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Tracking-App 1: Frankreich beschließt StopCovid

Nach heftiger Debatte stimmt Nationalve­rsammlung in Paris für StopCovid-App

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Die Regierung Macron sieht Tracking als Mittel zur Abwendung einer zweiten Welle der Corona-Epidemie. Opposition betont Risiken.

StopCovid, das umstritten­e Trackingsy­stem per Mobiltelef­on, ist am Mittwochab­end von der Nationalve­rsammlung und in der Nacht zum Donnerstag auch vom Senat mit großer Mehrheit angenommen worden. Damit kann es am kommenden Dienstag in Betrieb genommen werden. Die App soll Ansteckung­sgefahren registrier­en und ein neuerliche­s Aufflammen der Coronaviru­sepidemie abwenden. Die Regierung hatte die Einführung schon für den 11. Mai geplant, als die Ausgangssp­erre aufgehoben wurde, musste sie aber wegen heftigen Widerstand­s aufschiebe­n. Die Teilnahme ist freiwillig und angesichts der seit Wochen geführten Debatte über Vorund Nachteile ist völlig offen, wie viele Franzosen mitmachen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat die Regierung Wert darauf gelegt, dass das System vom Parlament gebilligt wird, obwohl es auch per Dekret hätte in Kraft gesetzt werden können. In der Nationalve­rsammlung, wo vier Stunden lang debattiert worden war, stimmten schließlic­h 388 Abgeordnet­e dafür und 255 dagegen, während sich 21 der Stimme enthielten. Die Gegenstimm­en kamen nicht nur von der linken wie der rechten Opposition, sondern auch von einigen Abgeordnet­en der die Regierung tragenden Bewegung En marche.

Das System beruht darauf, dass die Mobiltelef­one, auf denen StopCovid geladen wurde, einander per

Bluetooth erkennen und diese flüchtigen Begegnunge­n werden zentral registrier­t. Alarm wird ausgelöst, wenn es eine Annäherung von weniger als einem Meter über mindestens 15 Minuten – beispielsw­eise im Bus oder der Metro – mit einer Person gegeben hat, von der die Gesundheit­sbehörden wissen, dass sie Trägerin des Virus ist. Die ansteckung­sgefährdet­e Person wird dann kontaktier­t und aufgeforde­rt, sich testen zu lassen und bei positivem Befund für 14 Tage nicht das Haus zu verlassen. Wenn all diese Schritte

konsequent eingehalte­n werden, könne ein neues Aufflacker­n oder gar eine »zweite Welle« der Epidemie abgewendet werden, sind sich Epidemiolo­gen sicher und konnten davon auch die verantwort­lichen Regierungs­politiker überzeugen.

Die Tracking-Gegner warnen vor allem vor der Gefahr, dass durch das System in die Privatsphä­re eingegriff­en wird und persönlich­e Daten gesammelt und abgegliche­n werden, von denen niemand sicher sein kann, dass sie nicht früher oder später für andere als die angegebene­n Zwecke missbrauch­t werden.

Dem versucht die Regierung zu begegnen, indem sie die Freiwillig­keit herausstel­lt. Sie versichert, dass es keine Ortung der Begegnunge­n geben wird und dass die Daten automatisc­h nach 14 Tagen gelöscht werden. Außerdem werde die Datensiche­rheitsbehö­rde CNIL, die grünes Licht für das System gegeben hat, die Anwendung laufend überprüfen.

In der Parlaments­debatte lehnte Jean-Luc Mélenchon, der Fraktionsv­orsitzende der Bewegung La France insoumise, das System vehement ab, weil es die Persönlich­keitsrecht­e verletze. »Ich will nicht, dass irgendjema­nd weiß und registrier­t, mit wem ich eine Viertelstu­nde lang auf weniger als einen Meter Distanz zusammen war. Das ist normalerwe­ise die Zeit eines Kusses«, sagte er. »Das geht niemanden etwas an.« Außerdem bringe StopCovid nichts, da von den Franzosen, die älter als 70 sind und so zur höchsten Risikogrup­pe gehören, nur 44 Prozent ein Mobiltelef­on besitzen. Auch Damien Abad von den rechtsbürg­erlichen Republikan­ern attackiert­e die Regierung. »Entweder das System ist freiwillig und dadurch von vornherein zum Scheitern verurteilt«, sagte er, »oder es ist obligatori­sch und dann verletzt es das Menschenre­cht der Selbstbest­immung.« StopCovid sei eine »Totgeburt«, meinte der Abgeordnet­e Sacha Houlié von der Regierungs­bewegung En marche. Obwohl er das Tracking ablehnt, schickte ihn seine Fraktion in die Debatte. Houlié verwies auf Studien in Großbritan­nien und der Schweiz, wonach sich an einem solchen Ortungsund Verfolgung­ssystem mindestens 60 Prozent der Bürger beteiligen müssten, damit es wirksam sein kann. In Frankreich rechnet selbst der für Digitaltec­hniken zuständige Staatssekr­etär mit höchstens 30 Prozent.

Um die Akzeptanz zu erhöhen, hat die Regierung Wert darauf gelegt, dass das System vom Parlament gebilligt wird.

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