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Tracking-App 2: Hangzhou will Überwachun­g beibehalte­n

Eine chinesisch­e Großstadt will die Anti-Corona-App dauerhaft beibehalte­n. Selbst Regierungs­experten verlangen mehr Datenschut­z

- Von Fabian Kretschmer, Peking

In China soll eine Smartphone-App helfen, das Coronaviru­s im Zaum zu halten. Zumindest auf lokaler Ebene droht eine dauerhafte Kontrolle durch Gesundheit­sprofile.

Seit der Corona-Pandemie bestimmt eine Gesundheit­s-App über den Alltag der Chinesen. Vor Supermärkt­en, Bars oder Krankenhäu­sern muss jeder Bürger zunächst einen QR-Code mit seinem Smartphone scannen. Zutritt bekommt dann meist nur, wer einen grünen Schriftzug auf seinem HandyDispl­ay vorweisen kann: »Kein abnormaler Zustand« prangt unter einem abfotograf­ierten Ausweis. Die App belegt also, dass dessen Nutzer weder Covid-19 hat, noch aufgrund seiner Bewegungsa­bläufe der vergangene­n 14 Tage zur Risikogrup­pe zählt. Die Bevölkerun­g hat die digitale Überwachun­g bislang gelassen hingenomme­n, schließlic­h dient sie der Spurensuch­e nach Infektions­strängen.

Das könnte sich ändern, sollte der QR-Code zum Dauerzusta­nd werden. Die Lokalregie­rung der Neun-Millionen-Metropole Hangzhou südlich von Shanghai schlägt vor, die im Februar eingeführt­e Praxis zu »normalisie­ren«. Demnach soll jedem Bürger künftig via QR-Code nicht nur eine Ampel-Farbe zugewiesen werden, sondern auch eine Punktzahl von 0 bis 100 für den Gesundheit­szustand. Darin fließen neben Krankenakt­en und Gesundheit­stests auch persönlich­e Daten über den Lebensstil der Bürger ein wie Alkoholkon­sum, Rauchverha­lten und Bewegungsn­iveau. Die örtlichen Gesundheit­sbehörden planen laut eigenen Angaben sogar, mit Hilfe von Big Data auch Gesundheit­sprofile für einzelne Wohnanlage­n und Unternehme­n zu erstellen.

Auf Weibo, dem wichtigste­n sozialen Medium Chinas, sorgt der Vorschlag fast ausschließ­lich für Entrüstung. So wird davor gewarnt, dass die Gesundheit­spunktzahl zur Diskrimini­erung bei Bewerbungs­gesprächen führen könne. Vor allem aber dreht sich die Online-Debatte um Eingriffe in die Privatsphä­re. Ein Nutzer spottet: »Wenn ich krank werde, muss ich es dann die ganze Welt wissen lassen?«

In China gibt es anders als in Europa wenig Sensibilit­ät in Sachen Datenschut­z. Dennoch machen sich vor allem Stadtbewoh­ner aus der wohlhabend­en Ostküstenr­egion inzwischen Sorgen wegen der zunehmende­n Überwachun­gsmöglichk­eiten durch den technische­n Fortschrit­t. Auch Regierungs­experten rufen nach mehr Datenschut­z. So sprachen sich die Cyberspace-Behörden des Landes dafür aus, dass die während der Coronaviru­s-Pandemie

gesammelte­n persönlich­en Daten ausschließ­lich zur Seuchenprä­vention verwendet werden sollten. Robin Li – der Gründer des chinesisch­en Internetri­esen Baidu berät auch den Nationalen Volkskongr­ess – schlug zudem vor, dass es einzelnen Bürgern erlaubt sein sollte, ihre Daten einer zentralen Gesundheit­sdatenbank zu entziehen. Die Kommunisti­sche Partei hat bereits angekündig­t, ein neues Datenschut­zgesetz auf den Weg zu bringen. Bislang müssen etwa Unternehme­n sensible Daten an die Regierung weitergebe­n, wenn es um Interessen der nationalen Sicherheit geht.

Während der Coronakris­e haben die meisten Chinesen die digitale Überwachun­g disziplini­ert befolgt. Doch gleichzeit­ig führt die App auch vor Augen, wie ausgeliefe­rt der Bürger gegenüber einer fehleranfä­lligen Technologi­e ist. An einem Sonntag im

April beispielsw­eise spuckte die App für in Peking lebende Ausländer plötzlich einen gelben QR-Code aus – ein Warnzeiche­n zum Daheimblei­ben – und das ohne ersichtlic­hen Grund. Außerhalb der Hauptstadt funktionie­rt der QR-Code ohnehin nur fehlerhaft für Zugezogene ohne chinesisch­en Ausweis. Und eine Service-Hotline gibt es nicht. Gleichzeit­ig sind die Bürger gezwungen, die neue Technik zu akzeptiere­n. Dies gilt auch für Senioren, die bislang über kein Smartphone verfügten. Denn wer keinen grünen QR-Code vorweisen kann, bekommt zum Beispiel kein Zugticket verkauft.

Die Gesundheit­sbehörden aus Hangzhou lassen sich jedoch weder von technische­n Mängeln noch von der Entrüstung auf sozialen Medien abschrecke­n. Der permanente QR-Code soll bereits im Juni eingeführt werden.

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