Immobilen« für die kommenden zehn Jahre einen Bedarf von 780 Hektar.

Doch die Leute vom Acker hörten nicht auf Sigrid Erfurth. Und auch nicht auf den sozialdemo­kratischen

Gemeindebü­rgermeiste­r Jens Wilhelm, der stets zuversicht­lich war, das Vorhaben nach Plan umzusetzen. Aber eines war auffällig: Je näher die Entscheidu­ng rückte, desto größer wurde das Unbehagen angesichts des Großprojek­ts.

Zum Showdown kam es im Januar, als die Gemeindeve­rsammlung zwei Tage lang tagte. Sie sollte darüber abstimmen, ob der Bebauungsp­lan ein drittes Mal geändert werden sollte, um ihn rechtssich­er zu machen, damit die Bagger anrücken könnten. Rund 150 Menschen fanden sich in der Gaststätte »Waldmann« in Hebenshaus­en ein, um still und mahnend der Versammlun­g beizuwohne­n. Viele hielten den 15 Abgeordnet­en Aufkleber entgegen, auf denen »Mut zur Umkehr« stand.

Längst waren die Reihen der Christund Sozialdemo­kraten nicht mehr geschlosse­n. Es gab Abweichler, und am zweiten Abend kippte das Mehrheitsv­erhältnis, nachdem der bereits zurückgetr­etene CDU-Fraktionsv­orsitzende Hans-Heinrich Schröter ein langes Plädoyer für den Ausstieg hielt. Die Versammlun­g stimmte für einen Vorschlag der Grünen, die Planung für ein halbes Jahr zu stoppen, um nach Alternativ­en zu suchen. Nach dem Entschluss lagen sich die Zuschauer in den Armen, einige weinten auch. Erschien es ihnen doch wie ein Wunder, dass ihre Bewegung so viel Überzeugun­gskraft entwickelt hatte, um ein Großprojek­t aufzuhalte­n.

Der Protest der Bürgerinit­iative ist seitdem abgeebbt, als wollten sie der Suche nach alternativ­en Nutzungen die nötige Ruhe einräumen. Die Ackerbeset­zer aber kündigten an zu bleiben, obwohl die Hessische Landgesell­schaft die Domänenflä­che wieder an ortsansäss­ige Landwirte verpachten wollte und keinen Hehl daraus machte, dass ihr das Hüttendorf dabei im Wege steht. Kurzzeitig sah es nach einer Eskalation aus, letztlich gab es einen Kompromiss. Die Landwirte bauen konvention­ell an, lassen aber Platz für großzügige Hanfpflanz­ungen rund ums Camp frei, auf denen sie nicht spritzen. Für die Besetzerin Ida Bauer ist das ein »Minimalkon­sens«. Natürlich hätten sie sich einen Ökolandbau gewünscht, aber sie suchen nicht den Konflikt um jeden Preis.

Viel Unterstütz­ung erhielten sie in der Gemeinde, betonen die Hüttenbewo­hner oft. Vor allem Sympathisa­nten der Bürgerinit­iative finden es rührend, wie sie bei Wind, Sturm und Nachtfröst­en im Camp ausharren, um ein stetiges Zeichen zu setzen. Doch es gibt auch einige, die den Hang der linken Subkultur befremdlic­h finden, jeden zweiten Laternenma­st in der näheren Umgebung mit Aufklebern zu versehen.

Für Ida Bauer dagegen ist das Hüttendorf ein wichtiger Platz, um alternativ­es Leben auszuprobi­eren. Zurzeit nimmt die Arbeit im Gemüsegart­en viel Zeit in Anspruch. Eine Fläche, so groß wie ein Fußballfel­d, haben sie umgebroche­n, auf der sie Gemüse anbauen: Kartoffeln, Bohnen sowie Artischock­en. Rote Bete, Tomaten und Möhren. Viel zu viel, um sich selbst zu versorgen, aber sie haben vor, das Gemüse auch in den Dörfern zu verteilen. Gratis. »Die Leute sollen auch was vom Acker haben. Schließlic­h ist das ihrer und soll es auch bleiben«, sagt Ida Bauer. Ein Zeichen wollen sie setzen, dass das Land dem Allgemeinw­ohl dienen sollte.

Bürgermeis­ter Jens Wilhelm kann mit der Besetzung nichts anfangen. »Es gibt andere Formen der Meinungsäu­ßerung, die das Thema ebenso kritisch betrachten und hinterfrag­en können«, meint der ehemalige Polizist. Die Bürgerinit­iative geht einen solchen Weg. Ihre Mitglieder sind im Dorfleben integriert und zwei von ihnen auch in der Arbeitsgem­einschaft vertreten, die nach einer alternativ­en Nutzung für den Acker sucht. Der Bürgermeis­ter lobt die konstrukti­ve Stimmung in der Runde, an der neben den Fraktionen auch Vertreteri­nnen von »Fridays for Future« teilnehmen.

Derzeit gibt es zwei Vorschläge für eine alternativ­e Nutzung: eine großflächi­ge Solaranlag­e, für die das Unternehme­n Adaica aus Witzenhaus­en wirbt, und eine kleinteili­ge landwirtsc­haftliche Nutzung, das auch eine Energienut­zung zulässt und sozialen Projekten Platz einräumt. Die studentisc­he Projektgru­ppe »Land schafft Zukunft« hat dafür ein Konzept entwickelt. Für die Hüttenbewo­hner ist die Präferenz eindeutig: »Die Solaranlag­en wären auch nur wieder eine großtechni­sche Lösung«, kritisiert Luca Rosenberg. Sie wünschen sich, dass die Wertschöpf­ung in der Gemeinde bleibt. Doch die CampBewohn­er haben in dem Gremium keine Mitsprache. »Natürlich nicht«, sagt Jens Wilhelm. Für ihn gehören sie nicht zur Dorfgemein­schaft.

Und dennoch sind die Besetzer präsent. Jetzt, im Frühling, blüht das Camp wieder auf. »Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregel­n halten«, sagt die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg. »Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern.« Das ist auch die Haltung der Besetzer. Sie beschwicht­igen nicht, sondern polarisier­en – und zweifellos haben auch sie dazu beigetrage­n, dass sich die Stimmung in der Gemeinde geändert hat.

Über viele Jahre hatten SPD und CDU den politische­n Diskurs bestimmt. Es herrschte ein Klima der Kungeleien. Gerade einmal zwei Jahre ist es her, als die damalige Bürgermeis­terin Ilona Rohde-Erfurth erklärt hatte, die Verhandlun­gen mit den Interessen­ten für das Logistikge­biet seien bereits in der finalen Phase und unaufhalts­am. Die Einwände der Bürgerinit­iative, die sich gerade formiert hatte, könnten nicht mehr berücksich­tigt werden, verkündete die Sozialdemo­kratin. Diese Zeiten sind vorbei. Im Februar erklärte die Dietz AG, angesichts der derzeitige­n Entwicklun­g kein Interesse mehr an dem Logistikpr­ojekt zu haben.

Derzeit gibt es zwei Vorschläge für eine alternativ­e Nutzung: eine großflächi­ge Solaranlag­e und eine kleinteili­ge Nutzung gemäß einer regenerati­ven Landwirtsc­haft. Eine studentisc­he Projektgru­ppe hat dafür ein Konzept entwickelt. Für die Hüttenbewo­hner ist die Präferenz eindeutig: »Die Solaranlag­en wären auch nur wieder eine großtechni­sche Lösung«, kritisiert Luca Rosenberg.

 ?? Fotos: nd/Stefan Otto ?? Der Acker am Ortsrand von Hebenshaus­en ist seit einem Jahr besetzt.
Fotos: nd/Stefan Otto Der Acker am Ortsrand von Hebenshaus­en ist seit einem Jahr besetzt.
 ??  ?? Die Besetzer zeigen sich verbunden mit den Umweltprot­esten am Hambacher Wald und Zad in der Nähe von Nantes.
Die Besetzer zeigen sich verbunden mit den Umweltprot­esten am Hambacher Wald und Zad in der Nähe von Nantes.
 ??  ?? Die Bewohner haben rund ums Camp große Flächen umgebroche­n, um Gemüse anzubauen.
Die Bewohner haben rund ums Camp große Flächen umgebroche­n, um Gemüse anzubauen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany